Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Am 24. December 1842 hatte man in Preußen den Jahres¬ Am 24. December 1842 hatte man in Preußen den Jahres¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180774"/> <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Am 24. December 1842 hatte man in Preußen den Jahres¬<lb/> tag der freieren Presse gefeiert, preußische und sächsische Blätter durf¬<lb/> ten inländische Interessen mit einer Freimüthigkeit besprechen, tadeln,<lb/> persiffliren, wie man sich's ein paar Jahre früher in unserm lieben,<lb/> schleppfüßigen Vaterlande kaum hätte träumen lassen; Herwegh war,<lb/> gleich einem neuen Messias, durch die Hosianna rufenden, Palmen<lb/> streuenden deutschen Gauen gen Berlin gezogen; man sprach hin<lb/> und wieder schon von einer jährlich zu begehenden Herweghöfeier,<lb/> der Club der Freien an der Spree fristete sein Bestehen zum Aer-<lb/> ger aller ruhigen Leute, kurz, die Sonne des neuen Jahres schien<lb/> heiterer als je aufgehen zu wollen über den Häuptern der Liberalen,<lb/> — da brach statt dessen plötzlich die vernichtende Katastrophe herein.<lb/> Herwegh's Audienz beim Könige bildete den Wendepunkt; der feurige<lb/> Poet hatte vergessen, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen<lb/> essen ist, und der königliche Wunsch eines Tages von Damaskus ist<lb/> für ihn schier zu spät gekommen. Wir wollen kein weiteres Wort<lb/> verlieren über diese zum Ueberdrusse durchgesprochenen Begebenheiten;<lb/> für unsern Zweck genügt, daß sich von jenem Tage an die Grundsätze<lb/> des preußischen Guberniums als völlig ungeänderte kundgaben. —<lb/> Unmittelbar an Herwegh's Ausweisung knüpfte sich sür's Erste das<lb/> Debit-Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung, als eines,<lb/> „durchaus Preußen feindselig gesinnten" Blattes, dem sich nur ein paar<lb/> Tage später die Concesstonscntziehung der Deutschen Jahrbücher<lb/> anreihete. Rüge hatte eben erst öffentlich erklärt: „Es komme nunmehr<lb/> darauf an, das Nolksbewußtsein aus den Illusionen, worauf unser<lb/> jetziges politisches und religiöses Leben ruhe, emporzuheben, die Mas¬<lb/> sen in Bewegung zu setzen, die Kirche in die Schule zu verwandeln<lb/> und eine wirkliche, allen Pöbel absorbirende Volkserziehung daraus zu<lb/> organistren, das Militärwesen damit zu verschmelzen, das also ge¬<lb/> bildete und organisirte Volk sich selbst regieren und Justiz handhaben<lb/> zu lassen " Der Artikel schloß sodann damit, die Auflösung des<lb/> Liberalismus in Demokratismus zu proclamiren. Durch dieses<lb/> kurze Resum«- hatte es Rüge den Behörden schließlich noch recht<lb/> leicht gemacht, das Verbot der Jahrbücher dadurch zu rechtfertigen,<lb/> „daß sich dieselben nach allen Richtungen ein Verneinen ohne Maß<lb/> und Ziel zur Aufgabe gestellt hätten, so wie ein Unterwühlen aller<lb/> Fundamente des christlichen Staates." — Nun war einmal das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0215]
Am 24. December 1842 hatte man in Preußen den Jahres¬
tag der freieren Presse gefeiert, preußische und sächsische Blätter durf¬
ten inländische Interessen mit einer Freimüthigkeit besprechen, tadeln,
persiffliren, wie man sich's ein paar Jahre früher in unserm lieben,
schleppfüßigen Vaterlande kaum hätte träumen lassen; Herwegh war,
gleich einem neuen Messias, durch die Hosianna rufenden, Palmen
streuenden deutschen Gauen gen Berlin gezogen; man sprach hin
und wieder schon von einer jährlich zu begehenden Herweghöfeier,
der Club der Freien an der Spree fristete sein Bestehen zum Aer-
ger aller ruhigen Leute, kurz, die Sonne des neuen Jahres schien
heiterer als je aufgehen zu wollen über den Häuptern der Liberalen,
— da brach statt dessen plötzlich die vernichtende Katastrophe herein.
Herwegh's Audienz beim Könige bildete den Wendepunkt; der feurige
Poet hatte vergessen, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen
essen ist, und der königliche Wunsch eines Tages von Damaskus ist
für ihn schier zu spät gekommen. Wir wollen kein weiteres Wort
verlieren über diese zum Ueberdrusse durchgesprochenen Begebenheiten;
für unsern Zweck genügt, daß sich von jenem Tage an die Grundsätze
des preußischen Guberniums als völlig ungeänderte kundgaben. —
Unmittelbar an Herwegh's Ausweisung knüpfte sich sür's Erste das
Debit-Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung, als eines,
„durchaus Preußen feindselig gesinnten" Blattes, dem sich nur ein paar
Tage später die Concesstonscntziehung der Deutschen Jahrbücher
anreihete. Rüge hatte eben erst öffentlich erklärt: „Es komme nunmehr
darauf an, das Nolksbewußtsein aus den Illusionen, worauf unser
jetziges politisches und religiöses Leben ruhe, emporzuheben, die Mas¬
sen in Bewegung zu setzen, die Kirche in die Schule zu verwandeln
und eine wirkliche, allen Pöbel absorbirende Volkserziehung daraus zu
organistren, das Militärwesen damit zu verschmelzen, das also ge¬
bildete und organisirte Volk sich selbst regieren und Justiz handhaben
zu lassen " Der Artikel schloß sodann damit, die Auflösung des
Liberalismus in Demokratismus zu proclamiren. Durch dieses
kurze Resum«- hatte es Rüge den Behörden schließlich noch recht
leicht gemacht, das Verbot der Jahrbücher dadurch zu rechtfertigen,
„daß sich dieselben nach allen Richtungen ein Verneinen ohne Maß
und Ziel zur Aufgabe gestellt hätten, so wie ein Unterwühlen aller
Fundamente des christlichen Staates." — Nun war einmal das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |