Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Lorenzo's, und Elisa Seltikow, der Fürstin Pflegetochter; Beide Freun¬
dinnen. Wenn eines Theils die Ungebundenheit weiblicher Sitten
in Italien erst mit dem Eintritt in den Ehestand beginnt, so gehörte
ein so holdes züchtiges Mädchenbild', wie Marianna, dennoch
immer zu den Seltenheiten. Freilich war sie auch noch sehr jung,
nicht über siebzehn Jahre, und die Liebe zu Lorenzo hatte sie gleich
an der Grenze des kindlichen Alters als Palladium empfangen. Eli¬
sabeth Seltikow'S Lebensfrühling mußte sich schon zeitig mannichfachen
Stürmen beugen. Vater und einziger Bruder wurden in Folge
politischer Vergehungen nach Sibirien verbannt, als sie noch zu
-den Kindern zählte, und die kränkliche Mutter starb an diesen er¬
schütternden Ereignissen langsam dahin, ihre schutzlos zurückbleibende
Tochter der Mutter der Fürstin Mcmtini empfehlend, mit der sie in
gemeinschaftlicher Pension zu Moskau einst Jugendfreundschaft ge¬
schlossen hatte. In derselben Anstalt verlebte auch Elise einige Jahre,
großmüthig auch von der Fürstin unterstützt, nachdem diese selbst zur
Waise geworden, und später mit irgend einer günstigen Gelegenheit
zu ihr nach Italien geführt, wo es ihr vollkommen gelungen war,
sich die Liebe der theuern Wohlthäterin zu erringen.

Thomaso's Leidenschaft für sie, da ihn wohl frivolere Verbin¬
dungen gelockt, machte seinem Herzen alle Ehre, denn Elise besaß
mehr noch geistige Vorzüge als körperlichen Reiz, aber zu Beider
Glück konnte sie unter den obwaltenden Verhältnissen dennoch schwer¬
lich beitragen, im Gegentheil den sicheren Aufenthalt der so schutz¬
bedürftiger Jungfrau im fürstlich Mantinischm Palast nur gefährden.

-- Sagen Sie mir doch, wer ist die Dame dort mit dem an-
dalusischen Auge? fragte, nachdem man vom Tische aufgestanden,
Don Heri, der Premierminister, einen italienischen mit allen Neuig¬
keiten und scandalösen vertrauten Kavalier, der ihm oft zu referiren
pflegte; sie scheint mir gewaltig auf die Eroberung meines Neffen
Thomaso auszugehen.

-- Kennen Ercellenza die Marquise von Villa Garcia noch
nicht? entgegnete der Berichterstatter erstaunt; die, seit sie in Florenz
anwesend ist, unserer ganzen Männerwelt den Kopf verrückt?

-- El, el, und hier faßte Don Heri -- von welchem übrigens
wohl vermuthet werden kann, daß er sich in obiger Art nach Jemand
erkundigte, der ihm bereits nicht mehr fremd war -- scherzhaft an


Grenzboten I"44. II. Z2

Lorenzo's, und Elisa Seltikow, der Fürstin Pflegetochter; Beide Freun¬
dinnen. Wenn eines Theils die Ungebundenheit weiblicher Sitten
in Italien erst mit dem Eintritt in den Ehestand beginnt, so gehörte
ein so holdes züchtiges Mädchenbild', wie Marianna, dennoch
immer zu den Seltenheiten. Freilich war sie auch noch sehr jung,
nicht über siebzehn Jahre, und die Liebe zu Lorenzo hatte sie gleich
an der Grenze des kindlichen Alters als Palladium empfangen. Eli¬
sabeth Seltikow'S Lebensfrühling mußte sich schon zeitig mannichfachen
Stürmen beugen. Vater und einziger Bruder wurden in Folge
politischer Vergehungen nach Sibirien verbannt, als sie noch zu
-den Kindern zählte, und die kränkliche Mutter starb an diesen er¬
schütternden Ereignissen langsam dahin, ihre schutzlos zurückbleibende
Tochter der Mutter der Fürstin Mcmtini empfehlend, mit der sie in
gemeinschaftlicher Pension zu Moskau einst Jugendfreundschaft ge¬
schlossen hatte. In derselben Anstalt verlebte auch Elise einige Jahre,
großmüthig auch von der Fürstin unterstützt, nachdem diese selbst zur
Waise geworden, und später mit irgend einer günstigen Gelegenheit
zu ihr nach Italien geführt, wo es ihr vollkommen gelungen war,
sich die Liebe der theuern Wohlthäterin zu erringen.

