Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern faßt es, packt es bei dem ersten besten Zipfel und fängt es
frischweg an zu eraminiren. Natürlich ist hier ein Wenn mit einem
Conditional-Satze zu suppliren -- wenn es unsere Censur gestattet.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es kommt, daß gerade
die Breslauer Censur von jeher eine so unleidlich strenge gewesen ist
und noch ist; aber ich finde keinen Grund, es müßte denn gerade die
Nähe des Gebirges sein, wo die Masse gefunden wird, aus der man
Rothstifte macht. Es wäre also blos, um das Consumo mit der
Production in Verhältniß zu bringen. Da das Imprimatur hoch
hängt, und das Censurgericht weit ist, so wandern auch die meisten
gestrichenen Artikel breslaumüde in andere bessere Zonen, die viel¬
leicht oft schon drei Meilen weit vom Weichbilde der Stadt beginnen
könnten, wenn Schlesien außer den beiden Breslauer Zeitungen und
der schlesischen Chronik noch nennenswerthe Blätter besäße. Es gibt
wohl kaum zwei Blatter, die sich gegenseitig so in Schach halten
und deshalb sich in ihren Tugenden und Fehlern so ähnlich sehen,
wie die Breslauer und die Schlesische Zeitung. Da darf nur die eine
einen andern Dcmarcationsstrich nehmen, gleich macht's die andere
nach. Beide sind liberal, so weit es geht. Nachdem die Breslauer,
als die jüngere, nach einigen Schwankungen in dem gegenwärtigen
Prinzipe Fuß gefaßt, hat sie unstreitig die Jntensivität des Wollens
vor der Schlesischen voraus, welche letztere aber wiederum ihrer Colle-
gin in der Bedachtsamkeit den Rang abläuft. Die Breslauer hat
drei Hauptmitarbeiter. Dr. Leopold Schweißer, Autorität in Eisen¬
bahnangelegenheiten, einigen merkantilischen Zweigen und in juridisch-
politischen Fragen, führt eine Feder von seltener Volubilität, dabei
geistreich, scharf und als Gegner gefürchtet. F. W. Wolff, Advokat
der Armuth, des Elends und der Noth, in seiner Darstellungsweise
schroff und eckig, aber populär. August Semrau behandelt die poli¬
tischen Fragen, wie sie sich unmittelbar von den Tagesereignissen ab¬
lösen, und bespricht lokale Angelegenheiten meist in humoristischer
Weise. Unter den Berliner Correspondenten ist Dr. Wöniger leicht
herauszukennen. Der bekannte Beta hat sich zu Schanden geschrie¬
ben, er pusse nur noch blind. An der Schlesischen Zeitung ist or.
Behnsch ein fleißiger Mitarbeiter. Er besitzt viele Erfahrung, scharfe
Beobachtung, verweichlicht aber seinen Styl durch zu viele wohlmei¬
nende Optative. Stein gesinnungs- und würdevoll, markig und
nicht selten bitter ironisch. Unter den Berliner Correspondenten ist
Joel Jacobi der fleißigste; er schreibt beinahe täglich, meist aber nur
lüderlich zusammengewürfeltes Abgängsel von dem Stoffe, den er für
die Bremer und Allg. Deutsche Ztg. zusammenbäckt. Früher schrieb
er unter einem falschen Namen an die Redaction; erst seit kurzer
Zeit weiß sie, mit wem sie es zu thun hat. Ein Blatt, das bei Wei¬
tem nicht so bekannt ist, wie es dies verdient, ist die Schlesische Chro-


Wrcnzbotcn 1844. u. Zg

sondern faßt es, packt es bei dem ersten besten Zipfel und fängt es
frischweg an zu eraminiren. Natürlich ist hier ein Wenn mit einem
Conditional-Satze zu suppliren — wenn es unsere Censur gestattet.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es kommt, daß gerade
die Breslauer Censur von jeher eine so unleidlich strenge gewesen ist
und noch ist; aber ich finde keinen Grund, es müßte denn gerade die
Nähe des Gebirges sein, wo die Masse gefunden wird, aus der man
Rothstifte macht. Es wäre also blos, um das Consumo mit der
Production in Verhältniß zu bringen. Da das Imprimatur hoch
hängt, und das Censurgericht weit ist, so wandern auch die meisten
gestrichenen Artikel breslaumüde in andere bessere Zonen, die viel¬
leicht oft schon drei Meilen weit vom Weichbilde der Stadt beginnen
könnten, wenn Schlesien außer den beiden Breslauer Zeitungen und
der schlesischen Chronik noch nennenswerthe Blätter besäße. Es gibt
wohl kaum zwei Blatter, die sich gegenseitig so in Schach halten
und deshalb sich in ihren Tugenden und Fehlern so ähnlich sehen,
wie die Breslauer und die Schlesische Zeitung. Da darf nur die eine
einen andern Dcmarcationsstrich nehmen, gleich macht's die andere
nach. Beide sind liberal, so weit es geht. Nachdem die Breslauer,
als die jüngere, nach einigen Schwankungen in dem gegenwärtigen
Prinzipe Fuß gefaßt, hat sie unstreitig die Jntensivität des Wollens
vor der Schlesischen voraus, welche letztere aber wiederum ihrer Colle-
gin in der Bedachtsamkeit den Rang abläuft. Die Breslauer hat
drei Hauptmitarbeiter. Dr. Leopold Schweißer, Autorität in Eisen¬
bahnangelegenheiten, einigen merkantilischen Zweigen und in juridisch-
politischen Fragen, führt eine Feder von seltener Volubilität, dabei
geistreich, scharf und als Gegner gefürchtet. F. W. Wolff, Advokat
der Armuth, des Elends und der Noth, in seiner Darstellungsweise
schroff und eckig, aber populär. August Semrau behandelt die poli¬
tischen Fragen, wie sie sich unmittelbar von den Tagesereignissen ab¬
lösen, und bespricht lokale Angelegenheiten meist in humoristischer
Weise. Unter den Berliner Correspondenten ist Dr. Wöniger leicht
herauszukennen. Der bekannte Beta hat sich zu Schanden geschrie¬
ben, er pusse nur noch blind. An der Schlesischen Zeitung ist or.
