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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i.
Aus Paris.

Antigone in Deutschland und Frankreich. -- Heine und sein Bicrschild. --
Die Industrie-Ausstellung und ihre Folgen. -- Joinville und
Katharina II. -- Censur. -- Rachel. --

Dem Odeon-Theater scheint sein antiker Name Glück zu brin¬
gen. Seine der Antiquität entnommenen Stücke schlagen ein; zuerst
der reiche Succes von Ponsard's Lucretia und nun die nicht minder
glückliche Antigone. Daß die alte Sophokleische Tragödie in Paris
gefiel, ist weniger Wunder, als ihr Succes in Deutschland. -Frank¬
reich hat seine dramatische Literatur an dem antiken Drama aufge¬
saugt und wird daher immer eine warme Vorliebe für seine Amme
behalten. Deutschland hingegen ist an der Brust der Romantik her¬
angewachsen, die antike Tragödie wird ihm daher immer nur eine
Kuriosität bleiben; der Philolog, der Archäolog wird sich daran er¬
götzen, der große Haufe wird aus Modesucht eine Zeitlang Chorus
hinterher machen, aber die Masse wird sich nie daran erwarmen, un¬
ter dieser Masse meine ich nicht blos den gemeinen Haufen, sondern
auch die Gebildeten. Von dem Succes in Berlin, Frankfurt :c. ist
ein großer Theil auf die Rechnung der Mendelssohn'schen Musik zu
schreiben, der Succes in Paris hingegen galt blos dem Stücke, und
die Musik wurde blos in den Kauf mitgenommen, nicht ganz ohne
Opposition. Heine wird dieses schlagender commentiren, als ich es
vermag, und ich will Ihre Leser daher auf einen Artikel verweisen,
der in wenigen Tagen in der Augsburger Allgemeine" Zeitung unter
dem sogenannten Bierschild-Zeichen erscheinen wird. Jemand fragte
Heine, warum er seine scharfen, spirituösen Dinge unter einem Bier¬
schild zu Markte bringe. -- Weil ein Bierschild, antwortete er,
"das lockendste Zeichen für die Deutschen ist, und die neuesten Mün¬
chener Erfahrungen beweisen, daß deutsche Revolutionen nur aus den


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i.
Aus Paris.

Antigone in Deutschland und Frankreich. — Heine und sein Bicrschild. —
Die Industrie-Ausstellung und ihre Folgen. — Joinville und
Katharina II. — Censur. — Rachel. —

Dem Odeon-Theater scheint sein antiker Name Glück zu brin¬
gen. Seine der Antiquität entnommenen Stücke schlagen ein; zuerst
der reiche Succes von Ponsard's Lucretia und nun die nicht minder
glückliche Antigone. Daß die alte Sophokleische Tragödie in Paris
gefiel, ist weniger Wunder, als ihr Succes in Deutschland. -Frank¬
reich hat seine dramatische Literatur an dem antiken Drama aufge¬
saugt und wird daher immer eine warme Vorliebe für seine Amme
behalten. Deutschland hingegen ist an der Brust der Romantik her¬
angewachsen, die antike Tragödie wird ihm daher immer nur eine
Kuriosität bleiben; der Philolog, der Archäolog wird sich daran er¬
götzen, der große Haufe wird aus Modesucht eine Zeitlang Chorus
hinterher machen, aber die Masse wird sich nie daran erwarmen, un¬
ter dieser Masse meine ich nicht blos den gemeinen Haufen, sondern
auch die Gebildeten. Von dem Succes in Berlin, Frankfurt :c. ist
ein großer Theil auf die Rechnung der Mendelssohn'schen Musik zu
schreiben, der Succes in Paris hingegen galt blos dem Stücke, und
die Musik wurde blos in den Kauf mitgenommen, nicht ganz ohne
Opposition. Heine wird dieses schlagender commentiren, als ich es
vermag, und ich will Ihre Leser daher auf einen Artikel verweisen,
der in wenigen Tagen in der Augsburger Allgemeine» Zeitung unter
dem sogenannten Bierschild-Zeichen erscheinen wird. Jemand fragte
Heine, warum er seine scharfen, spirituösen Dinge unter einem Bier¬
schild zu Markte bringe. — Weil ein Bierschild, antwortete er,
„das lockendste Zeichen für die Deutschen ist, und die neuesten Mün¬
chener Erfahrungen beweisen, daß deutsche Revolutionen nur aus den


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[0773] T a g e b u es. i. Aus Paris. Antigone in Deutschland und Frankreich. — Heine und sein Bicrschild. — Die Industrie-Ausstellung und ihre Folgen. — Joinville und Katharina II. — Censur. — Rachel. — Dem Odeon-Theater scheint sein antiker Name Glück zu brin¬ gen. Seine der Antiquität entnommenen Stücke schlagen ein; zuerst der reiche Succes von Ponsard's Lucretia und nun die nicht minder glückliche Antigone. Daß die alte Sophokleische Tragödie in Paris gefiel, ist weniger Wunder, als ihr Succes in Deutschland. -Frank¬ reich hat seine dramatische Literatur an dem antiken Drama aufge¬ saugt und wird daher immer eine warme Vorliebe für seine Amme behalten. Deutschland hingegen ist an der Brust der Romantik her¬ angewachsen, die antike Tragödie wird ihm daher immer nur eine Kuriosität bleiben; der Philolog, der Archäolog wird sich daran er¬ götzen, der große Haufe wird aus Modesucht eine Zeitlang Chorus hinterher machen, aber die Masse wird sich nie daran erwarmen, un¬ ter dieser Masse meine ich nicht blos den gemeinen Haufen, sondern auch die Gebildeten. Von dem Succes in Berlin, Frankfurt :c. ist ein großer Theil auf die Rechnung der Mendelssohn'schen Musik zu schreiben, der Succes in Paris hingegen galt blos dem Stücke, und die Musik wurde blos in den Kauf mitgenommen, nicht ganz ohne Opposition. Heine wird dieses schlagender commentiren, als ich es vermag, und ich will Ihre Leser daher auf einen Artikel verweisen, der in wenigen Tagen in der Augsburger Allgemeine» Zeitung unter dem sogenannten Bierschild-Zeichen erscheinen wird. Jemand fragte Heine, warum er seine scharfen, spirituösen Dinge unter einem Bier¬ schild zu Markte bringe. — Weil ein Bierschild, antwortete er, „das lockendste Zeichen für die Deutschen ist, und die neuesten Mün¬ chener Erfahrungen beweisen, daß deutsche Revolutionen nur aus den <Ur-nzl'°den I8i-i. l. 99

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/773>, abgerufen am 01.07.2024.