Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Svithiod" zeige bereits seine flatternde Rauchstandarte am Horizont.
Gegen sechs Uhr legte das Boot an, ich bestieg es und fühlte mich
ziemlich fremd und unheimlich darauf. Die Reisegesellschaft kam von
Lübeck; sie hatte bereits Leid und Freude mit einander durchlebt und
schien wenig geneigt, noch einen unerfahrenen Neophyten in ihre ge¬
schlossene Loge aufzunehmen. Solch Verhältniß hat immer etwas
Peinigendes. Mit mir schifften sich nur die Tyroler und etliche hun¬
dert Schweine ein, welche gepökelt waren -- nämlich die Schweine.

Nachdem ich die Präludien überstanden, wurden die Anker ge¬
lichtet. Das Wetter war schön, aber die See rauschte hoch, und auf
den blaugrünen Blättern der Wellen blühten silberweiße Schaum¬
lilien. Mehrere Passagiere sahen blaß aus, ihre Nasen traten spitz
hervor, und zuerst sielen die Tyroler der Seekrankheit anheim. Nep¬
tun mochte wohl ärgerlich sein, daß die Kinder der Berge sich in
sein Reich gewagt, und diese wünschten sich zu den höchsten Alpen
hin, wo die Lawine niederdonnert, wo Gebirgswasser sich gewaltsam
Bahn brechen, und wo die Nagelfluhe Alles, was ihr nahe kommt,
zu begraben droht. Es gibt keine unzuverlässigeren Ausdrücke, als
Muth und Gefahr -- das hängt eben nur von Gewohnheit ab.
Der allein ist muthig, der unerwarteten, nie gesehenen Schrecken mit
kühnem Auge und ruhigem Herzen entgegengeht.

Das Schiffsglöcklein läutete, wir wurden zum Frühstück gerufen.
So eine schwedische Frühkost entwickelt sich nicht ohne gewisse epische
Breite. Bald nach dem Aufstehen genießt man einen liop cassv me<I
8korrw>-, d. h. mit Zwieback, und zwei Stündchen später setzt man sich
an den vollständig gedeckten Tisch. Hier nimmt man zuerst einen
8"I>, nämlich ein Glas Kümmel- oder Anisbranntwein, dann trinkt
man Thee, ißt Butterbrod, Schinken, Wurst, Käse und Bier dazu,
und am Ende folgt noch ein ohren Kvtträtt-Beefsteaks, Cotelettes
oder dergleichen. Während der Mahlzeit zeigte sich die Gesellschaft
schon offener und zugänglicher; ich begriff nun, daß ich von interes¬
santen Charakteren umgeben sei, und diese Ueberzeugung machte mich
eben so heiter als entgegenkommend. Ich will ganz kurz die Sil¬
houetten einiger Personen zeichnen, welche der Zufall im Salon des
"Svithiod" vereinigt hatte.

Oben an der Tafel saß unser Capitain, ein hübscher Mann mit
jovialen Augen. Er hatte für jeden Passagier eine besondere Auf-


16 "

„Svithiod" zeige bereits seine flatternde Rauchstandarte am Horizont.
Gegen sechs Uhr legte das Boot an, ich bestieg es und fühlte mich
ziemlich fremd und unheimlich darauf. Die Reisegesellschaft kam von
Lübeck; sie hatte bereits Leid und Freude mit einander durchlebt und
schien wenig geneigt, noch einen unerfahrenen Neophyten in ihre ge¬
schlossene Loge aufzunehmen. Solch Verhältniß hat immer etwas
Peinigendes. Mit mir schifften sich nur die Tyroler und etliche hun¬
dert Schweine ein, welche gepökelt waren — nämlich die Schweine.