Behnsch ein fleißiger Mitarbeiter. Er besitzt viele Erfahrung, scharfe
Beobachtung, verweichlicht aber seinen Styl durch zu viele wohlmei¬
nende Optative. Stein gesinnungs- und würdevoll, markig und
nicht selten bitter ironisch. Unter den Berliner Correspondenten ist
Joel Jacobi der fleißigste; er schreibt beinahe täglich, meist aber nur
lüderlich zusammengewürfeltes Abgängsel von dem Stoffe, den er für
die Bremer und Allg. Deutsche Ztg. zusammenbäckt. Früher schrieb
er unter einem falschen Namen an die Redaction; erst seit kurzer
Zeit weiß sie, mit wem sie es zu thun hat. Ein Blatt, das bei Wei¬
tem nicht so bekannt ist, wie es dies verdient, ist die Schlesische Chro-


Wrcnzbotcn 1844. u. Zg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180848"/>
            <p xml:id="ID_685" prev="#ID_684" next="#ID_686"> sondern faßt es, packt es bei dem ersten besten Zipfel und fängt es<lb/>
frischweg an zu eraminiren. Natürlich ist hier ein Wenn mit einem<lb/>
Conditional-Satze zu suppliren &#x2014; wenn es unsere Censur gestattet.<lb/>
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es kommt, daß gerade<lb/>
die Breslauer Censur von jeher eine so unleidlich strenge gewesen ist<lb/>
und noch ist; aber ich finde keinen Grund, es müßte denn gerade die<lb/>
Nähe des Gebirges sein, wo die Masse gefunden wird, aus der man<lb/>
Rothstifte macht. Es wäre also blos, um das Consumo mit der<lb/>
Production in Verhältniß zu bringen. Da das Imprimatur hoch<lb/>
hängt, und das Censurgericht weit ist, so wandern auch die meisten<lb/>
gestrichenen Artikel breslaumüde in andere bessere Zonen, die viel¬<lb/>
leicht oft schon drei Meilen weit vom Weichbilde der Stadt beginnen<lb/>
könnten, wenn Schlesien außer den beiden Breslauer Zeitungen und<lb/>
der schlesischen Chronik noch nennenswerthe Blätter besäße. Es gibt<lb/>
wohl kaum zwei Blatter, die sich gegenseitig so in Schach halten<lb/>
und deshalb sich in ihren Tugenden und Fehlern so ähnlich sehen,<lb/>
wie die Breslauer und die Schlesische Zeitung. Da darf nur die eine<lb/>
einen andern Dcmarcationsstrich nehmen, gleich macht's die andere<lb/>
nach. Beide sind liberal, so weit es geht. Nachdem die Breslauer,<lb/>
als die jüngere, nach einigen Schwankungen in dem gegenwärtigen<lb/>
Prinzipe Fuß gefaßt, hat sie unstreitig die Jntensivität des Wollens<lb/>
vor der Schlesischen voraus, welche letztere aber wiederum ihrer Colle-<lb/>
gin in der Bedachtsamkeit den Rang abläuft. Die Breslauer hat<lb/>
drei Hauptmitarbeiter. Dr. Leopold Schweißer, Autorität in Eisen¬<lb/>
bahnangelegenheiten, einigen merkantilischen Zweigen und in juridisch-<lb/>
politischen Fragen, führt eine Feder von seltener Volubilität, dabei<lb/>
geistreich, scharf und als Gegner gefürchtet. F. W. Wolff, Advokat<lb/>
der Armuth, des Elends und der Noth, in seiner Darstellungsweise<lb/>
schroff und eckig, aber populär. August Semrau behandelt die poli¬<lb/>
tischen Fragen, wie sie sich unmittelbar von den Tagesereignissen ab¬<lb/>
lösen, und bespricht lokale Angelegenheiten meist in humoristischer<lb/>
Weise. Unter den Berliner Correspondenten ist Dr. Wöniger leicht<lb/>
herauszukennen. Der bekannte Beta hat sich zu Schanden geschrie¬<lb/>
ben, er pusse nur noch blind. An der Schlesischen Zeitung ist or.<lb/>
Behnsch ein fleißiger Mitarbeiter. Er besitzt viele Erfahrung, scharfe<lb/>
Beobachtung, verweichlicht aber seinen Styl durch zu viele wohlmei¬<lb/>
nende Optative. Stein gesinnungs- und würdevoll, markig und<lb/>
nicht selten bitter ironisch. Unter den Berliner Correspondenten ist<lb/>
