Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anders, gleichviel, ob Feind oder Freund, als mit einer gewissen ängst¬
lichen Ehrfurcht angesehen und jene kleinen Kriegsgerechtigkciten, als
Gassenlaufen, Stockprügel:c., deren Augenzeuge ich zufälligerweise
mehrmals war, haben jene frühzeitige Aengstlichkeit niemals gänzlich
verscheuchen können. Ja, ich habe meine früheren Mitschüler, meine
Verwandten selbst nicht ausgenommen, so viel als möglich gemieden,
sobald selbe, mit dem Kleide der Ehre angethan, die schöne Bestim¬
mung erhielten, in Zeiten der Gefahr für Fürst und Vaterland zu
streiten und für die Sicherheit der übrigen Staatsbürger zu wachen.
Ungeachtet dieser negativen Eigenschaften, die der martialische Stand
eines echten Militärs erfordert, wurde ich Soldat und zwar ein
Artillerist.

Der Zufall führte mich mit einem Hauptmann dieser Waffen¬
gattung in einem Hause, wo ich einen Studirenden in der höheren
Mathematik unterrichtete, zusammen. Der Hauptmann, der diese
Wissenschaft als Hauptstudium der Artillerie hochschätzte, aber, wie
ich später in Erfahrung gebracht, nie selbst betrieben hatte, war höchst
wahrscheinlich davon frappirt, daß man sich sogar in Privathäusern
und nicht blos in Artillcriekasernen mit diesem wissenschaftlichen Mo¬
nopol der Artillerie beschäftigte. Er würdigte mich seiner Aufmerk¬
samkeit, und nach einigen Fragen, die er an mich wegen meiner
Studien und Aussichten stellte, entschied er mit folgendem Rathe
meine Zukunft: Hätte ich, Freund, das gewußt, was Sie können,
bevor ich zum Militär kam, ich wäre vielleicht jetzt schon General.
Folgen Sie meinem Rathe, fuhr er fort, gehen Sie zur Artillerie,
und es kann Ihnen nicht fehlen, Sie werden in zwei, drei Jahren
Feuerwerker. Ich, sagte er, ein roher Bauerbursche, wurde als Hand¬
langer zur Artillerie asscntirt, und da ich schreiben konnte, wurde ich
zu Zeiten in den Kanzleien zum Abschreiben verwendet, und endlich,
noch immer ein Handlanger, dort ganz angestellt. Nach einigen Jah¬
ren sehr braver Aufführung wurde ich Munitionär, jetzt war schon
mein Glück fertig. Ich kam nie mehr aus der Kanzlei, alle Kriege
hindurch, -- ich avancirte in der Kanzlei von Stufe zu Stufe und
bin jetzt Hauptmann seit vielen Jahren in der höchsten Artilleriekanz¬
lei, werde noch avancircn und immer dort bleiben. So sprach dieser
ehrwürdige Hauptmann, und seine Worte gingen nicht verloren.

Von dieser Zeit an war Niemand ein so aufmerksamer Beob-


anders, gleichviel, ob Feind oder Freund, als mit einer gewissen ängst¬
lichen Ehrfurcht angesehen und jene kleinen Kriegsgerechtigkciten, als
Gassenlaufen, Stockprügel:c., deren Augenzeuge ich zufälligerweise
mehrmals war, haben jene frühzeitige Aengstlichkeit niemals gänzlich
verscheuchen können. Ja, ich habe meine früheren Mitschüler, meine
Verwandten selbst nicht ausgenommen, so viel als möglich gemieden,
sobald selbe, mit dem Kleide der Ehre angethan, die schöne Bestim¬
mung erhielten, in Zeiten der Gefahr für Fürst und Vaterland zu
streiten und für die Sicherheit der übrigen Staatsbürger zu wachen.
Ungeachtet dieser negativen Eigenschaften, die der martialische Stand
eines echten Militärs erfordert, wurde ich Soldat und zwar ein
Artillerist.

