Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.eben auch Nichts schauen konnte. Man braucht nur die klaren und In den gesunden Sinnen besitzt der Mensch das unwiderlegliche "Es ist die Logik als das System der reinen Vernunft, als das *) Siehe Hegel loß. I. S. "3. 14"
eben auch Nichts schauen konnte. Man braucht nur die klaren und In den gesunden Sinnen besitzt der Mensch das unwiderlegliche „Es ist die Logik als das System der reinen Vernunft, als das *) Siehe Hegel loß. I. S. »3. 14»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180674"/> <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> eben auch Nichts schauen konnte. Man braucht nur die klaren und<lb/> scharfen Schcidemarken des Wahns zu verwischen, so ist jene welt¬<lb/> bekannte Frage: Was ist Wahrheit? unbcantwortlich. In dem Zwei,<lb/> fel, den sie ausspricht, ist die Berechtigung jedes speculativen Jrrlichte-<lb/> rirens enthalten, und fürwahr seit Jacob Böhme hat man redlich<lb/> Gebrauch davon gemacht. Je toller, desto besser. In den Irrlichtern<lb/> sah der Aberglaube neckische Kobolde, ruhelose Geister—in den Phi¬<lb/> losophen die Feinde seiner gemüthlichen alten Illusionen. Freilich ha¬<lb/> ben sie in ihrer pedantischen Systemwuth diese Illusionen auch nur<lb/> ungemüthlich gemacht — nichts desto weniger waren es unschuldige<lb/> Gesellen, wenn man sie beim Tageslicht besah. —</p><lb/> <p xml:id="ID_247"> In den gesunden Sinnen besitzt der Mensch das unwiderlegliche<lb/> Zeugniß der Wahrheit und — er erfand eine besondere Wissenschaft<lb/> für die unsinnlichen Dinge, darin er alle Scheu und Scham abwarf<lb/> und Widerspruch auf Widerspruch häufte. Ein neuer unsinniger Ba¬<lb/> belbau! Wenn wir Alles nur in der Zeit und im Raume wahrneh¬<lb/> men, so ward für diese besondere Wissenschaft auch eine besondere<lb/> zeit- und raumlose Einheit erfunden; — wenn die Unterschiede nur<lb/> neben und nach einander eristiren — so wurden sie hier in diese<lb/> einige Einheit zusammengepreßt; wenn der Begriff ein durch sein Ob¬<lb/> ject bestimmter und fester ist, so ward er hier zum flüssigen, sich aus<lb/> sich selber sortbildenden Moment des Systems. Der Hegel'schen<lb/> Sophistik erging es nämlich, wie jenen unglücklichen Melancholikern,<lb/> die an Nichts in der Wirklichkeit mehr Gefallen finden und verzwei¬<lb/> felnd eine eigene innere unmögliche Welt sich erbauen. Eine solche<lb/> Schwarzseherei hat denn mit ihrer Zerrissenheit immer großes Glück<lb/> gemacht, weil man hinter dieser gar wohlfeilen Unzufriedenheit eine<lb/> höhere geistige Natur wähnte. Wer kennt ihre Sentimentalität nicht?<lb/> ihr seltsames Geberden, wenn sie mit ihrem Traumleben an den Ecken<lb/> der Wirklichkeit zerschellt, jenes Heulen und Zähnklappern, das in<lb/> lyrischen Ergüssen von je beliebt wurde? Deutschem Fleiße, deutscher<lb/> Gründlichkeit war es vorbehalten, Methode in diese Seufzer zu brin¬<lb/> gen! —</p><lb/> <p xml:id="ID_248" next="#ID_249"> „Es ist die Logik als das System der reinen Vernunft, als das<lb/> Reich des reinen Gedankens zu fassen." 5) Und diese reine Ver-</p><lb/> <note xml:id="FID_12" place="foot"> *) Siehe Hegel loß. I. S. »3.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 14»</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
eben auch Nichts schauen konnte. Man braucht nur die klaren und
scharfen Schcidemarken des Wahns zu verwischen, so ist jene welt¬
bekannte Frage: Was ist Wahrheit? unbcantwortlich. In dem Zwei,
fel, den sie ausspricht, ist die Berechtigung jedes speculativen Jrrlichte-
rirens enthalten, und fürwahr seit Jacob Böhme hat man redlich
Gebrauch davon gemacht. Je toller, desto besser. In den Irrlichtern
sah der Aberglaube neckische Kobolde, ruhelose Geister—in den Phi¬
losophen die Feinde seiner gemüthlichen alten Illusionen. Freilich ha¬
ben sie in ihrer pedantischen Systemwuth diese Illusionen auch nur
ungemüthlich gemacht — nichts desto weniger waren es unschuldige
Gesellen, wenn man sie beim Tageslicht besah. —
In den gesunden Sinnen besitzt der Mensch das unwiderlegliche
Zeugniß der Wahrheit und — er erfand eine besondere Wissenschaft
für die unsinnlichen Dinge, darin er alle Scheu und Scham abwarf
und Widerspruch auf Widerspruch häufte. Ein neuer unsinniger Ba¬
belbau! Wenn wir Alles nur in der Zeit und im Raume wahrneh¬
men, so ward für diese besondere Wissenschaft auch eine besondere
zeit- und raumlose Einheit erfunden; — wenn die Unterschiede nur
neben und nach einander eristiren — so wurden sie hier in diese
einige Einheit zusammengepreßt; wenn der Begriff ein durch sein Ob¬
ject bestimmter und fester ist, so ward er hier zum flüssigen, sich aus
sich selber sortbildenden Moment des Systems. Der Hegel'schen
Sophistik erging es nämlich, wie jenen unglücklichen Melancholikern,
die an Nichts in der Wirklichkeit mehr Gefallen finden und verzwei¬
felnd eine eigene innere unmögliche Welt sich erbauen. Eine solche
Schwarzseherei hat denn mit ihrer Zerrissenheit immer großes Glück
gemacht, weil man hinter dieser gar wohlfeilen Unzufriedenheit eine
höhere geistige Natur wähnte. Wer kennt ihre Sentimentalität nicht?
ihr seltsames Geberden, wenn sie mit ihrem Traumleben an den Ecken
der Wirklichkeit zerschellt, jenes Heulen und Zähnklappern, das in
lyrischen Ergüssen von je beliebt wurde? Deutschem Fleiße, deutscher
Gründlichkeit war es vorbehalten, Methode in diese Seufzer zu brin¬
gen! —
„Es ist die Logik als das System der reinen Vernunft, als das
Reich des reinen Gedankens zu fassen." 5) Und diese reine Ver-
*) Siehe Hegel loß. I. S. »3.
14»
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |