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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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nur ein leiser Anflug von Melancholie dämpfte ihren Spiegel.
Emilie zeigte sich unbefangen und plauderte gern mit den Männern;
ihre Seele war zu rein, um prüde sein zu können.

Zur Seite der Componistin saß ein hübscher jugendlicher Mann
im weiten Kaftan von grünem Sammet, Baron R, ein Nachkomme
dessen, der mit Ankarström und Horn geloos't hatte, wer den König
erschießen solle. Wir konnten uns keinen munterem und liebenswür¬
digem Reisegenossen wünschen. R. wollte keinen Moment ohne Ge¬
nuß verfliegen lassen, und man sah es seiner hohen markigen Figur
an, daß ihm die physische Kraft gegeben sei, die zu solchem Stre¬
ben erfordert wird. Er war früher einer der berühmtesten Löwen
Stockholms; hundert Abenteuer, hundert pikante Novellen blitzten
in seinem dunklen Blick, und ein seiner Materialismus lag auf allen
Zügen. Vor Kurzem hatte R. ein blühend schönes Weib genommen,
und sowohl dies, als eine gediegene Bildung milderte seinen unge¬
stüm feurigen Sinn, wenn ihm auch zuweilen der Witz noch etwas
champagnerwild von den Lippen brauste. Aber immer war er frisch,
angeregt und geistvoll, die Schlaffheit kannte er nicht.

Auf der andern Seite des Tisches hatte sich zuerst ein Englän¬
der placirt, ein echter Engländer, der während des Essens für jede
Unterhaltung verloren ging. Sein Nachbar, ein junger Forstmann
aus Dänemark, war mir, seit ich das Schiff bestiegen, zutraulich
und freundlich entgegengekommen, und auch ich fand Vergnügen im
Umgang mit ihm. Nun folgte der geniale Violinspieler Nagel mit
seinem lebhaften Frauchen. Sie kamen von Amerika, wo er für sil¬
berne Töne goldene Realen eingetauscht, und beide befanden sich in
bester Laune. Nagel, ein Jude von Geburt, stammt aus Laibach
und wird von den Stockholmer Musikfreunden sehr geschätzt. Er ist
ein vollendet schöner Mann und spricht sieben Sprachen mit glei¬
cher Eleganz.

Neben Madame Nagel hatte ich Platz gefunden, und meine an¬
dere Nachbarin war eine junge Schwedin, von der ich nur erfuhr,
daß sie Maria hieße. Sie mochte kaum über achtzehn Jahre alt
sein, und man kann sich wirklich kein reizenderes Wesen denken. Der
schlanke und doch volle Wuchs; die unbeschreiblich feine Haut, durch
welche das Gewebe der Adern schimmerte; der Carmin ihrer Wein-


nur ein leiser Anflug von Melancholie dämpfte ihren Spiegel.
Emilie zeigte sich unbefangen und plauderte gern mit den Männern;
ihre Seele war zu rein, um prüde sein zu können.

Zur Seite der Componistin saß ein hübscher jugendlicher Mann
im weiten Kaftan von grünem Sammet, Baron R, ein Nachkomme
dessen, der mit Ankarström und Horn geloos't hatte, wer den König
erschießen solle. Wir konnten uns keinen munterem und liebenswür¬
digem Reisegenossen wünschen. R. wollte keinen Moment ohne Ge¬
nuß verfliegen lassen, und man sah es seiner hohen markigen Figur
an, daß ihm die physische Kraft gegeben sei, die zu solchem Stre¬
ben erfordert wird. Er war früher einer der berühmtesten Löwen
Stockholms; hundert Abenteuer, hundert pikante Novellen blitzten
in seinem dunklen Blick, und ein seiner Materialismus lag auf allen
Zügen. Vor Kurzem hatte R. ein blühend schönes Weib genommen,
und sowohl dies, als eine gediegene Bildung milderte seinen unge¬
stüm feurigen Sinn, wenn ihm auch zuweilen der Witz noch etwas
champagnerwild von den Lippen brauste. Aber immer war er frisch,
angeregt und geistvoll, die Schlaffheit kannte er nicht.

