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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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kommt dem deutschen Volke allmälig wieder zum Bewußtsein, daß eine
Nation, welche nicht auf dem Meere groß ist, Nichts bedeutet. Die
Geschichte predigt ihm laut, daß alle fteien, lebensvollen Nationen
sich auf dem Meere gestärkt und verjüngt haben. Mit Scham er¬
kennt es, einst die seetüchtigste Nation, jetzt auf dem Meere ein Spott
selbst der kleinen geworden zu sein." List sprach in seiner scharfen, feu¬
rigen Weise über "Helotenthum und Knechtschaft der Deutschen zur
See," und das Lächeln der Klugen über die phantastischen Illusionen
der nationalen verschwand, als man statistische Berechnungen anstellte
und zum größten Erstaunen fand, daß Deutschland eine größere
Gesammtflotte besitze, als Frankreich, ja daß die Weser¬
marine allein großer sei, als ein Viertheil der französischen
Gesammtmarine.

An diese Fragen schloß sich uoch ein echt nationales Thema
"über deutsche Kolonien", wozu namentlich der Ankauf der Ländereien
in Teras durch eine Gesellschaft von Fürsten und Adeligen Anstoß
gab. Bei dem bisherigen Auswanderungswesen gingen die Auswan¬
derer für unser 'Land gänzlich verloren. "Wann wird Deutschland
lernen", so fragte man sich, "daß die jetzige Auswanderung, die es
unbekümmert vor sich gehen läßt, es an Kapitalien und Arbeit arm
macht, und daß es die Aussicht auf Gründung deutscher Staaten in
anderen Welttheilen durch seine Sorglosigkeit wegwirft? Kann der
deutsche Bund nicht thun, was die belgische Regierung thut, Kom¬
missäre ausschicken, um über Kolonien, die von Gesellschaften zu grün¬
den wären, zu berichten, oder mindestens Nachricht über das Schick¬
sal der Auswanderer einzuziehen, zur Organisation der Auswanderung
beizutragen? Bisher verlor sich der Einzelne in der fremden Masse:
es gilt, Korporationen zu bilden, die fremdem Eindruck widerstehen
können." --

So hatten die politischen Blätter reichen, ja überreichen Stoff
zu besprechen. Die Theilnahme des Publicums, durch die vorherge¬
hende Periode des pikanten kosmopolitischen Liberalismus einmal ge¬
reizt, aber auch endlich übersättigt, fand hier neue Themen, der höch¬
sten Aufmerksamkeit werth: es waren die Interessen der Nation, welche
fortwährend debattirt wurden, es war darum auch Ehrensache der
wiedererwachten Nation, an der Debatte Theil zu nehmen, die Jour¬
nale zu lesen. Auch an einem äußeren Symbole des nett aufleben-


kommt dem deutschen Volke allmälig wieder zum Bewußtsein, daß eine
Nation, welche nicht auf dem Meere groß ist, Nichts bedeutet. Die
Geschichte predigt ihm laut, daß alle fteien, lebensvollen Nationen
sich auf dem Meere gestärkt und verjüngt haben. Mit Scham er¬
kennt es, einst die seetüchtigste Nation, jetzt auf dem Meere ein Spott
selbst der kleinen geworden zu sein." List sprach in seiner scharfen, feu¬
rigen Weise über „Helotenthum und Knechtschaft der Deutschen zur
See," und das Lächeln der Klugen über die phantastischen Illusionen
der nationalen verschwand, als man statistische Berechnungen anstellte
und zum größten Erstaunen fand, daß Deutschland eine größere
Gesammtflotte besitze, als Frankreich, ja daß die Weser¬
marine allein großer sei, als ein Viertheil der französischen
Gesammtmarine.

