Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.gerichtet, das, mit unpraktischen socialen Theorien bepackt, zu Markte gerichtet, das, mit unpraktischen socialen Theorien bepackt, zu Markte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180847"/> <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683" next="#ID_685"> gerichtet, das, mit unpraktischen socialen Theorien bepackt, zu Markte<lb/> geht. Die Richtung, welche diese beiden Dichter genommen, ist für<lb/> die Gesammtzustände der Poesie heutiger Zeit bezeichnend. Die ge¬<lb/> sinnungslosen Spatzen, welche in der ausschließlich belletristischen Pe¬<lb/> riode auf allen Dächern zwitscherten, thun ihren Schnabel nur noch<lb/> auf, wenn sie vom Vetter Storch zum Kindtaufen geladen werden<lb/> oder von Sr. Hochgeboren dem Pfau ein gnädiges Kopfnicken erbet¬<lb/> teln wollen. Bei den Poeten mit Gesinnung gelangt das politische<lb/> Interesse bald zu einer solchen Ausschließlichkeit, daß sie kaum etwas<lb/> Anderes produciren, als gereimte Zeitungsartikel. Die Gedichte eines<lb/> schlestschen Grafen Moritz von Strachwitz sind in der Augsburger<lb/> Zeitung mit überschwenglichen Lob überschüttet; das allein würde<lb/> hinreichen, in ihre Vortrefflichkeit einige Zweifel zu setzen. Der Graf<lb/> ist in der That nichts weiter, als ein Nachtreter Freiligrath's; seine<lb/> Muse eine gewappnete Amazone, die in Ermangelung eines arabischen<lb/> Hengstes auf schlesischen Vollblutpferde die hoffnungsvollen Saaten<lb/> des Volks niederreitet. Marstall-Poesie, hie und da geschnürte Sa¬<lb/> lon-Liebeslieder. Der Cultus des Schönen ist in Schlesien somit<lb/> kaum etwas Anderes, als belletristische Werkthätigkeit. Ein Blatt,<lb/> das etwas mehr sein wollte, als ein Leuchter für all die Dilettanten-<lb/> Lichtstümpchen, und mehr Leser haben wollte, als Mitarbeiter, würde<lb/> nicht eristiren können, und man muß sich über diejenigen wundern,<lb/> welche fortwährend von der Nothwendigkeit eines Organs für schlesi-<lb/> sche Kunstinteressen sprechen. In der That besitzen wir zwar eins,<lb/> das sich für einen Träger der Ideen über dramatische Kunst und de¬<lb/> ren Darstellung ausgibt, — wir meinen den Breslauer Figaro —<lb/> aber dies Blatt gehört recht eigentlich seinem Redacteur und Eigen¬<lb/> thümer Hrn. Michaelson. Der gröbste kritische Sanscülottismus<lb/> schreit darin um Brod, und Kameraderie und offene Geldbeutel sind<lb/> die Kriterien, welche sein plebejcS Urtheil bestimmen. Die I)r. Zirn-<lb/> dorfers sind eine weitverbreitete Race und ihre Spielarten gehen in's<lb/> Unendliche. Schade, daß die Welt darüber nicht aufgeklärt werden<lb/> kann, denn man scheut sich allgemein, diese kritischen Augias-Ställe<lb/> auszumisten. Wenn somit der Cultus des Schönen in dieser Be¬<lb/> ziehung bei uns darniederliegt, so gestaltet sich die Theilnahme an der<lb/> Verehrung des Wahren und Rechten immer erfreulicher. Die ganze<lb/> junge, talentvolle Generation widmet sich der publizistischen Thätigkeit,<lb/> schwärmt, wie früher für die Scherze und Spiele der Phantasie, so<lb/> jetzt für den Verstand und beugt die Kniee vor dem heitern und kla¬<lb/> ren Bilde des Gedankens. Unsere Publizistik, in so fern sie sich der<lb/> periodischen Presse als Organ bedient, kann, die Rheinlands ausge¬<lb/> nommen, mit ,eder aus einer anderen Provinz kühn in die Schran¬<lb/> ken treten. Sie ist jung und hat als solche alle Fehler der Jugend:<lb/> immer rührig und rüstig, lahmt sie nicht hinter den Ereignissen her.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
