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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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gesagt, die Facultäten haben nur die Entwickelung und den Fort¬
schritt von sich vertrieben, weil er sich nicht mehr mit ihrem Wesen
vertragen, weil er so weit gediehen war, daß er sich von ihnen eman-
cipiren konnte. Was da noch zurückgeblieben, was sich noch unter
dem Namen freier Wissenschaft da bewegt, ist entweder abstracte
Theorie, die höchstens mit einer anderen abstracten Theorie im Kampf
liegt, oder wenn sie dies nicht ist, so geht ihre Freiheit bis an die
Grenze, wo sie mit der bestehenden sanctionirten Wahrheit in Colli-
sion geräth oder gerathen könnte, wenn sie dieselbe nicht vertuschte
und vermiede. Hätte sie auch über diese Grenze hinaus die höchsten
neuesten Wahrheiten gefunden, sie müßte sie verschweigen, denn -- es
gilt die Ausstoßung aus der Facultät. Das aber, was diese Stand¬
punkte, die sich so mit dem Universitätswesen noch einigen, thun und
arbeiten, ihre Forschung und Kritik ist durch das, was die
neueste Kritik gethan und geleistet hat, längst überwunden und un¬
nöthig gemacht. Wer es noch würdigen will, mag es immerhin von
Seiten seiner praktischen Nützlichkeit für die aufstrebende Jugend wür¬
digen, von objectiv-wissenschaftlicher Bedeutung, von Bedeutung für
die Zeit ist es nicht mehr; und davon sprechen wir auch hier nur,
nicht von der Wirksamkeit und den früheren und jetzigen Verdiensten
einzelner Lehrer in ihren besondere!: Kreisen. Wir hoffen übrigens,
daß man auch dieses letzte Restchen beschränkter Freiheit der Wissen¬
schaft und Forschung noch an den Universitäten unterdrücken wird,
damit dieselben ihr Wesen, nicht Institute der Wissenschaft, sondern
Staatsanstalten, d. h. Anstalten dieses bestimmten, z. B. christlichen
Staates und seines Prinzips. Anstalten zu sein, in denen diesem
Staate seine Diener und Beamten eingelernt und abgerichtet werden,
immer freier und ungeschminkter Darstellen können; es wird gewiß
noch dahin kommen, daß auf ihnen die Wissenschaft nach vorgeschrie¬
benen Compendien gelehrt wird, man wird der "freien" Forschung
vorschreiben, wie sie nur forschen darf.

Den Neactionskomödien entsprechen die Freiheitö- und Fort-
schrittökomödien, die in der letzteren Zeit von Lehrern und Studirenden an
der Berliner Universität aufgeführt wurden. Es ist dies Nichts als
reiner inhaltsloser Skandal und die Negierung thut Unrecht, ihn zu
fürchten oder zu unterdrücken. Von dem großen und bewährten Mann
der Freiheit, dem Doctor Theodor Mundt gar nicht zu reden,


gesagt, die Facultäten haben nur die Entwickelung und den Fort¬
schritt von sich vertrieben, weil er sich nicht mehr mit ihrem Wesen
vertragen, weil er so weit gediehen war, daß er sich von ihnen eman-
cipiren konnte. Was da noch zurückgeblieben, was sich noch unter
dem Namen freier Wissenschaft da bewegt, ist entweder abstracte
Theorie, die höchstens mit einer anderen abstracten Theorie im Kampf
liegt, oder wenn sie dies nicht ist, so geht ihre Freiheit bis an die
Grenze, wo sie mit der bestehenden sanctionirten Wahrheit in Colli-
sion geräth oder gerathen könnte, wenn sie dieselbe nicht vertuschte
und vermiede. Hätte sie auch über diese Grenze hinaus die höchsten
neuesten Wahrheiten gefunden, sie müßte sie verschweigen, denn — es
gilt die Ausstoßung aus der Facultät. Das aber, was diese Stand¬
punkte, die sich so mit dem Universitätswesen noch einigen, thun und
arbeiten, ihre Forschung und Kritik ist durch das, was die
neueste Kritik gethan und geleistet hat, längst überwunden und un¬
nöthig gemacht. Wer es noch würdigen will, mag es immerhin von
Seiten seiner praktischen Nützlichkeit für die aufstrebende Jugend wür¬
digen, von objectiv-wissenschaftlicher Bedeutung, von Bedeutung für
die Zeit ist es nicht mehr; und davon sprechen wir auch hier nur,
nicht von der Wirksamkeit und den früheren und jetzigen Verdiensten
einzelner Lehrer in ihren besondere!: Kreisen. Wir hoffen übrigens,
daß man auch dieses letzte Restchen beschränkter Freiheit der Wissen¬
schaft und Forschung noch an den Universitäten unterdrücken wird,
damit dieselben ihr Wesen, nicht Institute der Wissenschaft, sondern
Staatsanstalten, d. h. Anstalten dieses bestimmten, z. B. christlichen
Staates und seines Prinzips. Anstalten zu sein, in denen diesem
Staate seine Diener und Beamten eingelernt und abgerichtet werden,
immer freier und ungeschminkter Darstellen können; es wird gewiß
noch dahin kommen, daß auf ihnen die Wissenschaft nach vorgeschrie¬
benen Compendien gelehrt wird, man wird der „freien" Forschung
vorschreiben, wie sie nur forschen darf.

