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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- In Nußland ist man über das Cnstine'sehe Buch: I^Rü""le
I8Z9 empört. In Verzweiflung aber ist man über die Sensation,
die es in Deutschland gemacht' hat. Der russische Staatsrath
Gretsch hat eine Widerlegung Custine'ö geschrieben, ein russischer
Gesaudschastösecrctäri hat die Widerlegung inS Deutsche über¬
setzt; und um seiner Wirkung ganz sicher zu sein, läßt Gretsch in
öffentlichen Blättern erklären, daß er durchaus ohne offizielle Auffor¬
derung, sondern rein aus inneren Drang, -- in stillen Stunden der
Begeisterung -- die Widerlegung abgefaßt und daß sein Freund, der
Gesandschaftösccretär, ebenfalls rein aus innerem Drang dieselbe ins
Deutsche übersetzt habet -- Der Staatsrath Gretsch gibt eben kein
Beispiel von der Feinheit russischer Diplomaten; und wenn seine
Schrift gegen Custinc in demselben Geist und Ton abgefaßt sein sollte,
wie einst sein Pamphlet gegen König und Mclgunoff, so wird er das
Gegentheil von dem, was er will, erreichen. In der Broschüre gegen
König schmähte er Jean Paul und Schiller auf euvas gemeine Art,
um es der russischen Literatur als Verdienst ""rechnen zu können, daß
sie keinen Schiller und keinen Jean Paul hat. Vielleicht wird er
auch hier aus mancher russischen Noth eine Tugend und aus mancher
französischen Tugend ein Laster machen.

-- Julius Mosen ist als Dramaturg am großherzoglich oldcn-
burqischen Hoftheater mit einem Gehalt von achthundert Thalern an¬
gestellt und wird nun seine juristische Praxis ganz aufgeben, waS seiner
Muse nur förderlich sein kann. Merkwürdig ist es, daß fast alle poeti¬
schen Talente dieser Zeit sich der Bühne zuwenden. Noch keinem von den
Jüngern aber ist ein so unmittelbarer praktischer Wirkungskreis für
das moderne Drama eröffnet worden. -- So eben hören wir, daß anch
Dingelstedt beim Stuttgarter Hoftheater eine Stellung und zwar als
Intendant erhalten hat. Die junge Literatur hat nun für ihre dra¬
matischen Bestrebungen zwei einflußreiche Posten gewonnen.

-- Kaum hat Hoffmann und Campe mit einigen Schriften
über Oesterreich Glück gemacht, so möchten tausend Hände über Oester¬
reich schreiben, tausend drucken. Aber das ist noch nicht genug. Es
möchten auch viele Wiukclschriftstcllcr Oesterreicher werden oder sich da¬
für ausgeben. Man nennt so manche, ehrlich gemeinte und nicht
schlecht geschriebene Schrift über österreichische Zustände voreilig eine
Bnchhändlcrspeenlation -- was soll man erst dazu sagen wenn nord¬
deutsche Autore", gute Rudolstädtcr, Soudcröhauscncr oder Lichten-
hainer Bücher über Oesterreich publiziren, in denen sie rufen: "Wir
Oesterreicher fühlen, wir Oesterreicher wissen u. s. w.?" Es klingt
unglaublich, aber es ist so. Wir hören, daß in diesem Augenblick ein


— In Nußland ist man über das Cnstine'sehe Buch: I^Rü»«le
I8Z9 empört. In Verzweiflung aber ist man über die Sensation,
die es in Deutschland gemacht' hat. Der russische Staatsrath
Gretsch hat eine Widerlegung Custine'ö geschrieben, ein russischer
Gesaudschastösecrctäri hat die Widerlegung inS Deutsche über¬
setzt; und um seiner Wirkung ganz sicher zu sein, läßt Gretsch in
öffentlichen Blättern erklären, daß er durchaus ohne offizielle Auffor¬
derung, sondern rein aus inneren Drang, — in stillen Stunden der
Begeisterung — die Widerlegung abgefaßt und daß sein Freund, der
Gesandschaftösccretär, ebenfalls rein aus innerem Drang dieselbe ins
Deutsche übersetzt habet — Der Staatsrath Gretsch gibt eben kein
Beispiel von der Feinheit russischer Diplomaten; und wenn seine
Schrift gegen Custinc in demselben Geist und Ton abgefaßt sein sollte,
wie einst sein Pamphlet gegen König und Mclgunoff, so wird er das
Gegentheil von dem, was er will, erreichen. In der Broschüre gegen
König schmähte er Jean Paul und Schiller auf euvas gemeine Art,
um es der russischen Literatur als Verdienst «»rechnen zu können, daß
sie keinen Schiller und keinen Jean Paul hat. Vielleicht wird er
auch hier aus mancher russischen Noth eine Tugend und aus mancher
französischen Tugend ein Laster machen.

— Julius Mosen ist als Dramaturg am großherzoglich oldcn-
burqischen Hoftheater mit einem Gehalt von achthundert Thalern an¬
gestellt und wird nun seine juristische Praxis ganz aufgeben, waS seiner
Muse nur förderlich sein kann. Merkwürdig ist es, daß fast alle poeti¬
schen Talente dieser Zeit sich der Bühne zuwenden. Noch keinem von den
Jüngern aber ist ein so unmittelbarer praktischer Wirkungskreis für
das moderne Drama eröffnet worden. — So eben hören wir, daß anch
Dingelstedt beim Stuttgarter Hoftheater eine Stellung und zwar als
Intendant erhalten hat. Die junge Literatur hat nun für ihre dra¬
matischen Bestrebungen zwei einflußreiche Posten gewonnen.

— Kaum hat Hoffmann und Campe mit einigen Schriften
über Oesterreich Glück gemacht, so möchten tausend Hände über Oester¬
reich schreiben, tausend drucken. Aber das ist noch nicht genug. Es
möchten auch viele Wiukclschriftstcllcr Oesterreicher werden oder sich da¬
für ausgeben. Man nennt so manche, ehrlich gemeinte und nicht
schlecht geschriebene Schrift über österreichische Zustände voreilig eine
Bnchhändlcrspeenlation — was soll man erst dazu sagen wenn nord¬
deutsche Autore», gute Rudolstädtcr, Soudcröhauscncr oder Lichten-
hainer Bücher über Oesterreich publiziren, in denen sie rufen: „Wir
Oesterreicher fühlen, wir Oesterreicher wissen u. s. w.?" Es klingt
unglaublich, aber es ist so. Wir hören, daß in diesem Augenblick ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/83>, abgerufen am 22.12.2024.