Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Karl l. wurde zurückgewiesen, weil der Schilderung des Königsmor-
des Nichts fehlte, als daß man auch noch auf dem Theater das
Haupt des unglücklichen Monarchen hätte fallen sehen. In einem
anderen Stücke sollte eine Person vom König Wilhelm sprechend sa¬
gen: "Er spielt die Violine wie ein Engel." Diese Phrase wurde
unterdrückt. Die Censur streicht unerbittlich alle gemeinen oder gott¬
losen Ausdrücke, deshalb duldet sie nicht die Worte: "Bei meinem
Blut und meiner Seele!"; sie verwehrt den unnützen Gebrauch des
Namens Gottes, jede den religiösen Meinungen zuwiderlaufende
Stelle, jeden Fluch: Goddam u. f. w. Nach der Ansicht der Cen-
soren darf die Tragödie den Namen des höchsten Wesens anwenden,
die Komödie niemals. Mitunter, sagt Charles Kemble, streicht die
Censur sehr schwach frivole Sachen und beweist damit mehrPrüderie
und Bigotterie als Erhabenheit des Geistes. Einer von den ver¬
nommenen Censoren hat Nichts dagegen, daß ein Liebhaber zu seiner
Geliebten "mein Engel" sagt, aber ein Anderer, George Colmar,
widersetzt sich dem durchaus, als einer Verletzung des Heiligen; er
verwirft das Wort Schenkel als indecent und verdammter Ko¬
bold als Blasphemie. Der Zeuge, welcher diese Thatsachen zur
Sprache bringt, ist der fruchtbare Moncriff, Verfasser von zweihun¬
dert Theaterstücken, welche alle censirt worden sind. Nun hat aber
derselbe George Colmar, welchen der unschuldige Ausdruck Engel
empört, selbst für's Theater geschrieben und sich dabei nicht immer
so ängstlich bewiesen. Der Präsident der Untersuchung machte sich
das boshafte Vergnügen, ihn daran zu erinnern, und spannte ihn un¬
ter dem Vorwande der Information durch folgende Unterredung auf
die Folter: Der Ausschuß hat erfahren, daß Sie in einem Stücke
das Wort Engel als Epitheton für eine Frau gestrichen haben. --
Ja, in der That, weil ein Engel zwar eine Frau ist, wenn Sie
wollen, aber eine himmlische Frau. Es ist eine Anspielung auf die
Engel der Schrift, welche himmlische Körper sind. Alle Personen,
welche die Bibel gelesen haben, wissen es, und wenn Sie eS nicht
wissen, verweise ich Sie auf Milton. -- Erinnern Sie sich der Stelle,
bei welcher Sie das Wort gestrichen? --Nein, ich kann mein Gedächt¬
niß nicht mit all vergleichen Sachen belästigen, ich weiß nicht, ob es
mir passirt ist, daß ich einen oder zwei Engel unterdrückt habe, aber
es hat den Anschein, als habe ich es das eine oder das andere Mal


Karl l. wurde zurückgewiesen, weil der Schilderung des Königsmor-
des Nichts fehlte, als daß man auch noch auf dem Theater das
Haupt des unglücklichen Monarchen hätte fallen sehen. In einem
anderen Stücke sollte eine Person vom König Wilhelm sprechend sa¬
gen: „Er spielt die Violine wie ein Engel." Diese Phrase wurde
unterdrückt. Die Censur streicht unerbittlich alle gemeinen oder gott¬
losen Ausdrücke, deshalb duldet sie nicht die Worte: „Bei meinem
Blut und meiner Seele!"; sie verwehrt den unnützen Gebrauch des
Namens Gottes, jede den religiösen Meinungen zuwiderlaufende
Stelle, jeden Fluch: Goddam u. f. w. Nach der Ansicht der Cen-
soren darf die Tragödie den Namen des höchsten Wesens anwenden,
die Komödie niemals. Mitunter, sagt Charles Kemble, streicht die
Censur sehr schwach frivole Sachen und beweist damit mehrPrüderie
und Bigotterie als Erhabenheit des Geistes. Einer von den ver¬
nommenen Censoren hat Nichts dagegen, daß ein Liebhaber zu seiner
