Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Um den jungen und unerschrockenen Gelehrten für seine Beob¬
achtungen und für die dabei erlittenen Mühseligkeiten zu belohnen,
sieht die Akademie der Wissenschaften von ihren Statuten ab und
nimmt den dreiundzwanzigjährigcn Arago in ihre Mitte auf. Der
Kaiser ernennt ihn zum Professor an der polytechnischen Schule, wo
er bis 18Z1 Vorlesungen über Analyse und Geodesie gehalten hat.

Es wird hier der geeignete Ort sein, einen Ueberblick der man-
nichfaltigen Arbeiten Arago'S zu geben, wobei wir uns jedoch blos
an das Allgemeine halten werden.

Die cracker Wissenschaften finden, wie alle Seiten menschlicher
Erkenntniß, zweierlei Arten von Bearbeitern. Die Einen, unermüd-
liche Forscher nach Problemen, steigen in die Tiefen des Abgrundes,
um das rohe Metall zu gewinnen, d. h. die geheimnißvollen Gesetze
der Welt in der Gestalt von abstracten Formeln; die Andern, von
weniger kräftigem Geiste, aber vielleicht scharfsinniger, bemächtigen
sich dieser Formeln, drehen und wenden sie, unterwerfen sie dem rei¬
nigenden und belebenden Einfluß der Analyse und machen sie zur
praktischen Anwendung geschmeidig. Jene nennen wir, um ein Gleich¬
nis; aus den technischen Künsten zu gebrauchen, die Bauleute, diese
die Schmiede. Uns scheint es, daß Arago mehr unter die Letzteren
gehöre; denn seine Arbeiten sind mehr großartige und fruchtbare An¬
wendungen, als neue Entdeckungen, mit Ausnahme der Entdeckung
des sich durch Rotation entwickelnden Magnetismus, deren Verdienst
man dadurch hat verkleinern wollen, daß man sie dem Zufall zu¬
schrieb, als ob es nicht auch ein Zufall gewesen wäre, der Newton in
einem fallenden Apfel die Gesetze der Gravitation entdecken ließ.

Wir können hier nicht Arago'S Verdienste um die Erfindung
der sinnreichen Instrumente, bestimmt, mit der möglichsten Genauig¬
keit die Durchmesser der Planeten zu bestimmen, und die durch die
Irradiation (die Abirrung der Strahlen leichtendcr Körper) entste¬
henden Irrthümer zu berichtigen, im Einzelnen aufzählen. Wir müssen
auch Arago'S Arbeiten über die Strahlenbrechung in der feuchten
und der trocknen Lust, über das Funkeln und die Schnelligkeit der
Sternenstrahlen, und viele andere schätzbare Arbeiten, die in dem
Journal dK Instituts und verschiedenen anderen wissenschaftlichen
Werken zerstreut sind, mit Stillschweigen übergehen.

Die Physik und vorzugsweise die Optik beschäftigt am meisten


Um den jungen und unerschrockenen Gelehrten für seine Beob¬
achtungen und für die dabei erlittenen Mühseligkeiten zu belohnen,
sieht die Akademie der Wissenschaften von ihren Statuten ab und
nimmt den dreiundzwanzigjährigcn Arago in ihre Mitte auf. Der
Kaiser ernennt ihn zum Professor an der polytechnischen Schule, wo
er bis 18Z1 Vorlesungen über Analyse und Geodesie gehalten hat.

Es wird hier der geeignete Ort sein, einen Ueberblick der man-
nichfaltigen Arbeiten Arago'S zu geben, wobei wir uns jedoch blos
an das Allgemeine halten werden.