Der Zufall führte mich mit einem Hauptmann dieser Waffen¬
gattung in einem Hause, wo ich einen Studirenden in der höheren
Mathematik unterrichtete, zusammen. Der Hauptmann, der diese
Wissenschaft als Hauptstudium der Artillerie hochschätzte, aber, wie
ich später in Erfahrung gebracht, nie selbst betrieben hatte, war höchst
wahrscheinlich davon frappirt, daß man sich sogar in Privathäusern
und nicht blos in Artillcriekasernen mit diesem wissenschaftlichen Mo¬
nopol der Artillerie beschäftigte. Er würdigte mich seiner Aufmerk¬
samkeit, und nach einigen Fragen, die er an mich wegen meiner
Studien und Aussichten stellte, entschied er mit folgendem Rathe
meine Zukunft: Hätte ich, Freund, das gewußt, was Sie können,
bevor ich zum Militär kam, ich wäre vielleicht jetzt schon General.
Folgen Sie meinem Rathe, fuhr er fort, gehen Sie zur Artillerie,
und es kann Ihnen nicht fehlen, Sie werden in zwei, drei Jahren
Feuerwerker. Ich, sagte er, ein roher Bauerbursche, wurde als Hand¬
langer zur Artillerie asscntirt, und da ich schreiben konnte, wurde ich
zu Zeiten in den Kanzleien zum Abschreiben verwendet, und endlich,
noch immer ein Handlanger, dort ganz angestellt. Nach einigen Jah¬
ren sehr braver Aufführung wurde ich Munitionär, jetzt war schon
mein Glück fertig. Ich kam nie mehr aus der Kanzlei, alle Kriege
hindurch, — ich avancirte in der Kanzlei von Stufe zu Stufe und
bin jetzt Hauptmann seit vielen Jahren in der höchsten Artilleriekanz¬
lei, werde noch avancircn und immer dort bleiben. So sprach dieser
ehrwürdige Hauptmann, und seine Worte gingen nicht verloren.