Geliebten „mein Engel" sagt, aber ein Anderer, George Colmar,
widersetzt sich dem durchaus, als einer Verletzung des Heiligen; er
verwirft das Wort Schenkel als indecent und verdammter Ko¬
bold als Blasphemie. Der Zeuge, welcher diese Thatsachen zur
Sprache bringt, ist der fruchtbare Moncriff, Verfasser von zweihun¬
dert Theaterstücken, welche alle censirt worden sind. Nun hat aber
derselbe George Colmar, welchen der unschuldige Ausdruck Engel
empört, selbst für's Theater geschrieben und sich dabei nicht immer
so ängstlich bewiesen. Der Präsident der Untersuchung machte sich
das boshafte Vergnügen, ihn daran zu erinnern, und spannte ihn un¬
ter dem Vorwande der Information durch folgende Unterredung auf
die Folter: Der Ausschuß hat erfahren, daß Sie in einem Stücke
das Wort Engel als Epitheton für eine Frau gestrichen haben. —
Ja, in der That, weil ein Engel zwar eine Frau ist, wenn Sie
wollen, aber eine himmlische Frau. Es ist eine Anspielung auf die
Engel der Schrift, welche himmlische Körper sind. Alle Personen,
welche die Bibel gelesen haben, wissen es, und wenn Sie eS nicht
wissen, verweise ich Sie auf Milton. — Erinnern Sie sich der Stelle,
bei welcher Sie das Wort gestrichen? —Nein, ich kann mein Gedächt¬
niß nicht mit all vergleichen Sachen belästigen, ich weiß nicht, ob es
mir passirt ist, daß ich einen oder zwei Engel unterdrückt habe, aber
es hat den Anschein, als habe ich es das eine oder das andere Mal


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0761" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180474"/>
            <p xml:id="ID_1975" prev="#ID_1974" next="#ID_1976"> Karl l. wurde zurückgewiesen, weil der Schilderung des Königsmor-<lb/>
des Nichts fehlte, als daß man auch noch auf dem Theater das<lb/>
Haupt des unglücklichen Monarchen hätte fallen sehen. In einem<lb/>
anderen Stücke sollte eine Person vom König Wilhelm sprechend sa¬<lb/>
gen: &#x201E;Er spielt die Violine wie ein Engel." Diese Phrase wurde<lb/>
unterdrückt. Die Censur streicht unerbittlich alle gemeinen oder gott¬<lb/>
losen Ausdrücke, deshalb duldet sie nicht die Worte: &#x201E;Bei meinem<lb/>
Blut und meiner Seele!"; sie verwehrt den unnützen Gebrauch des<lb/>
Namens Gottes, jede den religiösen Meinungen zuwiderlaufende<lb/>
Stelle, jeden Fluch: Goddam u. f. w. Nach der Ansicht der Cen-<lb/>
soren darf die Tragödie den Namen des höchsten Wesens anwenden,<lb/>
die Komödie niemals. Mitunter, sagt Charles Kemble, streicht die<lb/>
Censur sehr schwach frivole Sachen und beweist damit mehrPrüderie<lb/>
und Bigotterie als Erhabenheit des Geistes. Einer von den ver¬<lb/>
nommenen Censoren hat Nichts dagegen, daß ein Liebhaber zu seiner<lb/>
Geliebten &#x201E;mein Engel" sagt, aber ein Anderer, George Colmar,<lb/>
widersetzt sich dem durchaus, als einer Verletzung des Heiligen; er<lb/>
verwirft das Wort Schenkel als indecent und verdammter Ko¬<lb/>
bold als Blasphemie.  Der Zeuge, welcher diese Thatsachen zur<lb/>
Sprache bringt, ist der fruchtbare Moncriff, Verfasser von zweihun¬<lb/>
dert Theaterstücken, welche alle censirt worden sind. Nun hat aber<lb/>
derselbe George Colmar, welchen der unschuldige Ausdruck Engel<lb/>
empört, selbst für's Theater geschrieben und sich dabei nicht immer<lb/>
so ängstlich bewiesen. Der Präsident der Untersuchung machte sich<lb/>
das boshafte Vergnügen, ihn daran zu erinnern, und spannte ihn un¬<lb/>
ter dem Vorwande der Information durch folgende Unterredung auf<lb/>