Auf der andern Seite des Tisches hatte sich zuerst ein Englän¬
der placirt, ein echter Engländer, der während des Essens für jede
Unterhaltung verloren ging. Sein Nachbar, ein junger Forstmann
aus Dänemark, war mir, seit ich das Schiff bestiegen, zutraulich
und freundlich entgegengekommen, und auch ich fand Vergnügen im
Umgang mit ihm. Nun folgte der geniale Violinspieler Nagel mit
seinem lebhaften Frauchen. Sie kamen von Amerika, wo er für sil¬
berne Töne goldene Realen eingetauscht, und beide befanden sich in
bester Laune. Nagel, ein Jude von Geburt, stammt aus Laibach
und wird von den Stockholmer Musikfreunden sehr geschätzt. Er ist
ein vollendet schöner Mann und spricht sieben Sprachen mit glei¬
cher Eleganz.

Neben Madame Nagel hatte ich Platz gefunden, und meine an¬
dere Nachbarin war eine junge Schwedin, von der ich nur erfuhr,
daß sie Maria hieße. Sie mochte kaum über achtzehn Jahre alt
sein, und man kann sich wirklich kein reizenderes Wesen denken. Der
schlanke und doch volle Wuchs; die unbeschreiblich feine Haut, durch
welche das Gewebe der Adern schimmerte; der Carmin ihrer Wein-


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[0133] nur ein leiser Anflug von Melancholie dämpfte ihren Spiegel. Emilie zeigte sich unbefangen und plauderte gern mit den Männern; ihre Seele war zu rein, um prüde sein zu können. Zur Seite der Componistin saß ein hübscher jugendlicher Mann im weiten Kaftan von grünem Sammet, Baron R, ein Nachkomme dessen, der mit Ankarström und Horn geloos't hatte, wer den König erschießen solle. Wir konnten uns keinen munterem und liebenswür¬ digem Reisegenossen wünschen. R. wollte keinen Moment ohne Ge¬ nuß verfliegen lassen, und man sah es seiner hohen markigen Figur an, daß ihm die physische Kraft gegeben sei, die zu solchem Stre¬ ben erfordert wird. Er war früher einer der berühmtesten Löwen Stockholms; hundert Abenteuer, hundert pikante Novellen blitzten in seinem dunklen Blick, und ein seiner Materialismus lag auf allen Zügen. Vor Kurzem hatte R. ein blühend schönes Weib genommen, und sowohl dies, als eine gediegene Bildung milderte seinen unge¬ stüm feurigen Sinn, wenn ihm auch zuweilen der Witz noch etwas champagnerwild von den Lippen brauste. Aber immer war er frisch, angeregt und geistvoll, die Schlaffheit kannte er nicht. Auf der andern Seite des Tisches hatte sich zuerst ein Englän¬ der placirt, ein echter Engländer, der während des Essens für jede Unterhaltung verloren ging. Sein Nachbar, ein junger Forstmann aus Dänemark, war mir, seit ich das Schiff bestiegen, zutraulich und freundlich entgegengekommen, und auch ich fand Vergnügen im Umgang mit ihm. Nun folgte der geniale Violinspieler Nagel mit seinem lebhaften Frauchen. Sie kamen von Amerika, wo er für sil¬ berne Töne goldene Realen eingetauscht, und beide befanden sich in bester Laune. Nagel, ein Jude von Geburt, stammt aus Laibach und wird von den Stockholmer Musikfreunden sehr geschätzt. Er ist ein vollendet schöner Mann und spricht sieben Sprachen mit glei¬ cher Eleganz. Neben Madame Nagel hatte ich Platz gefunden, und meine an¬ dere Nachbarin war eine junge Schwedin, von der ich nur erfuhr, daß sie Maria hieße. Sie mochte kaum über achtzehn Jahre alt sein, und man kann sich wirklich kein reizenderes Wesen denken. Der schlanke und doch volle Wuchs; die unbeschreiblich feine Haut, durch welche das Gewebe der Adern schimmerte; der Carmin ihrer Wein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/133>, abgerufen am 23.07.2024.