Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Producte des Denkens, die von wirklichen Verhältnissen abgezo¬
genen Schemen, denen nur eine besondere und ganz aparte Wahr¬
heit zugeschrieben wird. Dabei ist aber alles Liebenswürdige der Re,
ligion, jenes subjective Interesse der Erbauung und Stärkung durch
den Glauben abgestreift, wodurch der Mensch immer wieder in die
ursprüngliche Verwandtschaft mit dem Himmel tritt. Dürrer und
finsterer, als die dürftigste und armseligste Dogmatik aus den ersten
Zeiten nach der Reformation, läßt das System keine Begeisterung
zu, als die der Pedanten und Consequenzenmacher. Der feurige und
thatkräftige Fanatismus der Religion ist in den Fanatismus der
Phrasen umgewandelt! --

Wenn man einmal, ohne den Vorsatz, um jeden Preis ein He¬
gelianer werden zu wollen, an die Logik geht und die einzelnen Ka¬
tegorien derselben wahrhaft zu verinnerlichen und in Fleisch und
Blut umzusetzen keine Mühe scheut, so bleibt die innere Hohlheit der¬
selben nicht lange verborgen, --> Ewig dasselbe Nichts, das aus tau¬
send Larven den Forscher anstiert! Man hat oft darüber gestritten
und gespöttelt, wie die Einheit von Sein und Nichtsein denkbar. Dem
lag aber ein totaler Mißverstand zu Grunde. Dieses Sein, der reine
Ausdruck des reinen Gedankens, ist schon an und für sich selbst nicht
mehr, als das Nichts. -- Aller Inhalt, alle Unterschiede sind vorher
beseitigt worden, und nun ist diese Identität nur natürlich. Man
dachte beim Sein aber immer noch an ein Seiendes, weil man nicht
begreifen wollte, wie da noch vom Sein die Rede sein könne, wo in
Wahrheit nur daS absolute Nichts gemeint wird. Diese verkehrte
Nomenclatur ist nun aber einmal die spezifische Eigenthümlichkeit die¬
ser Philosophie, die etwa an jene Eigenthümlichkeit der Wirthe erin¬
nert, die einen und denselben Wein unter den verschiedensten Namen
und zu den verschiedensten Preisen ihren Gästen schenken. -- Viel¬
mehr ist eine ganz andere Frage aufzuwerfen: die nach dem Unter¬
schiede von diesem Sein und dem Nichtsein, Beantworten wir sie
aber wohl irrig, wenn wir den verschiedenen Klang der Bezeich-'
mung als seinen einzigen Grund angeben? Wer kaum der Worte
genug zu finden weiß, um die Verachtung der Aeußerlichkeit und ih¬
rer Trivialitäten an den Tag zu legen, wie der Philosoph -- dein
geschieht schon Recht, wenn sie ihm wider Willen und Wissen einen
neckischen Streich spielt. Wohl soll von allem und jedem Unterschied


die Producte des Denkens, die von wirklichen Verhältnissen abgezo¬
genen Schemen, denen nur eine besondere und ganz aparte Wahr¬
heit zugeschrieben wird. Dabei ist aber alles Liebenswürdige der Re,
ligion, jenes subjective Interesse der Erbauung und Stärkung durch
den Glauben abgestreift, wodurch der Mensch immer wieder in die
ursprüngliche Verwandtschaft mit dem Himmel tritt. Dürrer und
finsterer, als die dürftigste und armseligste Dogmatik aus den ersten
Zeiten nach der Reformation, läßt das System keine Begeisterung
zu, als die der Pedanten und Consequenzenmacher. Der feurige und
thatkräftige Fanatismus der Religion ist in den Fanatismus der
Phrasen umgewandelt! —