Thomaso's Leidenschaft für sie, da ihn wohl frivolere Verbin¬
dungen gelockt, machte seinem Herzen alle Ehre, denn Elise besaß
mehr noch geistige Vorzüge als körperlichen Reiz, aber zu Beider
Glück konnte sie unter den obwaltenden Verhältnissen dennoch schwer¬
lich beitragen, im Gegentheil den sicheren Aufenthalt der so schutz¬
bedürftiger Jungfrau im fürstlich Mantinischm Palast nur gefährden.

— Sagen Sie mir doch, wer ist die Dame dort mit dem an-
dalusischen Auge? fragte, nachdem man vom Tische aufgestanden,
Don Heri, der Premierminister, einen italienischen mit allen Neuig¬
keiten und scandalösen vertrauten Kavalier, der ihm oft zu referiren
pflegte; sie scheint mir gewaltig auf die Eroberung meines Neffen
Thomaso auszugehen.

— Kennen Ercellenza die Marquise von Villa Garcia noch
nicht? entgegnete der Berichterstatter erstaunt; die, seit sie in Florenz
anwesend ist, unserer ganzen Männerwelt den Kopf verrückt?

— El, el, und hier faßte Don Heri — von welchem übrigens
wohl vermuthet werden kann, daß er sich in obiger Art nach Jemand
erkundigte, der ihm bereits nicht mehr fremd war — scherzhaft an


