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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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schwand indessen, hinter uns, wir waren Stundenlang nur von Him¬
mel und Wasser umgeben; allein wir bemerkten es kaum, denn spie¬
gelglatt lag die See, einem silbernen Binnenwasser vergleichbar. Der
Berliner Kammermusikus, der die Reise mitmachte, war sogar halb
und halb ärgerlich, denn er meinte: ein ganz kleines Stürmchen hätte
er doch gern erlebt.

Während uns die Zeit in Scherz und Lust vorübergaukelte, hob
sich das schwedische Ufer aus den Wellen empor, und bei Sonnen¬
untergang landeten wir im Hafen von Ystadt. Es ist das ein klei¬
ner engbrüstiger Ort mit einem einzigen Kirchthurm, aber lautes Re¬
gen und Treiben wogte vom Quai bis zum Gasthofe hinauf. Im
Menschengewühl sah ich sogar eine cigarrenrauchende Dame, und
wie man sich im fremden Lande aller heimathlichen Spuren freut,
so begrüßte ich hier gerne diese Vorläuferin der Frauenemancipation.
Aus dem Hotel rauschte mir ebenfalls eine helle Munterkeit entgegen,
die Sprachen mancher Völker tummelten sich durcheinander, und in
der Mitte stand Herr Lund, des Hauses ehrlicher Wirth, stets be¬
müht, die tausend obwaltenden Mißverständnisse auszugleichen.

Es gibt immer ein sonderbares Gefühl, wenn man sich Abends
in einem Lande findet, das durch und durch verschieden ist von dem,
welches man Morgens verlassen hat. Und Schweden tritt gleich sehr
charakterfest auf; die kleinsten Sitten und Zustände äußern sich sehr
rationell, es fehlt jener leise schattirte Uebergang, den man bei Völ¬
kerschaften sieht, die nur durch polirische Grenzen von einander ge¬
schieden sind. Wie gesagt, das Land stellt sich von Hause aus u"
sprünglich und eigen dar, aber die Erwartung einer gewissen rauhen
Kälte und Stille der Bewohner, welche ich mitgebracht, sollte schon
in Ystadt vertilgt werden. Im Hausflur und auf der Treppe rausch¬
ten seidene Gewänder an mir vorbei; ich sah hohe Damengestalten,
schlanke Taillen und lachende Augen. Das Halbdunkel mehrte den
Reiz der Neuheit noch, und ich war ganz trunken vor Ueberraschung.
als mich ein Sonnenschirm-Fächer neckend auf die Schulter traf.

Mein Zimmer lag vom heraus, die Fenster beherrschten weit
den Meeresspiegel, und ich fand dasselbe für ein kleines Hafenstädt¬
chen recht gut mit Sopha, Lehnstühlen und Himmelbett eingerichtet.
Unter der Mousselinwolke deö Letzteren schlief ich vortrefflich, bis Herr
Lund mich früh mit der Sonne weckte, um mir anzukündigen: der


schwand indessen, hinter uns, wir waren Stundenlang nur von Him¬
mel und Wasser umgeben; allein wir bemerkten es kaum, denn spie¬
gelglatt lag die See, einem silbernen Binnenwasser vergleichbar. Der
Berliner Kammermusikus, der die Reise mitmachte, war sogar halb
und halb ärgerlich, denn er meinte: ein ganz kleines Stürmchen hätte
er doch gern erlebt.

Während uns die Zeit in Scherz und Lust vorübergaukelte, hob
sich das schwedische Ufer aus den Wellen empor, und bei Sonnen¬
untergang landeten wir im Hafen von Ystadt. Es ist das ein klei¬
ner engbrüstiger Ort mit einem einzigen Kirchthurm, aber lautes Re¬
gen und Treiben wogte vom Quai bis zum Gasthofe hinauf. Im
Menschengewühl sah ich sogar eine cigarrenrauchende Dame, und
wie man sich im fremden Lande aller heimathlichen Spuren freut,
so begrüßte ich hier gerne diese Vorläuferin der Frauenemancipation.
Aus dem Hotel rauschte mir ebenfalls eine helle Munterkeit entgegen,
die Sprachen mancher Völker tummelten sich durcheinander, und in
der Mitte stand Herr Lund, des Hauses ehrlicher Wirth, stets be¬
müht, die tausend obwaltenden Mißverständnisse auszugleichen.