Wenn man einmal, ohne den Vorsatz, um jeden Preis ein He¬
gelianer werden zu wollen, an die Logik geht und die einzelnen Ka¬
tegorien derselben wahrhaft zu verinnerlichen und in Fleisch und
Blut umzusetzen keine Mühe scheut, so bleibt die innere Hohlheit der¬
selben nicht lange verborgen, —> Ewig dasselbe Nichts, das aus tau¬
send Larven den Forscher anstiert! Man hat oft darüber gestritten
und gespöttelt, wie die Einheit von Sein und Nichtsein denkbar. Dem
lag aber ein totaler Mißverstand zu Grunde. Dieses Sein, der reine
Ausdruck des reinen Gedankens, ist schon an und für sich selbst nicht
mehr, als das Nichts. — Aller Inhalt, alle Unterschiede sind vorher
beseitigt worden, und nun ist diese Identität nur natürlich. Man
dachte beim Sein aber immer noch an ein Seiendes, weil man nicht
begreifen wollte, wie da noch vom Sein die Rede sein könne, wo in
Wahrheit nur daS absolute Nichts gemeint wird. Diese verkehrte
Nomenclatur ist nun aber einmal die spezifische Eigenthümlichkeit die¬
ser Philosophie, die etwa an jene Eigenthümlichkeit der Wirthe erin¬
nert, die einen und denselben Wein unter den verschiedensten Namen
und zu den verschiedensten Preisen ihren Gästen schenken. — Viel¬
mehr ist eine ganz andere Frage aufzuwerfen: die nach dem Unter¬
schiede von diesem Sein und dem Nichtsein, Beantworten wir sie
aber wohl irrig, wenn wir den verschiedenen Klang der Bezeich-'
mung als seinen einzigen Grund angeben? Wer kaum der Worte
genug zu finden weiß, um die Verachtung der Aeußerlichkeit und ih¬
rer Trivialitäten an den Tag zu legen, wie der Philosoph — dein
geschieht schon Recht, wenn sie ihm wider Willen und Wissen einen
neckischen Streich spielt. Wohl soll von allem und jedem Unterschied