An diese Fragen schloß sich uoch ein echt nationales Thema
„über deutsche Kolonien", wozu namentlich der Ankauf der Ländereien
in Teras durch eine Gesellschaft von Fürsten und Adeligen Anstoß
gab. Bei dem bisherigen Auswanderungswesen gingen die Auswan¬
derer für unser 'Land gänzlich verloren. „Wann wird Deutschland
lernen", so fragte man sich, „daß die jetzige Auswanderung, die es
unbekümmert vor sich gehen läßt, es an Kapitalien und Arbeit arm
macht, und daß es die Aussicht auf Gründung deutscher Staaten in
anderen Welttheilen durch seine Sorglosigkeit wegwirft? Kann der
deutsche Bund nicht thun, was die belgische Regierung thut, Kom¬
missäre ausschicken, um über Kolonien, die von Gesellschaften zu grün¬
den wären, zu berichten, oder mindestens Nachricht über das Schick¬
sal der Auswanderer einzuziehen, zur Organisation der Auswanderung
beizutragen? Bisher verlor sich der Einzelne in der fremden Masse:
es gilt, Korporationen zu bilden, die fremdem Eindruck widerstehen
können." —

So hatten die politischen Blätter reichen, ja überreichen Stoff
zu besprechen. Die Theilnahme des Publicums, durch die vorherge¬
hende Periode des pikanten kosmopolitischen Liberalismus einmal ge¬
reizt, aber auch endlich übersättigt, fand hier neue Themen, der höch¬
sten Aufmerksamkeit werth: es waren die Interessen der Nation, welche
fortwährend debattirt wurden, es war darum auch Ehrensache der
wiedererwachten Nation, an der Debatte Theil zu nehmen, die Jour¬
nale zu lesen. Auch an einem äußeren Symbole des nett aufleben-


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[0222] kommt dem deutschen Volke allmälig wieder zum Bewußtsein, daß eine Nation, welche nicht auf dem Meere groß ist, Nichts bedeutet. Die Geschichte predigt ihm laut, daß alle fteien, lebensvollen Nationen sich auf dem Meere gestärkt und verjüngt haben. Mit Scham er¬ kennt es, einst die seetüchtigste Nation, jetzt auf dem Meere ein Spott selbst der kleinen geworden zu sein." List sprach in seiner scharfen, feu¬ rigen Weise über „Helotenthum und Knechtschaft der Deutschen zur See," und das Lächeln der Klugen über die phantastischen Illusionen der nationalen verschwand, als man statistische Berechnungen anstellte und zum größten Erstaunen fand, daß Deutschland eine größere Gesammtflotte besitze, als Frankreich, ja daß die Weser¬ marine allein großer sei, als ein Viertheil der französischen Gesammtmarine. An diese Fragen schloß sich uoch ein echt nationales Thema „über deutsche Kolonien", wozu namentlich der Ankauf der Ländereien in Teras durch eine Gesellschaft von Fürsten und Adeligen Anstoß gab. Bei dem bisherigen Auswanderungswesen gingen die Auswan¬ derer für unser 'Land gänzlich verloren. „Wann wird Deutschland lernen", so fragte man sich, „daß die jetzige Auswanderung, die es unbekümmert vor sich gehen läßt, es an Kapitalien und Arbeit arm macht, und daß es die Aussicht auf Gründung deutscher Staaten in anderen Welttheilen durch seine Sorglosigkeit wegwirft? Kann der deutsche Bund nicht thun, was die belgische Regierung thut, Kom¬ missäre ausschicken, um über Kolonien, die von Gesellschaften zu grün¬ den wären, zu berichten, oder mindestens Nachricht über das Schick¬ sal der Auswanderer einzuziehen, zur Organisation der Auswanderung beizutragen? Bisher verlor sich der Einzelne in der fremden Masse: es gilt, Korporationen zu bilden, die fremdem Eindruck widerstehen können." — So hatten die politischen Blätter reichen, ja überreichen Stoff zu besprechen. Die Theilnahme des Publicums, durch die vorherge¬ hende Periode des pikanten kosmopolitischen Liberalismus einmal ge¬ reizt, aber auch endlich übersättigt, fand hier neue Themen, der höch¬ sten Aufmerksamkeit werth: es waren die Interessen der Nation, welche fortwährend debattirt wurden, es war darum auch Ehrensache der wiedererwachten Nation, an der Debatte Theil zu nehmen, die Jour¬ nale zu lesen. Auch an einem äußeren Symbole des nett aufleben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/222>, abgerufen am 23.07.2024.