gerichtet, das, mit unpraktischen socialen Theorien bepackt, zu Markte
geht. Die Richtung, welche diese beiden Dichter genommen, ist für
die Gesammtzustände der Poesie heutiger Zeit bezeichnend. Die ge¬
sinnungslosen Spatzen, welche in der ausschließlich belletristischen Pe¬
riode auf allen Dächern zwitscherten, thun ihren Schnabel nur noch
auf, wenn sie vom Vetter Storch zum Kindtaufen geladen werden
oder von Sr. Hochgeboren dem Pfau ein gnädiges Kopfnicken erbet¬
teln wollen. Bei den Poeten mit Gesinnung gelangt das politische
Interesse bald zu einer solchen Ausschließlichkeit, daß sie kaum etwas
Anderes produciren, als gereimte Zeitungsartikel. Die Gedichte eines
schlestschen Grafen Moritz von Strachwitz sind in der Augsburger
Zeitung mit überschwenglichen Lob überschüttet; das allein würde
hinreichen, in ihre Vortrefflichkeit einige Zweifel zu setzen. Der Graf
ist in der That nichts weiter, als ein Nachtreter Freiligrath's; seine
Muse eine gewappnete Amazone, die in Ermangelung eines arabischen
Hengstes auf schlesischen Vollblutpferde die hoffnungsvollen Saaten
des Volks niederreitet. Marstall-Poesie, hie und da geschnürte Sa¬
lon-Liebeslieder. Der Cultus des Schönen ist in Schlesien somit
kaum etwas Anderes, als belletristische Werkthätigkeit. Ein Blatt,
das etwas mehr sein wollte, als ein Leuchter für all die Dilettanten-
Lichtstümpchen, und mehr Leser haben wollte, als Mitarbeiter, würde
nicht eristiren können, und man muß sich über diejenigen wundern,
welche fortwährend von der Nothwendigkeit eines Organs für schlesi-
sche Kunstinteressen sprechen. In der That besitzen wir zwar eins,
das sich für einen Träger der Ideen über dramatische Kunst und de¬
ren Darstellung ausgibt, — wir meinen den Breslauer Figaro —
aber dies Blatt gehört recht eigentlich seinem Redacteur und Eigen¬
thümer Hrn. Michaelson. Der gröbste kritische Sanscülottismus
schreit darin um Brod, und Kameraderie und offene Geldbeutel sind
die Kriterien, welche sein plebejcS Urtheil bestimmen. Die I)r. Zirn-
dorfers sind eine weitverbreitete Race und ihre Spielarten gehen in's
Unendliche. Schade, daß die Welt darüber nicht aufgeklärt werden
kann, denn man scheut sich allgemein, diese kritischen Augias-Ställe
auszumisten. Wenn somit der Cultus des Schönen in dieser Be¬
ziehung bei uns darniederliegt, so gestaltet sich die Theilnahme an der
Verehrung des Wahren und Rechten immer erfreulicher. Die ganze
junge, talentvolle Generation widmet sich der publizistischen Thätigkeit,
schwärmt, wie früher für die Scherze und Spiele der Phantasie, so
jetzt für den Verstand und beugt die Kniee vor dem heitern und kla¬
ren Bilde des Gedankens. Unsere Publizistik, in so fern sie sich der
periodischen Presse als Organ bedient, kann, die Rheinlands ausge¬
nommen, mit ,eder aus einer anderen Provinz kühn in die Schran¬
ken treten. Sie ist jung und hat als solche alle Fehler der Jugend:
immer rührig und rüstig, lahmt sie nicht hinter den Ereignissen her.
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