Die cracker Wissenschaften finden, wie alle Seiten menschlicher
Erkenntniß, zweierlei Arten von Bearbeitern. Die Einen, unermüd-
liche Forscher nach Problemen, steigen in die Tiefen des Abgrundes,
um das rohe Metall zu gewinnen, d. h. die geheimnißvollen Gesetze
der Welt in der Gestalt von abstracten Formeln; die Andern, von
weniger kräftigem Geiste, aber vielleicht scharfsinniger, bemächtigen
sich dieser Formeln, drehen und wenden sie, unterwerfen sie dem rei¬
nigenden und belebenden Einfluß der Analyse und machen sie zur
praktischen Anwendung geschmeidig. Jene nennen wir, um ein Gleich¬
nis; aus den technischen Künsten zu gebrauchen, die Bauleute, diese
die Schmiede. Uns scheint es, daß Arago mehr unter die Letzteren
gehöre; denn seine Arbeiten sind mehr großartige und fruchtbare An¬
wendungen, als neue Entdeckungen, mit Ausnahme der Entdeckung
des sich durch Rotation entwickelnden Magnetismus, deren Verdienst
man dadurch hat verkleinern wollen, daß man sie dem Zufall zu¬
schrieb, als ob es nicht auch ein Zufall gewesen wäre, der Newton in
einem fallenden Apfel die Gesetze der Gravitation entdecken ließ.

Wir können hier nicht Arago'S Verdienste um die Erfindung
der sinnreichen Instrumente, bestimmt, mit der möglichsten Genauig¬
keit die Durchmesser der Planeten zu bestimmen, und die durch die
Irradiation (die Abirrung der Strahlen leichtendcr Körper) entste¬
henden Irrthümer zu berichtigen, im Einzelnen aufzählen. Wir müssen
auch Arago'S Arbeiten über die Strahlenbrechung in der feuchten
und der trocknen Lust, über das Funkeln und die Schnelligkeit der
Sternenstrahlen, und viele andere schätzbare Arbeiten, die in dem
Journal dK Instituts und verschiedenen anderen wissenschaftlichen
Werken zerstreut sind, mit Stillschweigen übergehen.