Joel Jacobi der fleißigste; er schreibt beinahe täglich, meist aber nur<lb/>
lüderlich zusammengewürfeltes Abgängsel von dem Stoffe, den er für<lb/>
die Bremer und Allg. Deutsche Ztg. zusammenbäckt. Früher schrieb<lb/>
er unter einem falschen Namen an die Redaction; erst seit kurzer<lb/>
Zeit weiß sie, mit wem sie es zu thun hat. Ein Blatt, das bei Wei¬<lb/>
tem nicht so bekannt ist, wie es dies verdient, ist die Schlesische Chro-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Wrcnzbotcn 1844.  u. Zg</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] sondern faßt es, packt es bei dem ersten besten Zipfel und fängt es frischweg an zu eraminiren. Natürlich ist hier ein Wenn mit einem Conditional-Satze zu suppliren — wenn es unsere Censur gestattet. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es kommt, daß gerade die Breslauer Censur von jeher eine so unleidlich strenge gewesen ist und noch ist; aber ich finde keinen Grund, es müßte denn gerade die Nähe des Gebirges sein, wo die Masse gefunden wird, aus der man Rothstifte macht. Es wäre also blos, um das Consumo mit der Production in Verhältniß zu bringen. Da das Imprimatur hoch hängt, und das Censurgericht weit ist, so wandern auch die meisten gestrichenen Artikel breslaumüde in andere bessere Zonen, die viel¬ leicht oft schon drei Meilen weit vom Weichbilde der Stadt beginnen könnten, wenn Schlesien außer den beiden Breslauer Zeitungen und der schlesischen Chronik noch nennenswerthe Blätter besäße. Es gibt wohl kaum zwei Blatter, die sich gegenseitig so in Schach halten und deshalb sich in ihren Tugenden und Fehlern so ähnlich sehen, wie die Breslauer und die Schlesische Zeitung. Da darf nur die eine einen andern Dcmarcationsstrich nehmen, gleich macht's die andere nach. Beide sind liberal, so weit es geht. Nachdem die Breslauer, als die jüngere, nach einigen Schwankungen in dem gegenwärtigen Prinzipe Fuß gefaßt, hat sie unstreitig die Jntensivität des Wollens vor der Schlesischen voraus, welche letztere aber wiederum ihrer Colle- gin in der Bedachtsamkeit den Rang abläuft. Die Breslauer hat drei Hauptmitarbeiter. Dr. Leopold Schweißer, Autorität in Eisen¬ bahnangelegenheiten, einigen merkantilischen Zweigen und in juridisch- politischen Fragen, führt eine Feder von seltener Volubilität, dabei geistreich, scharf und als Gegner gefürchtet. F. W. Wolff, Advokat der Armuth, des Elends und der Noth, in seiner Darstellungsweise schroff und eckig, aber populär. August Semrau behandelt die poli¬ tischen Fragen, wie sie sich unmittelbar von den Tagesereignissen ab¬ lösen, und bespricht lokale Angelegenheiten meist in humoristischer Weise. Unter den Berliner Correspondenten ist Dr. Wöniger leicht herauszukennen. Der bekannte Beta hat sich zu Schanden geschrie¬ ben, er pusse nur noch blind. An der Schlesischen Zeitung ist or. Behnsch ein fleißiger Mitarbeiter. Er besitzt viele Erfahrung, scharfe Beobachtung, verweichlicht aber seinen Styl durch zu viele wohlmei¬ nende Optative. Stein gesinnungs- und würdevoll, markig und nicht selten bitter ironisch. Unter den Berliner Correspondenten ist Joel Jacobi der fleißigste; er schreibt beinahe täglich, meist aber nur lüderlich zusammengewürfeltes Abgängsel von dem Stoffe, den er für die Bremer und Allg. Deutsche Ztg. zusammenbäckt. Früher schrieb er unter einem falschen Namen an die Redaction; erst seit kurzer Zeit weiß sie, mit wem sie es zu thun hat. Ein Blatt, das bei Wei¬ tem nicht so bekannt ist, wie es dies verdient, ist die Schlesische Chro- Wrcnzbotcn 1844. u. Zg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/289>, abgerufen am 01.07.2024.