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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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schon mehrere Versuche der Neuerung auf die Bühne gekommen,
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bürgerliche Drama, welches Scribe von Kotzebue endlich, hatte schon
kühnen Neuerungen den Weg gebahnt. Die bewundernswürdigen
Romane von Walter Scott, die durch alle Classen der Gesellschaft
verbreitet waren, hatten nicht wenig dazu beigetragen, dies Bedürf¬
niß historischer Wahrheit in der Kunst und dem Drama mehr und
mehr nothwendig zu machen. Damals war es, wo Dumas in sei¬
nem Bureau zufällig einen Band von Anquetil fand und darin die
Geschichte Heinrich's III. las. Daraus schöpfte er die Fäden zu sei¬
nem Drama, und in vier Monaten war es geschrieben, eingereicht,
angenommen, einstudirt und zum ersten Male am 10. Februar 1829
im l'tMti-v l>nu^is mit einem ungeheueren Erfolg gespielt.

Wenn man diese Thatsachen in Betracht zieht, wird es schwer,
die Phrasen und Reime Dumas' über die mühseligen Arbeiten seines
Noviziats zu begreifen. Viele der französischen Schriftsteller haben die
Schwäche, sich als Titanen, zerrissen durch die Erinnerung an ihre
Kämpfe gegen die Erde und den Himmel darzustellen. Diese Schwäche
ließ den wohlbeleibten Balzac sagen, er sei ein unzufriedenes und
vom Blitz des Schicksals zerschmettertes Wesen; derselben Schwäche zu
Gefallen hat wahrscheinlich eine freundliche Feder die Leiden Dumas'
mit den Arbeiten des Herkules verglichen. Welcher Mensch ist aber
besser von dem Publicum empfangen worden, als der Verfasser Hein¬
rich's III. ? Welche Lebensbahn hat weniger Mißgeschick, als die
Dumas' aufzuweisen? Er kommt aus seinem Dorfe in einem Alter
von zwanzig Jahren , mit dreiundfünfzig Francs in der Tasche, un¬
wissend und mit keinem anderen Vorzug als dem einer schönen Hand¬
schrift, nach Paris. Mit solchen Eigenschaften wären tausend An¬
dere Hungers gestorben; ihm verschafften sie am ersten Tage eine
Anstellung von zwölfhundert Francs. Dann, und darin zeigt er Muth
und wirkliches Ehrgefühl, faßt er den Entschluß, in einigen Jahren
Alles zu lernen, was er versäumt hat. Nach Verlauf von zwei Jah¬
ren wird sein Gehalt auf fünfzehnhundert Francs erhöht, und man
gibt ihm die Abende frei. Jetzt fällt es ihm ein, ein Trauerspiel zu
schreiben; als es geschrieben ist, will er es aufgeführt sehen; er wen¬
det sich an N odier, den er nicht im mindesten kennt, um ihn zu bit¬
ten, ihn an Taylor, den königlichen Commissär am ^IMtrv trau^is


Wrcnzbolcn II. Z5

schon mehrere Versuche der Neuerung auf die Bühne gekommen,
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bürgerliche Drama, welches Scribe von Kotzebue endlich, hatte schon
kühnen Neuerungen den Weg gebahnt. Die bewundernswürdigen
Romane von Walter Scott, die durch alle Classen der Gesellschaft
verbreitet waren, hatten nicht wenig dazu beigetragen, dies Bedürf¬
niß historischer Wahrheit in der Kunst und dem Drama mehr und
mehr nothwendig zu machen. Damals war es, wo Dumas in sei¬
nem Bureau zufällig einen Band von Anquetil fand und darin die
Geschichte Heinrich's III. las. Daraus schöpfte er die Fäden zu sei¬
nem Drama, und in vier Monaten war es geschrieben, eingereicht,
angenommen, einstudirt und zum ersten Male am 10. Februar 1829
im l'tMti-v l>nu^is mit einem ungeheueren Erfolg gespielt.

Wenn man diese Thatsachen in Betracht zieht, wird es schwer,
die Phrasen und Reime Dumas' über die mühseligen Arbeiten seines
Noviziats zu begreifen. Viele der französischen Schriftsteller haben die
Schwäche, sich als Titanen, zerrissen durch die Erinnerung an ihre
Kämpfe gegen die Erde und den Himmel darzustellen. Diese Schwäche
ließ den wohlbeleibten Balzac sagen, er sei ein unzufriedenes und
vom Blitz des Schicksals zerschmettertes Wesen; derselben Schwäche zu
Gefallen hat wahrscheinlich eine freundliche Feder die Leiden Dumas'
mit den Arbeiten des Herkules verglichen. Welcher Mensch ist aber
besser von dem Publicum empfangen worden, als der Verfasser Hein¬
rich's III. ? Welche Lebensbahn hat weniger Mißgeschick, als die
Dumas' aufzuweisen? Er kommt aus seinem Dorfe in einem Alter
von zwanzig Jahren , mit dreiundfünfzig Francs in der Tasche, un¬
wissend und mit keinem anderen Vorzug als dem einer schönen Hand¬
schrift, nach Paris. Mit solchen Eigenschaften wären tausend An¬
dere Hungers gestorben; ihm verschafften sie am ersten Tage eine
Anstellung von zwölfhundert Francs. Dann, und darin zeigt er Muth
und wirkliches Ehrgefühl, faßt er den Entschluß, in einigen Jahren
Alles zu lernen, was er versäumt hat. Nach Verlauf von zwei Jah¬
ren wird sein Gehalt auf fünfzehnhundert Francs erhöht, und man
gibt ihm die Abende frei. Jetzt fällt es ihm ein, ein Trauerspiel zu
schreiben; als es geschrieben ist, will er es aufgeführt sehen; er wen¬
det sich an N odier, den er nicht im mindesten kennt, um ihn zu bit¬
ten, ihn an Taylor, den königlichen Commissär am ^IMtrv trau^is


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/281>, abgerufen am 23.07.2024.