Die Physik und vorzugsweise die Optik beschäftigt am meisten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179802"/>
          <p xml:id="ID_261"> Um den jungen und unerschrockenen Gelehrten für seine Beob¬<lb/>
achtungen und für die dabei erlittenen Mühseligkeiten zu belohnen,<lb/>
sieht die Akademie der Wissenschaften von ihren Statuten ab und<lb/>
nimmt den dreiundzwanzigjährigcn Arago in ihre Mitte auf. Der<lb/>
Kaiser ernennt ihn zum Professor an der polytechnischen Schule, wo<lb/>
er bis 18Z1 Vorlesungen über Analyse und Geodesie gehalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262"> Es wird hier der geeignete Ort sein, einen Ueberblick der man-<lb/>
nichfaltigen Arbeiten Arago'S zu geben, wobei wir uns jedoch blos<lb/>
an das Allgemeine halten werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Die cracker Wissenschaften finden, wie alle Seiten menschlicher<lb/>
Erkenntniß, zweierlei Arten von Bearbeitern.  Die Einen, unermüd-<lb/>
liche Forscher nach Problemen, steigen in die Tiefen des Abgrundes,<lb/>
um das rohe Metall zu gewinnen, d. h. die geheimnißvollen Gesetze<lb/>
der Welt in der Gestalt von abstracten Formeln; die Andern, von<lb/>
weniger kräftigem Geiste, aber vielleicht scharfsinniger, bemächtigen<lb/>
sich dieser Formeln, drehen und wenden sie, unterwerfen sie dem rei¬<lb/>
nigenden und belebenden Einfluß der Analyse und machen sie zur<lb/>
praktischen Anwendung geschmeidig. Jene nennen wir, um ein Gleich¬<lb/>
nis; aus den technischen Künsten zu gebrauchen, die Bauleute, diese<lb/>
die Schmiede. Uns scheint es, daß Arago mehr unter die Letzteren<lb/>
gehöre; denn seine Arbeiten sind mehr großartige und fruchtbare An¬<lb/>
wendungen, als neue Entdeckungen, mit Ausnahme der Entdeckung<lb/>
des sich durch Rotation entwickelnden Magnetismus, deren Verdienst<lb/>
man dadurch hat verkleinern wollen, daß man sie dem Zufall zu¬<lb/>
schrieb, als ob es nicht auch ein Zufall gewesen wäre, der Newton in<lb/>
einem fallenden Apfel die Gesetze der Gravitation entdecken ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264"> Wir können hier nicht Arago'S Verdienste um die Erfindung<lb/>
der sinnreichen Instrumente, bestimmt, mit der möglichsten Genauig¬<lb/>
keit die Durchmesser der Planeten zu bestimmen, und die durch die<lb/>
Irradiation (die Abirrung der Strahlen leichtendcr Körper) entste¬<lb/>
henden Irrthümer zu berichtigen, im Einzelnen aufzählen. Wir müssen<lb/>
auch Arago'S Arbeiten über die Strahlenbrechung in der feuchten<lb/>
und der trocknen Lust, über das Funkeln und die Schnelligkeit der<lb/>
Sternenstrahlen, und viele andere schätzbare Arbeiten, die in dem<lb/>
Journal dK Instituts und verschiedenen anderen wissenschaftlichen<lb/>
Werken zerstreut sind, mit Stillschweigen übergehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265" next="#ID_266"> Die Physik und vorzugsweise die Optik beschäftigt am meisten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Um den jungen und unerschrockenen Gelehrten für seine Beob¬ achtungen und für die dabei erlittenen Mühseligkeiten zu belohnen, sieht die Akademie der Wissenschaften von ihren Statuten ab und nimmt den dreiundzwanzigjährigcn Arago in ihre Mitte auf. Der Kaiser ernennt ihn zum Professor an der polytechnischen Schule, wo er bis 18Z1 Vorlesungen über Analyse und Geodesie gehalten hat. Es wird hier der geeignete Ort sein, einen Ueberblick der man- nichfaltigen Arbeiten Arago'S zu geben, wobei wir uns jedoch blos an das Allgemeine halten werden. Die cracker Wissenschaften finden, wie alle Seiten menschlicher Erkenntniß, zweierlei Arten von Bearbeitern. Die Einen, unermüd- liche Forscher nach Problemen, steigen in die Tiefen des Abgrundes, um das rohe Metall zu gewinnen, d. h. die geheimnißvollen Gesetze der Welt in der Gestalt von abstracten Formeln; die Andern, von weniger kräftigem Geiste, aber vielleicht scharfsinniger, bemächtigen sich dieser Formeln, drehen und wenden sie, unterwerfen sie dem rei¬ nigenden und belebenden Einfluß der Analyse und machen sie zur praktischen Anwendung geschmeidig. Jene nennen wir, um ein Gleich¬ nis; aus den technischen Künsten zu gebrauchen, die Bauleute, diese die Schmiede. Uns scheint es, daß Arago mehr unter die Letzteren gehöre; denn seine Arbeiten sind mehr großartige und fruchtbare An¬ wendungen, als neue Entdeckungen, mit Ausnahme der Entdeckung des sich durch Rotation entwickelnden Magnetismus, deren Verdienst man dadurch hat verkleinern wollen, daß man sie dem Zufall zu¬ schrieb, als ob es nicht auch ein Zufall gewesen wäre, der Newton in einem fallenden Apfel die Gesetze der Gravitation entdecken ließ. Wir können hier nicht Arago'S Verdienste um die Erfindung der sinnreichen Instrumente, bestimmt, mit der möglichsten Genauig¬ keit die Durchmesser der Planeten zu bestimmen, und die durch die Irradiation (die Abirrung der Strahlen leichtendcr Körper) entste¬ henden Irrthümer zu berichtigen, im Einzelnen aufzählen. Wir müssen auch Arago'S Arbeiten über die Strahlenbrechung in der feuchten und der trocknen Lust, über das Funkeln und die Schnelligkeit der Sternenstrahlen, und viele andere schätzbare Arbeiten, die in dem Journal dK Instituts und verschiedenen anderen wissenschaftlichen Werken zerstreut sind, mit Stillschweigen übergehen. Die Physik und vorzugsweise die Optik beschäftigt am meisten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/89>, abgerufen am 24.12.2024.