Nachdem ich die Präludien überstanden, wurden die Anker ge¬
lichtet. Das Wetter war schön, aber die See rauschte hoch, und auf
den blaugrünen Blättern der Wellen blühten silberweiße Schaum¬
lilien. Mehrere Passagiere sahen blaß aus, ihre Nasen traten spitz
hervor, und zuerst sielen die Tyroler der Seekrankheit anheim. Nep¬
tun mochte wohl ärgerlich sein, daß die Kinder der Berge sich in
sein Reich gewagt, und diese wünschten sich zu den höchsten Alpen
hin, wo die Lawine niederdonnert, wo Gebirgswasser sich gewaltsam
Bahn brechen, und wo die Nagelfluhe Alles, was ihr nahe kommt,
zu begraben droht. Es gibt keine unzuverlässigeren Ausdrücke, als
Muth und Gefahr — das hängt eben nur von Gewohnheit ab.
Der allein ist muthig, der unerwarteten, nie gesehenen Schrecken mit
kühnem Auge und ruhigem Herzen entgegengeht.

Das Schiffsglöcklein läutete, wir wurden zum Frühstück gerufen.
So eine schwedische Frühkost entwickelt sich nicht ohne gewisse epische
Breite. Bald nach dem Aufstehen genießt man einen liop cassv me<I
8korrw>-, d. h. mit Zwieback, und zwei Stündchen später setzt man sich
an den vollständig gedeckten Tisch. Hier nimmt man zuerst einen
8»I>, nämlich ein Glas Kümmel- oder Anisbranntwein, dann trinkt
man Thee, ißt Butterbrod, Schinken, Wurst, Käse und Bier dazu,
und am Ende folgt noch ein ohren Kvtträtt-Beefsteaks, Cotelettes
oder dergleichen. Während der Mahlzeit zeigte sich die Gesellschaft
schon offener und zugänglicher; ich begriff nun, daß ich von interes¬
santen Charakteren umgeben sei, und diese Ueberzeugung machte mich
eben so heiter als entgegenkommend. Ich will ganz kurz die Sil¬
houetten einiger Personen zeichnen, welche der Zufall im Salon des
„Svithiod" vereinigt hatte.

Oben an der Tafel saß unser Capitain, ein hübscher Mann mit
jovialen Augen. Er hatte für jeden Passagier eine besondere Auf-