Grenzboten I«44. II. Z2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180816"/>
              <p xml:id="ID_587" prev="#ID_586"> Lorenzo's, und Elisa Seltikow, der Fürstin Pflegetochter; Beide Freun¬<lb/>
dinnen. Wenn eines Theils die Ungebundenheit weiblicher Sitten<lb/>
in Italien erst mit dem Eintritt in den Ehestand beginnt, so gehörte<lb/>
ein so holdes züchtiges Mädchenbild', wie Marianna, dennoch<lb/>
immer zu den Seltenheiten. Freilich war sie auch noch sehr jung,<lb/>
nicht über siebzehn Jahre, und die Liebe zu Lorenzo hatte sie gleich<lb/>
an der Grenze des kindlichen Alters als Palladium empfangen. Eli¬<lb/>
sabeth Seltikow'S Lebensfrühling mußte sich schon zeitig mannichfachen<lb/>
Stürmen beugen. Vater und einziger Bruder wurden in Folge<lb/>
politischer Vergehungen nach Sibirien verbannt, als sie noch zu<lb/>
-den Kindern zählte, und die kränkliche Mutter starb an diesen er¬<lb/>
schütternden Ereignissen langsam dahin, ihre schutzlos zurückbleibende<lb/>
Tochter der Mutter der Fürstin Mcmtini empfehlend, mit der sie in<lb/>
gemeinschaftlicher Pension zu Moskau einst Jugendfreundschaft ge¬<lb/>
schlossen hatte. In derselben Anstalt verlebte auch Elise einige Jahre,<lb/>
großmüthig auch von der Fürstin unterstützt, nachdem diese selbst zur<lb/>
Waise geworden, und später mit irgend einer günstigen Gelegenheit<lb/>
zu ihr nach Italien geführt, wo es ihr vollkommen gelungen war,<lb/>
sich die Liebe der theuern Wohlthäterin zu erringen.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_588"> Thomaso's Leidenschaft für sie, da ihn wohl frivolere Verbin¬<lb/>
dungen gelockt, machte seinem Herzen alle Ehre, denn Elise besaß<lb/>
mehr noch geistige Vorzüge als körperlichen Reiz, aber zu Beider<lb/>
Glück konnte sie unter den obwaltenden Verhältnissen dennoch schwer¬<lb/>
lich beitragen, im Gegentheil den sicheren Aufenthalt der so schutz¬<lb/>
bedürftiger Jungfrau im fürstlich Mantinischm Palast nur gefährden.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_589"> &#x2014; Sagen Sie mir doch, wer ist die Dame dort mit dem an-<lb/>
dalusischen Auge? fragte, nachdem man vom Tische aufgestanden,<lb/>
Don Heri, der Premierminister, einen italienischen mit allen Neuig¬<lb/>
keiten und scandalösen vertrauten Kavalier, der ihm oft zu referiren<lb/>
pflegte; sie scheint mir gewaltig auf die Eroberung meines Neffen<lb/>
Thomaso auszugehen.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_590"> &#x2014; Kennen Ercellenza die Marquise von Villa Garcia noch<lb/>
nicht? entgegnete der Berichterstatter erstaunt; die, seit sie in Florenz<lb/>
anwesend ist, unserer ganzen Männerwelt den Kopf verrückt?</p><lb/>
              <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> &#x2014; El, el, und hier faßte Don Heri &#x2014; von welchem übrigens<lb/>
wohl vermuthet werden kann, daß er sich in obiger Art nach Jemand<lb/>
erkundigte, der ihm bereits nicht mehr fremd war &#x2014; scherzhaft an</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I«44.  II. Z2</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] Lorenzo's, und Elisa Seltikow, der Fürstin Pflegetochter; Beide Freun¬ dinnen. Wenn eines Theils die Ungebundenheit weiblicher Sitten in Italien erst mit dem Eintritt in den Ehestand beginnt, so gehörte ein so holdes züchtiges Mädchenbild', wie Marianna, dennoch immer zu den Seltenheiten. Freilich war sie auch noch sehr jung, nicht über siebzehn Jahre, und die Liebe zu Lorenzo hatte sie gleich an der Grenze des kindlichen Alters als Palladium empfangen. Eli¬ sabeth Seltikow'S Lebensfrühling mußte sich schon zeitig mannichfachen Stürmen beugen. Vater und einziger Bruder wurden in Folge politischer Vergehungen nach Sibirien verbannt, als sie noch zu -den Kindern zählte, und die kränkliche Mutter starb an diesen er¬ schütternden Ereignissen langsam dahin, ihre schutzlos zurückbleibende Tochter der Mutter der Fürstin Mcmtini empfehlend, mit der sie in gemeinschaftlicher Pension zu Moskau einst Jugendfreundschaft ge¬ schlossen hatte. In derselben Anstalt verlebte auch Elise einige Jahre, großmüthig auch von der Fürstin unterstützt, nachdem diese selbst zur Waise geworden, und später mit irgend einer günstigen Gelegenheit zu ihr nach Italien geführt, wo es ihr vollkommen gelungen war, sich die Liebe der theuern Wohlthäterin zu erringen. Thomaso's Leidenschaft für sie, da ihn wohl frivolere Verbin¬ dungen gelockt, machte seinem Herzen alle Ehre, denn Elise besaß mehr noch geistige Vorzüge als körperlichen Reiz, aber zu Beider Glück konnte sie unter den obwaltenden Verhältnissen dennoch schwer¬ lich beitragen, im Gegentheil den sicheren Aufenthalt der so schutz¬ bedürftiger Jungfrau im fürstlich Mantinischm Palast nur gefährden. — Sagen Sie mir doch, wer ist die Dame dort mit dem an- dalusischen Auge? fragte, nachdem man vom Tische aufgestanden, Don Heri, der Premierminister, einen italienischen mit allen Neuig¬ keiten und scandalösen vertrauten Kavalier, der ihm oft zu referiren pflegte; sie scheint mir gewaltig auf die Eroberung meines Neffen Thomaso auszugehen. — Kennen Ercellenza die Marquise von Villa Garcia noch nicht? entgegnete der Berichterstatter erstaunt; die, seit sie in Florenz anwesend ist, unserer ganzen Männerwelt den Kopf verrückt? — El, el, und hier faßte Don Heri — von welchem übrigens wohl vermuthet werden kann, daß er sich in obiger Art nach Jemand erkundigte, der ihm bereits nicht mehr fremd war — scherzhaft an Grenzboten I«44. II. Z2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/257>, abgerufen am 23.12.2024.