Den Neactionskomödien entsprechen die Freiheitö- und Fort-
schrittökomödien, die in der letzteren Zeit von Lehrern und Studirenden an
der Berliner Universität aufgeführt wurden. Es ist dies Nichts als
reiner inhaltsloser Skandal und die Negierung thut Unrecht, ihn zu
fürchten oder zu unterdrücken. Von dem großen und bewährten Mann
der Freiheit, dem Doctor Theodor Mundt gar nicht zu reden,


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[0831] gesagt, die Facultäten haben nur die Entwickelung und den Fort¬ schritt von sich vertrieben, weil er sich nicht mehr mit ihrem Wesen vertragen, weil er so weit gediehen war, daß er sich von ihnen eman- cipiren konnte. Was da noch zurückgeblieben, was sich noch unter dem Namen freier Wissenschaft da bewegt, ist entweder abstracte Theorie, die höchstens mit einer anderen abstracten Theorie im Kampf liegt, oder wenn sie dies nicht ist, so geht ihre Freiheit bis an die Grenze, wo sie mit der bestehenden sanctionirten Wahrheit in Colli- sion geräth oder gerathen könnte, wenn sie dieselbe nicht vertuschte und vermiede. Hätte sie auch über diese Grenze hinaus die höchsten neuesten Wahrheiten gefunden, sie müßte sie verschweigen, denn — es gilt die Ausstoßung aus der Facultät. Das aber, was diese Stand¬ punkte, die sich so mit dem Universitätswesen noch einigen, thun und arbeiten, ihre Forschung und Kritik ist durch das, was die neueste Kritik gethan und geleistet hat, längst überwunden und un¬ nöthig gemacht. Wer es noch würdigen will, mag es immerhin von Seiten seiner praktischen Nützlichkeit für die aufstrebende Jugend wür¬ digen, von objectiv-wissenschaftlicher Bedeutung, von Bedeutung für die Zeit ist es nicht mehr; und davon sprechen wir auch hier nur, nicht von der Wirksamkeit und den früheren und jetzigen Verdiensten einzelner Lehrer in ihren besondere!: Kreisen. Wir hoffen übrigens, daß man auch dieses letzte Restchen beschränkter Freiheit der Wissen¬ schaft und Forschung noch an den Universitäten unterdrücken wird, damit dieselben ihr Wesen, nicht Institute der Wissenschaft, sondern Staatsanstalten, d. h. Anstalten dieses bestimmten, z. B. christlichen Staates und seines Prinzips. Anstalten zu sein, in denen diesem Staate seine Diener und Beamten eingelernt und abgerichtet werden, immer freier und ungeschminkter Darstellen können; es wird gewiß noch dahin kommen, daß auf ihnen die Wissenschaft nach vorgeschrie¬ benen Compendien gelehrt wird, man wird der „freien" Forschung vorschreiben, wie sie nur forschen darf. Den Neactionskomödien entsprechen die Freiheitö- und Fort- schrittökomödien, die in der letzteren Zeit von Lehrern und Studirenden an der Berliner Universität aufgeführt wurden. Es ist dies Nichts als reiner inhaltsloser Skandal und die Negierung thut Unrecht, ihn zu fürchten oder zu unterdrücken. Von dem großen und bewährten Mann der Freiheit, dem Doctor Theodor Mundt gar nicht zu reden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/831>, abgerufen am 29.06.2024.