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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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auf dein zwei belgische Minister erschienen und sich nicht schämten, in
ihrer Muttersprache Reden zu halten" -- so hat ein Vlaming das
Wachsen der Bewegung geschildert.

Mit ähnlicher Entschiedenheit und gleichfalls siegreich war man
in Schleswig den Anmaßungen eines künstlich aufgepfropften Danis-
muö entgegengetreten. Schon die Worte, mit welchen der königliche
Commissär im December 1842 die Ständeversammlung zu Schleswig
schloß, --- "daß die staatsrechtliche Selbständigkeit des Herzogthums
Schleswig solle aufrecht erhalten werden," -- hatte einen hellen Wi¬
derklang in allen deutsch gesinnten Herzen des Landes gefunden. In"
Juni sang man auf dem Volksfeste zu Jevenstedt Arndt's: "Was
ist des Deutschen Vaterland?" Bei der Journalistenversammlung zu
Rendsburg bewährte sich eben so entschieden die Sympathie für die
engste Verknüpfung mit dem Stammlande, und man beschloß sogar,
zum äußeren Zeichen dieser Gesinnung die Asche Lornsen'ö vom Gen-
fersee in's Vaterland abholen zu lassen und dort demselben ein wür¬
diges Denkmal zu errichten.

Solche und ähnliche Vorfälle waren nicht verloren für Deutsch¬
land, für die deutsche Presse, sie zündeten, sie trugen wesentlich dazu
bei, unsere Journalistik, wo nicht zur nationalen Richtung hinzufüh¬
ren, doch dieselbe wesentlich darin zu kräftigen. Man sann plötzlich
nach, man erinnerte sich dessen, was Deutschland im Laufe der Zeit
verloren habe, man etymologisirte und fand -- sonst hatten es nur
todte, gelehrte Bücher gewußt, -- daß die französischen Städte- und
Dörfernamen des alten Burgund und Lothringen ursprünglich deutsch
geklungen, die erste deutsche Sprachkarte erschien, und die verlorenen
Provinzen des Westens und Nordens waren nicht vergessen auf der¬
selben. Auch der Humor fehlte bei der Sache nicht, namentlich an¬
geregt durch die verunglückte Feier des Vertrages von Verdün, aber
man fragte doch auch dabei ganz ernsthaft: Wo liegt Verdün? In
Frankreich. Wo lag es früher? In Deutschland -- und das Fest
wurde eine traurige, stille Gedächtnißfeier, ein politischer Allerseelen¬
tag, wobei wir in uns gingen und uns all der schönen deutschen
Gaue erinnerten, die uns seit Jahrhunderten entrissen worden.

Das Project einer deutschen Flotte, einer deutschen Flagge regte
nicht minder die Gemüther auf. Giehnc's Wochcnzeitung repräsentirt
die damalige Stimmung bei der Sache in folgenden Worten: "Es


auf dein zwei belgische Minister erschienen und sich nicht schämten, in
ihrer Muttersprache Reden zu halten" — so hat ein Vlaming das
Wachsen der Bewegung geschildert.

Mit ähnlicher Entschiedenheit und gleichfalls siegreich war man
in Schleswig den Anmaßungen eines künstlich aufgepfropften Danis-
muö entgegengetreten. Schon die Worte, mit welchen der königliche
Commissär im December 1842 die Ständeversammlung zu Schleswig
schloß, —- „daß die staatsrechtliche Selbständigkeit des Herzogthums
Schleswig solle aufrecht erhalten werden," — hatte einen hellen Wi¬
derklang in allen deutsch gesinnten Herzen des Landes gefunden. In»
Juni sang man auf dem Volksfeste zu Jevenstedt Arndt's: „Was
ist des Deutschen Vaterland?" Bei der Journalistenversammlung zu
Rendsburg bewährte sich eben so entschieden die Sympathie für die
engste Verknüpfung mit dem Stammlande, und man beschloß sogar,
zum äußeren Zeichen dieser Gesinnung die Asche Lornsen'ö vom Gen-
fersee in's Vaterland abholen zu lassen und dort demselben ein wür¬
diges Denkmal zu errichten.