16 »
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180690"/>
              <p xml:id="ID_289" prev="#ID_288"> &#x201E;Svithiod" zeige bereits seine flatternde Rauchstandarte am Horizont.<lb/>
Gegen sechs Uhr legte das Boot an, ich bestieg es und fühlte mich<lb/>
ziemlich fremd und unheimlich darauf. Die Reisegesellschaft kam von<lb/>
Lübeck; sie hatte bereits Leid und Freude mit einander durchlebt und<lb/>
schien wenig geneigt, noch einen unerfahrenen Neophyten in ihre ge¬<lb/>
schlossene Loge aufzunehmen. Solch Verhältniß hat immer etwas<lb/>
Peinigendes. Mit mir schifften sich nur die Tyroler und etliche hun¬<lb/>
dert Schweine ein, welche gepökelt waren &#x2014; nämlich die Schweine.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_290"> Nachdem ich die Präludien überstanden, wurden die Anker ge¬<lb/>
lichtet. Das Wetter war schön, aber die See rauschte hoch, und auf<lb/>
den blaugrünen Blättern der Wellen blühten silberweiße Schaum¬<lb/>
lilien. Mehrere Passagiere sahen blaß aus, ihre Nasen traten spitz<lb/>
hervor, und zuerst sielen die Tyroler der Seekrankheit anheim. Nep¬<lb/>
tun mochte wohl ärgerlich sein, daß die Kinder der Berge sich in<lb/>
sein Reich gewagt, und diese wünschten sich zu den höchsten Alpen<lb/>
hin, wo die Lawine niederdonnert, wo Gebirgswasser sich gewaltsam<lb/>
Bahn brechen, und wo die Nagelfluhe Alles, was ihr nahe kommt,<lb/>
zu begraben droht. Es gibt keine unzuverlässigeren Ausdrücke, als<lb/>
Muth und Gefahr &#x2014; das hängt eben nur von Gewohnheit ab.<lb/>
Der allein ist muthig, der unerwarteten, nie gesehenen Schrecken mit<lb/>
kühnem Auge und ruhigem Herzen entgegengeht.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_291"> Das Schiffsglöcklein läutete, wir wurden zum Frühstück gerufen.<lb/>
So eine schwedische Frühkost entwickelt sich nicht ohne gewisse epische<lb/>
Breite. Bald nach dem Aufstehen genießt man einen liop cassv me&lt;I<lb/>
8korrw&gt;-, d. h. mit Zwieback, und zwei Stündchen später setzt man sich<lb/>
an den vollständig gedeckten Tisch. Hier nimmt man zuerst einen<lb/>
8»I&gt;, nämlich ein Glas Kümmel- oder Anisbranntwein, dann trinkt<lb/>
man Thee, ißt Butterbrod, Schinken, Wurst, Käse und Bier dazu,<lb/>
und am Ende folgt noch ein ohren Kvtträtt-Beefsteaks, Cotelettes<lb/>
oder dergleichen. Während der Mahlzeit zeigte sich die Gesellschaft<lb/>
schon offener und zugänglicher; ich begriff nun, daß ich von interes¬<lb/>
santen Charakteren umgeben sei, und diese Ueberzeugung machte mich<lb/>
eben so heiter als entgegenkommend. Ich will ganz kurz die Sil¬<lb/>
houetten einiger Personen zeichnen, welche der Zufall im Salon des<lb/>
&#x201E;Svithiod" vereinigt hatte.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Oben an der Tafel saß unser Capitain, ein hübscher Mann mit<lb/>
jovialen Augen. Er hatte für jeden Passagier eine besondere Auf-</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> 16 »</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] „Svithiod" zeige bereits seine flatternde Rauchstandarte am Horizont. Gegen sechs Uhr legte das Boot an, ich bestieg es und fühlte mich ziemlich fremd und unheimlich darauf. Die Reisegesellschaft kam von Lübeck; sie hatte bereits Leid und Freude mit einander durchlebt und schien wenig geneigt, noch einen unerfahrenen Neophyten in ihre ge¬ schlossene Loge aufzunehmen. Solch Verhältniß hat immer etwas Peinigendes. Mit mir schifften sich nur die Tyroler und etliche hun¬ dert Schweine ein, welche gepökelt waren — nämlich die Schweine. Nachdem ich die Präludien überstanden, wurden die Anker ge¬ lichtet. Das Wetter war schön, aber die See rauschte hoch, und auf den blaugrünen Blättern der Wellen blühten silberweiße Schaum¬ lilien. Mehrere Passagiere sahen blaß aus, ihre Nasen traten spitz hervor, und zuerst sielen die Tyroler der Seekrankheit anheim. Nep¬ tun mochte wohl ärgerlich sein, daß die Kinder der Berge sich in sein Reich gewagt, und diese wünschten sich zu den höchsten Alpen hin, wo die Lawine niederdonnert, wo Gebirgswasser sich gewaltsam Bahn brechen, und wo die Nagelfluhe Alles, was ihr nahe kommt, zu begraben droht. Es gibt keine unzuverlässigeren Ausdrücke, als Muth und Gefahr — das hängt eben nur von Gewohnheit ab. Der allein ist muthig, der unerwarteten, nie gesehenen Schrecken mit kühnem Auge und ruhigem Herzen entgegengeht. Das Schiffsglöcklein läutete, wir wurden zum Frühstück gerufen. So eine schwedische Frühkost entwickelt sich nicht ohne gewisse epische Breite. Bald nach dem Aufstehen genießt man einen liop cassv me<I 8korrw>-, d. h. mit Zwieback, und zwei Stündchen später setzt man sich an den vollständig gedeckten Tisch. Hier nimmt man zuerst einen 8»I>, nämlich ein Glas Kümmel- oder Anisbranntwein, dann trinkt man Thee, ißt Butterbrod, Schinken, Wurst, Käse und Bier dazu, und am Ende folgt noch ein ohren Kvtträtt-Beefsteaks, Cotelettes oder dergleichen. Während der Mahlzeit zeigte sich die Gesellschaft schon offener und zugänglicher; ich begriff nun, daß ich von interes¬ santen Charakteren umgeben sei, und diese Ueberzeugung machte mich eben so heiter als entgegenkommend. Ich will ganz kurz die Sil¬ houetten einiger Personen zeichnen, welche der Zufall im Salon des „Svithiod" vereinigt hatte. Oben an der Tafel saß unser Capitain, ein hübscher Mann mit jovialen Augen. Er hatte für jeden Passagier eine besondere Auf- 16 »

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/131>, abgerufen am 23.07.2024.