Von dieser Zeit an war Niemand ein so aufmerksamer Beob-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180569"/>
            <p xml:id="ID_5" prev="#ID_4"> anders, gleichviel, ob Feind oder Freund, als mit einer gewissen ängst¬<lb/>
lichen Ehrfurcht angesehen und jene kleinen Kriegsgerechtigkciten, als<lb/>
Gassenlaufen, Stockprügel:c., deren Augenzeuge ich zufälligerweise<lb/>
mehrmals war, haben jene frühzeitige Aengstlichkeit niemals gänzlich<lb/>
verscheuchen können. Ja, ich habe meine früheren Mitschüler, meine<lb/>
Verwandten selbst nicht ausgenommen, so viel als möglich gemieden,<lb/>
sobald selbe, mit dem Kleide der Ehre angethan, die schöne Bestim¬<lb/>
mung erhielten, in Zeiten der Gefahr für Fürst und Vaterland zu<lb/>
streiten und für die Sicherheit der übrigen Staatsbürger zu wachen.<lb/>
Ungeachtet dieser negativen Eigenschaften, die der martialische Stand<lb/>
eines echten Militärs erfordert, wurde ich Soldat und zwar ein<lb/>
Artillerist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_6"> Der Zufall führte mich mit einem Hauptmann dieser Waffen¬<lb/>
gattung in einem Hause, wo ich einen Studirenden in der höheren<lb/>
Mathematik unterrichtete, zusammen. Der Hauptmann, der diese<lb/>
Wissenschaft als Hauptstudium der Artillerie hochschätzte, aber, wie<lb/>
ich später in Erfahrung gebracht, nie selbst betrieben hatte, war höchst<lb/>
wahrscheinlich davon frappirt, daß man sich sogar in Privathäusern<lb/>
und nicht blos in Artillcriekasernen mit diesem wissenschaftlichen Mo¬<lb/>
nopol der Artillerie beschäftigte. Er würdigte mich seiner Aufmerk¬<lb/>
samkeit, und nach einigen Fragen, die er an mich wegen meiner<lb/>
Studien und Aussichten stellte, entschied er mit folgendem Rathe<lb/>
meine Zukunft: Hätte ich, Freund, das gewußt, was Sie können,<lb/>
bevor ich zum Militär kam, ich wäre vielleicht jetzt schon General.<lb/>
Folgen Sie meinem Rathe, fuhr er fort, gehen Sie zur Artillerie,<lb/>
und es kann Ihnen nicht fehlen, Sie werden in zwei, drei Jahren<lb/>
Feuerwerker. Ich, sagte er, ein roher Bauerbursche, wurde als Hand¬<lb/>
langer zur Artillerie asscntirt, und da ich schreiben konnte, wurde ich<lb/>
zu Zeiten in den Kanzleien zum Abschreiben verwendet, und endlich,<lb/>
noch immer ein Handlanger, dort ganz angestellt. Nach einigen Jah¬<lb/>
ren sehr braver Aufführung wurde ich Munitionär, jetzt war schon<lb/>
mein Glück fertig. Ich kam nie mehr aus der Kanzlei, alle Kriege<lb/>
hindurch, &#x2014; ich avancirte in der Kanzlei von Stufe zu Stufe und<lb/>
bin jetzt Hauptmann seit vielen Jahren in der höchsten Artilleriekanz¬<lb/>
lei, werde noch avancircn und immer dort bleiben. So sprach dieser<lb/>
ehrwürdige Hauptmann, und seine Worte gingen nicht verloren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_7" next="#ID_8"> Von dieser Zeit an war Niemand ein so aufmerksamer Beob-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] anders, gleichviel, ob Feind oder Freund, als mit einer gewissen ängst¬ lichen Ehrfurcht angesehen und jene kleinen Kriegsgerechtigkciten, als Gassenlaufen, Stockprügel:c., deren Augenzeuge ich zufälligerweise mehrmals war, haben jene frühzeitige Aengstlichkeit niemals gänzlich verscheuchen können. Ja, ich habe meine früheren Mitschüler, meine Verwandten selbst nicht ausgenommen, so viel als möglich gemieden, sobald selbe, mit dem Kleide der Ehre angethan, die schöne Bestim¬ mung erhielten, in Zeiten der Gefahr für Fürst und Vaterland zu streiten und für die Sicherheit der übrigen Staatsbürger zu wachen. Ungeachtet dieser negativen Eigenschaften, die der martialische Stand eines echten Militärs erfordert, wurde ich Soldat und zwar ein Artillerist. Der Zufall führte mich mit einem Hauptmann dieser Waffen¬ gattung in einem Hause, wo ich einen Studirenden in der höheren Mathematik unterrichtete, zusammen. Der Hauptmann, der diese Wissenschaft als Hauptstudium der Artillerie hochschätzte, aber, wie ich später in Erfahrung gebracht, nie selbst betrieben hatte, war höchst wahrscheinlich davon frappirt, daß man sich sogar in Privathäusern und nicht blos in Artillcriekasernen mit diesem wissenschaftlichen Mo¬ nopol der Artillerie beschäftigte. Er würdigte mich seiner Aufmerk¬ samkeit, und nach einigen Fragen, die er an mich wegen meiner Studien und Aussichten stellte, entschied er mit folgendem Rathe meine Zukunft: Hätte ich, Freund, das gewußt, was Sie können, bevor ich zum Militär kam, ich wäre vielleicht jetzt schon General. Folgen Sie meinem Rathe, fuhr er fort, gehen Sie zur Artillerie, und es kann Ihnen nicht fehlen, Sie werden in zwei, drei Jahren Feuerwerker. Ich, sagte er, ein roher Bauerbursche, wurde als Hand¬ langer zur Artillerie asscntirt, und da ich schreiben konnte, wurde ich zu Zeiten in den Kanzleien zum Abschreiben verwendet, und endlich, noch immer ein Handlanger, dort ganz angestellt. Nach einigen Jah¬ ren sehr braver Aufführung wurde ich Munitionär, jetzt war schon mein Glück fertig. Ich kam nie mehr aus der Kanzlei, alle Kriege hindurch, — ich avancirte in der Kanzlei von Stufe zu Stufe und bin jetzt Hauptmann seit vielen Jahren in der höchsten Artilleriekanz¬ lei, werde noch avancircn und immer dort bleiben. So sprach dieser ehrwürdige Hauptmann, und seine Worte gingen nicht verloren. Von dieser Zeit an war Niemand ein so aufmerksamer Beob-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/10>, abgerufen am 22.12.2024.