Solche und ähnliche Vorfälle waren nicht verloren für Deutsch¬
land, für die deutsche Presse, sie zündeten, sie trugen wesentlich dazu
bei, unsere Journalistik, wo nicht zur nationalen Richtung hinzufüh¬
ren, doch dieselbe wesentlich darin zu kräftigen. Man sann plötzlich
nach, man erinnerte sich dessen, was Deutschland im Laufe der Zeit
verloren habe, man etymologisirte und fand — sonst hatten es nur
todte, gelehrte Bücher gewußt, — daß die französischen Städte- und
Dörfernamen des alten Burgund und Lothringen ursprünglich deutsch
geklungen, die erste deutsche Sprachkarte erschien, und die verlorenen
Provinzen des Westens und Nordens waren nicht vergessen auf der¬
selben. Auch der Humor fehlte bei der Sache nicht, namentlich an¬
geregt durch die verunglückte Feier des Vertrages von Verdün, aber
man fragte doch auch dabei ganz ernsthaft: Wo liegt Verdün? In
Frankreich. Wo lag es früher? In Deutschland — und das Fest
wurde eine traurige, stille Gedächtnißfeier, ein politischer Allerseelen¬
tag, wobei wir in uns gingen und uns all der schönen deutschen
Gaue erinnerten, die uns seit Jahrhunderten entrissen worden.

Das Project einer deutschen Flotte, einer deutschen Flagge regte
nicht minder die Gemüther auf. Giehnc's Wochcnzeitung repräsentirt
die damalige Stimmung bei der Sache in folgenden Worten: „Es


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[0221] auf dein zwei belgische Minister erschienen und sich nicht schämten, in ihrer Muttersprache Reden zu halten" — so hat ein Vlaming das Wachsen der Bewegung geschildert. Mit ähnlicher Entschiedenheit und gleichfalls siegreich war man in Schleswig den Anmaßungen eines künstlich aufgepfropften Danis- muö entgegengetreten. Schon die Worte, mit welchen der königliche Commissär im December 1842 die Ständeversammlung zu Schleswig schloß, —- „daß die staatsrechtliche Selbständigkeit des Herzogthums Schleswig solle aufrecht erhalten werden," — hatte einen hellen Wi¬ derklang in allen deutsch gesinnten Herzen des Landes gefunden. In» Juni sang man auf dem Volksfeste zu Jevenstedt Arndt's: „Was ist des Deutschen Vaterland?" Bei der Journalistenversammlung zu Rendsburg bewährte sich eben so entschieden die Sympathie für die engste Verknüpfung mit dem Stammlande, und man beschloß sogar, zum äußeren Zeichen dieser Gesinnung die Asche Lornsen'ö vom Gen- fersee in's Vaterland abholen zu lassen und dort demselben ein wür¬ diges Denkmal zu errichten. Solche und ähnliche Vorfälle waren nicht verloren für Deutsch¬ land, für die deutsche Presse, sie zündeten, sie trugen wesentlich dazu bei, unsere Journalistik, wo nicht zur nationalen Richtung hinzufüh¬ ren, doch dieselbe wesentlich darin zu kräftigen. Man sann plötzlich nach, man erinnerte sich dessen, was Deutschland im Laufe der Zeit verloren habe, man etymologisirte und fand — sonst hatten es nur todte, gelehrte Bücher gewußt, — daß die französischen Städte- und Dörfernamen des alten Burgund und Lothringen ursprünglich deutsch geklungen, die erste deutsche Sprachkarte erschien, und die verlorenen Provinzen des Westens und Nordens waren nicht vergessen auf der¬ selben. Auch der Humor fehlte bei der Sache nicht, namentlich an¬ geregt durch die verunglückte Feier des Vertrages von Verdün, aber man fragte doch auch dabei ganz ernsthaft: Wo liegt Verdün? In Frankreich. Wo lag es früher? In Deutschland — und das Fest wurde eine traurige, stille Gedächtnißfeier, ein politischer Allerseelen¬ tag, wobei wir in uns gingen und uns all der schönen deutschen Gaue erinnerten, die uns seit Jahrhunderten entrissen worden. Das Project einer deutschen Flotte, einer deutschen Flagge regte nicht minder die Gemüther auf. Giehnc's Wochcnzeitung repräsentirt die damalige Stimmung bei der Sache in folgenden Worten: „Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/221>, abgerufen am 23.12.2024.