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180677"/>
            <p xml:id="ID_252" prev="#ID_251"> die Producte des Denkens, die von wirklichen Verhältnissen abgezo¬<lb/>
genen Schemen, denen nur eine besondere und ganz aparte Wahr¬<lb/>
heit zugeschrieben wird. Dabei ist aber alles Liebenswürdige der Re,<lb/>
ligion, jenes subjective Interesse der Erbauung und Stärkung durch<lb/>
den Glauben abgestreift, wodurch der Mensch immer wieder in die<lb/>
ursprüngliche Verwandtschaft mit dem Himmel tritt. Dürrer und<lb/>
finsterer, als die dürftigste und armseligste Dogmatik aus den ersten<lb/>
Zeiten nach der Reformation, läßt das System keine Begeisterung<lb/>
zu, als die der Pedanten und Consequenzenmacher. Der feurige und<lb/>
thatkräftige Fanatismus der Religion ist in den Fanatismus der<lb/>
Phrasen umgewandelt! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_253" next="#ID_254"> Wenn man einmal, ohne den Vorsatz, um jeden Preis ein He¬<lb/>
gelianer werden zu wollen, an die Logik geht und die einzelnen Ka¬<lb/>
tegorien derselben wahrhaft zu verinnerlichen und in Fleisch und<lb/>
Blut umzusetzen keine Mühe scheut, so bleibt die innere Hohlheit der¬<lb/>
selben nicht lange verborgen, &#x2014;&gt; Ewig dasselbe Nichts, das aus tau¬<lb/>
send Larven den Forscher anstiert! Man hat oft darüber gestritten<lb/>
und gespöttelt, wie die Einheit von Sein und Nichtsein denkbar. Dem<lb/>
lag aber ein totaler Mißverstand zu Grunde. Dieses Sein, der reine<lb/>
Ausdruck des reinen Gedankens, ist schon an und für sich selbst nicht<lb/>
mehr, als das Nichts. &#x2014; Aller Inhalt, alle Unterschiede sind vorher<lb/>
beseitigt worden, und nun ist diese Identität nur natürlich. Man<lb/>
dachte beim Sein aber immer noch an ein Seiendes, weil man nicht<lb/>
begreifen wollte, wie da noch vom Sein die Rede sein könne, wo in<lb/>
Wahrheit nur daS absolute Nichts gemeint wird. Diese verkehrte<lb/>
Nomenclatur ist nun aber einmal die spezifische Eigenthümlichkeit die¬<lb/>
ser Philosophie, die etwa an jene Eigenthümlichkeit der Wirthe erin¬<lb/>
nert, die einen und denselben Wein unter den verschiedensten Namen<lb/>
und zu den verschiedensten Preisen ihren Gästen schenken. &#x2014; Viel¬<lb/>
mehr ist eine ganz andere Frage aufzuwerfen: die nach dem Unter¬<lb/>
schiede von diesem Sein und dem Nichtsein, Beantworten wir sie<lb/>
aber wohl irrig, wenn wir den verschiedenen Klang der Bezeich-'<lb/>
mung als seinen einzigen Grund angeben? Wer kaum der Worte<lb/>
genug zu finden weiß, um die Verachtung der Aeußerlichkeit und ih¬<lb/>
rer Trivialitäten an den Tag zu legen, wie der Philosoph &#x2014; dein<lb/>
geschieht schon Recht, wenn sie ihm wider Willen und Wissen einen<lb/>
neckischen Streich spielt. Wohl soll von allem und jedem Unterschied</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] die Producte des Denkens, die von wirklichen Verhältnissen abgezo¬ genen Schemen, denen nur eine besondere und ganz aparte Wahr¬ heit zugeschrieben wird. Dabei ist aber alles Liebenswürdige der Re, ligion, jenes subjective Interesse der Erbauung und Stärkung durch den Glauben abgestreift, wodurch der Mensch immer wieder in die ursprüngliche Verwandtschaft mit dem Himmel tritt. Dürrer und finsterer, als die dürftigste und armseligste Dogmatik aus den ersten Zeiten nach der Reformation, läßt das System keine Begeisterung zu, als die der Pedanten und Consequenzenmacher. Der feurige und thatkräftige Fanatismus der Religion ist in den Fanatismus der Phrasen umgewandelt! — Wenn man einmal, ohne den Vorsatz, um jeden Preis ein He¬ gelianer werden zu wollen, an die Logik geht und die einzelnen Ka¬ tegorien derselben wahrhaft zu verinnerlichen und in Fleisch und Blut umzusetzen keine Mühe scheut, so bleibt die innere Hohlheit der¬ selben nicht lange verborgen, —> Ewig dasselbe Nichts, das aus tau¬ send Larven den Forscher anstiert! Man hat oft darüber gestritten und gespöttelt, wie die Einheit von Sein und Nichtsein denkbar. Dem lag aber ein totaler Mißverstand zu Grunde. Dieses Sein, der reine Ausdruck des reinen Gedankens, ist schon an und für sich selbst nicht mehr, als das Nichts. — Aller Inhalt, alle Unterschiede sind vorher beseitigt worden, und nun ist diese Identität nur natürlich. Man dachte beim Sein aber immer noch an ein Seiendes, weil man nicht begreifen wollte, wie da noch vom Sein die Rede sein könne, wo in Wahrheit nur daS absolute Nichts gemeint wird. Diese verkehrte Nomenclatur ist nun aber einmal die spezifische Eigenthümlichkeit die¬ ser Philosophie, die etwa an jene Eigenthümlichkeit der Wirthe erin¬ nert, die einen und denselben Wein unter den verschiedensten Namen und zu den verschiedensten Preisen ihren Gästen schenken. — Viel¬ mehr ist eine ganz andere Frage aufzuwerfen: die nach dem Unter¬ schiede von diesem Sein und dem Nichtsein, Beantworten wir sie aber wohl irrig, wenn wir den verschiedenen Klang der Bezeich-' mung als seinen einzigen Grund angeben? Wer kaum der Worte genug zu finden weiß, um die Verachtung der Aeußerlichkeit und ih¬ rer Trivialitäten an den Tag zu legen, wie der Philosoph — dein geschieht schon Recht, wenn sie ihm wider Willen und Wissen einen neckischen Streich spielt. Wohl soll von allem und jedem Unterschied

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/118>, abgerufen am 23.12.2024.