Es gibt immer ein sonderbares Gefühl, wenn man sich Abends
in einem Lande findet, das durch und durch verschieden ist von dem,
welches man Morgens verlassen hat. Und Schweden tritt gleich sehr
charakterfest auf; die kleinsten Sitten und Zustände äußern sich sehr
rationell, es fehlt jener leise schattirte Uebergang, den man bei Völ¬
kerschaften sieht, die nur durch polirische Grenzen von einander ge¬
schieden sind. Wie gesagt, das Land stellt sich von Hause aus u»
sprünglich und eigen dar, aber die Erwartung einer gewissen rauhen
Kälte und Stille der Bewohner, welche ich mitgebracht, sollte schon
in Ystadt vertilgt werden. Im Hausflur und auf der Treppe rausch¬
ten seidene Gewänder an mir vorbei; ich sah hohe Damengestalten,
schlanke Taillen und lachende Augen. Das Halbdunkel mehrte den
Reiz der Neuheit noch, und ich war ganz trunken vor Ueberraschung.
als mich ein Sonnenschirm-Fächer neckend auf die Schulter traf.

Mein Zimmer lag vom heraus, die Fenster beherrschten weit
den Meeresspiegel, und ich fand dasselbe für ein kleines Hafenstädt¬
chen recht gut mit Sopha, Lehnstühlen und Himmelbett eingerichtet.
Unter der Mousselinwolke deö Letzteren schlief ich vortrefflich, bis Herr
Lund mich früh mit der Sonne weckte, um mir anzukündigen: der


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[0130] schwand indessen, hinter uns, wir waren Stundenlang nur von Him¬ mel und Wasser umgeben; allein wir bemerkten es kaum, denn spie¬ gelglatt lag die See, einem silbernen Binnenwasser vergleichbar. Der Berliner Kammermusikus, der die Reise mitmachte, war sogar halb und halb ärgerlich, denn er meinte: ein ganz kleines Stürmchen hätte er doch gern erlebt. Während uns die Zeit in Scherz und Lust vorübergaukelte, hob sich das schwedische Ufer aus den Wellen empor, und bei Sonnen¬ untergang landeten wir im Hafen von Ystadt. Es ist das ein klei¬ ner engbrüstiger Ort mit einem einzigen Kirchthurm, aber lautes Re¬ gen und Treiben wogte vom Quai bis zum Gasthofe hinauf. Im Menschengewühl sah ich sogar eine cigarrenrauchende Dame, und wie man sich im fremden Lande aller heimathlichen Spuren freut, so begrüßte ich hier gerne diese Vorläuferin der Frauenemancipation. Aus dem Hotel rauschte mir ebenfalls eine helle Munterkeit entgegen, die Sprachen mancher Völker tummelten sich durcheinander, und in der Mitte stand Herr Lund, des Hauses ehrlicher Wirth, stets be¬ müht, die tausend obwaltenden Mißverständnisse auszugleichen. Es gibt immer ein sonderbares Gefühl, wenn man sich Abends in einem Lande findet, das durch und durch verschieden ist von dem, welches man Morgens verlassen hat. Und Schweden tritt gleich sehr charakterfest auf; die kleinsten Sitten und Zustände äußern sich sehr rationell, es fehlt jener leise schattirte Uebergang, den man bei Völ¬ kerschaften sieht, die nur durch polirische Grenzen von einander ge¬ schieden sind. Wie gesagt, das Land stellt sich von Hause aus u» sprünglich und eigen dar, aber die Erwartung einer gewissen rauhen Kälte und Stille der Bewohner, welche ich mitgebracht, sollte schon in Ystadt vertilgt werden. Im Hausflur und auf der Treppe rausch¬ ten seidene Gewänder an mir vorbei; ich sah hohe Damengestalten, schlanke Taillen und lachende Augen. Das Halbdunkel mehrte den Reiz der Neuheit noch, und ich war ganz trunken vor Ueberraschung. als mich ein Sonnenschirm-Fächer neckend auf die Schulter traf. Mein Zimmer lag vom heraus, die Fenster beherrschten weit den Meeresspiegel, und ich fand dasselbe für ein kleines Hafenstädt¬ chen recht gut mit Sopha, Lehnstühlen und Himmelbett eingerichtet. Unter der Mousselinwolke deö Letzteren schlief ich vortrefflich, bis Herr Lund mich früh mit der Sonne weckte, um mir anzukündigen: der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/130>, abgerufen am 23.07.2024.