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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Alexander Dumas.



Alexander Dumas ist ein schon ziemlich abgenutzter Name, ob¬
gleich er kaum zwölf Jahre der Unsterblichkeit zählt. Dennoch hal¬
ten wir ihn für bestimmt, fortzuleben, wenn nicht wegen seines innern
Werthes, so doch als Typus einer merkwürdigen Periode in der Ge¬
schichte des französischen Dramas. Die literarischen Revolutionen
sind unzertrennlich von den socialen, aber sie finden nicht zugleich mit
den letztem statt. Wenn die einen vollendet sind, fangen die andern
an, und vorzugsweise auf der Bühne zeigt sich die Umgestaltung des
socialen Zustandes eines Volks, so weit sie sich überhaupt durch die
Literatur verräth, am energischsten.

Wie aber die neue Gesellschaft, ehe sie die ihr passende Form
findet, eine Reihe ungeordneter Bewegungen durchzumachen hat, so
erleidet auch die Literatur, ehe sie sich mit dieser neuen Gesellschaft
in Einklang bringt, eine ähnliche revolutionäre Krisis und gelangt
nur zur Bildung einer, der gesellschaftlichen entsprechenden literarischen
Freiheit, indem sie den Weg dahin durch die vollkommenste Anar¬
chie suchen muß.

Darum ist auch die literarische oder, um uns auf die Bühne zu
beschränken, die dramatische Revolution, die in Frankreich in den
letzten Zeiten der Restauration begonnen hat, in ihrer Entwickelung
nicht ohne Analogie mit der 1789 begonnenen socialen Revolution
geblieben.

Von 1820 bis 1828 zeigte sich das Bedürfniß dramatischer
Neuerung mehr und mehr; man wünschte, man suchte und versuchte
neue Combinationen. Das Szepter Racine's und Corneille's war
den Händen der Dramatiker der Kaiserzeit entsunken und flößte
nicht mehr Achtung ein, als ehemals das Szepter Ludwigs XIV.
in der schwachen Hand Ludwig's XVI.; aber wenn man die Tradi-


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Alexander Dumas.



Alexander Dumas ist ein schon ziemlich abgenutzter Name, ob¬
gleich er kaum zwölf Jahre der Unsterblichkeit zählt. Dennoch hal¬
ten wir ihn für bestimmt, fortzuleben, wenn nicht wegen seines innern
Werthes, so doch als Typus einer merkwürdigen Periode in der Ge¬
schichte des französischen Dramas. Die literarischen Revolutionen
sind unzertrennlich von den socialen, aber sie finden nicht zugleich mit
den letztem statt. Wenn die einen vollendet sind, fangen die andern
an, und vorzugsweise auf der Bühne zeigt sich die Umgestaltung des
socialen Zustandes eines Volks, so weit sie sich überhaupt durch die
Literatur verräth, am energischsten.

Wie aber die neue Gesellschaft, ehe sie die ihr passende Form
findet, eine Reihe ungeordneter Bewegungen durchzumachen hat, so
erleidet auch die Literatur, ehe sie sich mit dieser neuen Gesellschaft
in Einklang bringt, eine ähnliche revolutionäre Krisis und gelangt
nur zur Bildung einer, der gesellschaftlichen entsprechenden literarischen
Freiheit, indem sie den Weg dahin durch die vollkommenste Anar¬
chie suchen muß.

Darum ist auch die literarische oder, um uns auf die Bühne zu
beschränken, die dramatische Revolution, die in Frankreich in den
letzten Zeiten der Restauration begonnen hat, in ihrer Entwickelung
nicht ohne Analogie mit der 1789 begonnenen socialen Revolution
geblieben.

Von 1820 bis 1828 zeigte sich das Bedürfniß dramatischer
Neuerung mehr und mehr; man wünschte, man suchte und versuchte
neue Combinationen. Das Szepter Racine's und Corneille's war
den Händen der Dramatiker der Kaiserzeit entsunken und flößte
nicht mehr Achtung ein, als ehemals das Szepter Ludwigs XIV.
in der schwachen Hand Ludwig's XVI.; aber wenn man die Tradi-


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[0273] Alexander Dumas. Alexander Dumas ist ein schon ziemlich abgenutzter Name, ob¬ gleich er kaum zwölf Jahre der Unsterblichkeit zählt. Dennoch hal¬ ten wir ihn für bestimmt, fortzuleben, wenn nicht wegen seines innern Werthes, so doch als Typus einer merkwürdigen Periode in der Ge¬ schichte des französischen Dramas. Die literarischen Revolutionen sind unzertrennlich von den socialen, aber sie finden nicht zugleich mit den letztem statt. Wenn die einen vollendet sind, fangen die andern an, und vorzugsweise auf der Bühne zeigt sich die Umgestaltung des socialen Zustandes eines Volks, so weit sie sich überhaupt durch die Literatur verräth, am energischsten. Wie aber die neue Gesellschaft, ehe sie die ihr passende Form findet, eine Reihe ungeordneter Bewegungen durchzumachen hat, so erleidet auch die Literatur, ehe sie sich mit dieser neuen Gesellschaft in Einklang bringt, eine ähnliche revolutionäre Krisis und gelangt nur zur Bildung einer, der gesellschaftlichen entsprechenden literarischen Freiheit, indem sie den Weg dahin durch die vollkommenste Anar¬ chie suchen muß. Darum ist auch die literarische oder, um uns auf die Bühne zu beschränken, die dramatische Revolution, die in Frankreich in den letzten Zeiten der Restauration begonnen hat, in ihrer Entwickelung nicht ohne Analogie mit der 1789 begonnenen socialen Revolution geblieben. Von 1820 bis 1828 zeigte sich das Bedürfniß dramatischer Neuerung mehr und mehr; man wünschte, man suchte und versuchte neue Combinationen. Das Szepter Racine's und Corneille's war den Händen der Dramatiker der Kaiserzeit entsunken und flößte nicht mehr Achtung ein, als ehemals das Szepter Ludwigs XIV. in der schwachen Hand Ludwig's XVI.; aber wenn man die Tradi- Gr-nzbotcn Is4«. II. Z4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/273>, abgerufen am 23.07.2024.