die Folter: Der Ausschuß hat erfahren, daß Sie in einem Stücke<lb/>
das Wort Engel als Epitheton für eine Frau gestrichen haben. &#x2014;<lb/>
Ja, in der That, weil ein Engel zwar eine Frau ist, wenn Sie<lb/>
wollen, aber eine himmlische Frau. Es ist eine Anspielung auf die<lb/>
Engel der Schrift, welche himmlische Körper sind. Alle Personen,<lb/>
welche die Bibel gelesen haben, wissen es, und wenn Sie eS nicht<lb/>
wissen, verweise ich Sie auf Milton. &#x2014; Erinnern Sie sich der Stelle,<lb/>
bei welcher Sie das Wort gestrichen? &#x2014;Nein, ich kann mein Gedächt¬<lb/>
niß nicht mit all vergleichen Sachen belästigen, ich weiß nicht, ob es<lb/>
mir passirt ist, daß ich einen oder zwei Engel unterdrückt habe, aber<lb/>
es hat den Anschein, als habe ich es das eine oder das andere Mal</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0761] Karl l. wurde zurückgewiesen, weil der Schilderung des Königsmor- des Nichts fehlte, als daß man auch noch auf dem Theater das Haupt des unglücklichen Monarchen hätte fallen sehen. In einem anderen Stücke sollte eine Person vom König Wilhelm sprechend sa¬ gen: „Er spielt die Violine wie ein Engel." Diese Phrase wurde unterdrückt. Die Censur streicht unerbittlich alle gemeinen oder gott¬ losen Ausdrücke, deshalb duldet sie nicht die Worte: „Bei meinem Blut und meiner Seele!"; sie verwehrt den unnützen Gebrauch des Namens Gottes, jede den religiösen Meinungen zuwiderlaufende Stelle, jeden Fluch: Goddam u. f. w. Nach der Ansicht der Cen- soren darf die Tragödie den Namen des höchsten Wesens anwenden, die Komödie niemals. Mitunter, sagt Charles Kemble, streicht die Censur sehr schwach frivole Sachen und beweist damit mehrPrüderie und Bigotterie als Erhabenheit des Geistes. Einer von den ver¬ nommenen Censoren hat Nichts dagegen, daß ein Liebhaber zu seiner Geliebten „mein Engel" sagt, aber ein Anderer, George Colmar, widersetzt sich dem durchaus, als einer Verletzung des Heiligen; er verwirft das Wort Schenkel als indecent und verdammter Ko¬ bold als Blasphemie. Der Zeuge, welcher diese Thatsachen zur Sprache bringt, ist der fruchtbare Moncriff, Verfasser von zweihun¬ dert Theaterstücken, welche alle censirt worden sind. Nun hat aber derselbe George Colmar, welchen der unschuldige Ausdruck Engel empört, selbst für's Theater geschrieben und sich dabei nicht immer so ängstlich bewiesen. Der Präsident der Untersuchung machte sich das boshafte Vergnügen, ihn daran zu erinnern, und spannte ihn un¬ ter dem Vorwande der Information durch folgende Unterredung auf die Folter: Der Ausschuß hat erfahren, daß Sie in einem Stücke das Wort Engel als Epitheton für eine Frau gestrichen haben. — Ja, in der That, weil ein Engel zwar eine Frau ist, wenn Sie wollen, aber eine himmlische Frau. Es ist eine Anspielung auf die Engel der Schrift, welche himmlische Körper sind. Alle Personen, welche die Bibel gelesen haben, wissen es, und wenn Sie eS nicht wissen, verweise ich Sie auf Milton. — Erinnern Sie sich der Stelle, bei welcher Sie das Wort gestrichen? —Nein, ich kann mein Gedächt¬ niß nicht mit all vergleichen Sachen belästigen, ich weiß nicht, ob es mir passirt ist, daß ich einen oder zwei Engel unterdrückt habe, aber es hat den Anschein, als habe ich es das eine oder das andere Mal

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/761
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/761>, abgerufen am 01.07.2024.