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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Fall eines Krieges nicht mit Sicherheit zählen kann. Verständige
sich England mit Rußland über die Einverleibung Serbiens und
der Moldau (et t'.'e"t le t'.(mint>i>c"zal!"t et" I" lin), so wird Preu¬
ßen, das dabei nicht betheiligt ist, keine Schwierigkeiten machen, und
Oesterreich wird seine Grenzen in dichter Nahe russischer Soldaten
haben. Frankreich wird in seinen Journalen einigen Einspruch thun,
aber wehe uns, wenn Frankreich, der alte Feind, der Einzige wäre,
der zu uns hielte. I-,' ^nAlkteri-e, In i?,u"se et Is, Ilus8le -- will"
e'est mio itUiinice inwossililv wendet man von einer gewissen Seite,
die zweifelsohne viel Erfahrung in Allianz-Dingen hat, ein. Aber
mit dem Terrain wechseln auch die Allianzen. Ein Krieg von Osten
wird die Karten anders mischen, als die Kriege gegen Napoleon sie
gemischt haben. Und was ist Monströses an dieser Allianz? Rußland
will in Europa festen Fuß fassen und wird dieses gerne mit einigen
Augeständnissen an England thun, mit dem es doch nur in Asien
collidirt. Es wird keinen Augenblick anstehen, ein Stück Asien mit
einem Stück Europa zu vertauschen. Preußen will in Deutschland weiter
vor und wird sgerne die verschwägerte Macht die Besitzungen an der
Donau dafür in Beschlag nehmen lassen. Daß die englisch-franzö¬
sische Freundschaft auf sehr schwachen Füßen steht, dafür liegen die
Actenstücke vor. Louis Philipp ist ein alter Mann und seine Söhne
haben kriegerische Tendenzen. Die Brochüre Joinville's war nicht erst
eine Warnung für England; es hat diese Richtung längst gekannt.
Zwischen einem Bunde mit Frankreich und zwischen einem mit Ru߬
land wird die britische Politik immer den letzteren vorziehen. Die
Klippen, welche dieser neuen Wendung europäischer Politik entgegen¬
stehen, hat man allerdings genau gezählt, aber eine Brücke, die über
allen diesen Widerstand hinwegläuft, schlägt man offenbar zu gering
an: die Energie des Kaisers Nikolaus.

Wir, in unserer zähen Widerstandspolitik, glauben nicht gern
an die Gewalt der Persönlichkeit und ihrer hinreißenden Kraft. Wir
setzen bei unseren Gegnern die möglichste Klugheit voraus und waff-
nen uns dagegen mit nicht minderer Klugheit. Diesen Ruhm wird
Niemand unserem Kabinet absprechen können; aber auf Eins sind
wir nicht gesaßt; auf Kühnheit. Der gefährlichste Feind, den Oester¬
reich zu fürchten hat, heißt Energie. Darum ist Nikolaus uns dop¬
pelt furchtbar als Czar von Rußland und -- als Mann. In
diese Schaukelpolitik unserer Zeit hatte ein Napoleon, ein Friedrich II.
längst sein entschiedenes Schwert geworfen. Ein Mann von Energie,
und die Gestalt der Welt hat sich verändert. -- Der Czar ist die¬
ser Mann, und wir haben es im Winter hier vom Grafen Orloff
gehört, was übrigens alle Briefe bestätigen, daß der Kaiser, weit ent¬
fernt, durch das herannahende Alter in seinem Willen geschwächt zu
werden, vielmehr an Festigkeit -- um nicht das Wort Eigensinn von


Fall eines Krieges nicht mit Sicherheit zählen kann. Verständige
sich England mit Rußland über die Einverleibung Serbiens und
der Moldau (et t'.'e«t le t'.(mint>i>c«zal!„t et» I» lin), so wird Preu¬
ßen, das dabei nicht betheiligt ist, keine Schwierigkeiten machen, und
Oesterreich wird seine Grenzen in dichter Nahe russischer Soldaten
haben. Frankreich wird in seinen Journalen einigen Einspruch thun,
aber wehe uns, wenn Frankreich, der alte Feind, der Einzige wäre,
der zu uns hielte. I-,' ^nAlkteri-e, In i?,u«se et Is, Ilus8le — will«
e'est mio itUiinice inwossililv wendet man von einer gewissen Seite,
die zweifelsohne viel Erfahrung in Allianz-Dingen hat, ein. Aber
mit dem Terrain wechseln auch die Allianzen. Ein Krieg von Osten
wird die Karten anders mischen, als die Kriege gegen Napoleon sie
gemischt haben. Und was ist Monströses an dieser Allianz? Rußland
will in Europa festen Fuß fassen und wird dieses gerne mit einigen
Augeständnissen an England thun, mit dem es doch nur in Asien
collidirt. Es wird keinen Augenblick anstehen, ein Stück Asien mit
einem Stück Europa zu vertauschen. Preußen will in Deutschland weiter
vor und wird sgerne die verschwägerte Macht die Besitzungen an der
Donau dafür in Beschlag nehmen lassen. Daß die englisch-franzö¬
sische Freundschaft auf sehr schwachen Füßen steht, dafür liegen die
Actenstücke vor. Louis Philipp ist ein alter Mann und seine Söhne
haben kriegerische Tendenzen. Die Brochüre Joinville's war nicht erst
eine Warnung für England; es hat diese Richtung längst gekannt.
Zwischen einem Bunde mit Frankreich und zwischen einem mit Ru߬
land wird die britische Politik immer den letzteren vorziehen. Die
Klippen, welche dieser neuen Wendung europäischer Politik entgegen¬
stehen, hat man allerdings genau gezählt, aber eine Brücke, die über
allen diesen Widerstand hinwegläuft, schlägt man offenbar zu gering
an: die Energie des Kaisers Nikolaus.

Wir, in unserer zähen Widerstandspolitik, glauben nicht gern
an die Gewalt der Persönlichkeit und ihrer hinreißenden Kraft. Wir
setzen bei unseren Gegnern die möglichste Klugheit voraus und waff-
nen uns dagegen mit nicht minderer Klugheit. Diesen Ruhm wird
Niemand unserem Kabinet absprechen können; aber auf Eins sind
wir nicht gesaßt; auf Kühnheit. Der gefährlichste Feind, den Oester¬
reich zu fürchten hat, heißt Energie. Darum ist Nikolaus uns dop¬
pelt furchtbar als Czar von Rußland und — als Mann. In
diese Schaukelpolitik unserer Zeit hatte ein Napoleon, ein Friedrich II.
längst sein entschiedenes Schwert geworfen. Ein Mann von Energie,
und die Gestalt der Welt hat sich verändert. — Der Czar ist die¬
ser Mann, und wir haben es im Winter hier vom Grafen Orloff
gehört, was übrigens alle Briefe bestätigen, daß der Kaiser, weit ent¬
fernt, durch das herannahende Alter in seinem Willen geschwächt zu
werden, vielmehr an Festigkeit — um nicht das Wort Eigensinn von


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[0800] Fall eines Krieges nicht mit Sicherheit zählen kann. Verständige sich England mit Rußland über die Einverleibung Serbiens und der Moldau (et t'.'e«t le t'.(mint>i>c«zal!„t et» I» lin), so wird Preu¬ ßen, das dabei nicht betheiligt ist, keine Schwierigkeiten machen, und Oesterreich wird seine Grenzen in dichter Nahe russischer Soldaten haben. Frankreich wird in seinen Journalen einigen Einspruch thun, aber wehe uns, wenn Frankreich, der alte Feind, der Einzige wäre, der zu uns hielte. I-,' ^nAlkteri-e, In i?,u«se et Is, Ilus8le — will« e'est mio itUiinice inwossililv wendet man von einer gewissen Seite, die zweifelsohne viel Erfahrung in Allianz-Dingen hat, ein. Aber mit dem Terrain wechseln auch die Allianzen. Ein Krieg von Osten wird die Karten anders mischen, als die Kriege gegen Napoleon sie gemischt haben. Und was ist Monströses an dieser Allianz? Rußland will in Europa festen Fuß fassen und wird dieses gerne mit einigen Augeständnissen an England thun, mit dem es doch nur in Asien collidirt. Es wird keinen Augenblick anstehen, ein Stück Asien mit einem Stück Europa zu vertauschen. Preußen will in Deutschland weiter vor und wird sgerne die verschwägerte Macht die Besitzungen an der Donau dafür in Beschlag nehmen lassen. Daß die englisch-franzö¬ sische Freundschaft auf sehr schwachen Füßen steht, dafür liegen die Actenstücke vor. Louis Philipp ist ein alter Mann und seine Söhne haben kriegerische Tendenzen. Die Brochüre Joinville's war nicht erst eine Warnung für England; es hat diese Richtung längst gekannt. Zwischen einem Bunde mit Frankreich und zwischen einem mit Ru߬ land wird die britische Politik immer den letzteren vorziehen. Die Klippen, welche dieser neuen Wendung europäischer Politik entgegen¬ stehen, hat man allerdings genau gezählt, aber eine Brücke, die über allen diesen Widerstand hinwegläuft, schlägt man offenbar zu gering an: die Energie des Kaisers Nikolaus. Wir, in unserer zähen Widerstandspolitik, glauben nicht gern an die Gewalt der Persönlichkeit und ihrer hinreißenden Kraft. Wir setzen bei unseren Gegnern die möglichste Klugheit voraus und waff- nen uns dagegen mit nicht minderer Klugheit. Diesen Ruhm wird Niemand unserem Kabinet absprechen können; aber auf Eins sind wir nicht gesaßt; auf Kühnheit. Der gefährlichste Feind, den Oester¬ reich zu fürchten hat, heißt Energie. Darum ist Nikolaus uns dop¬ pelt furchtbar als Czar von Rußland und — als Mann. In diese Schaukelpolitik unserer Zeit hatte ein Napoleon, ein Friedrich II. längst sein entschiedenes Schwert geworfen. Ein Mann von Energie, und die Gestalt der Welt hat sich verändert. — Der Czar ist die¬ ser Mann, und wir haben es im Winter hier vom Grafen Orloff gehört, was übrigens alle Briefe bestätigen, daß der Kaiser, weit ent¬ fernt, durch das herannahende Alter in seinem Willen geschwächt zu werden, vielmehr an Festigkeit — um nicht das Wort Eigensinn von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/800>, abgerufen am 26.06.2024.