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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und Fürst Nadziwill standen mit dem Rücken gegen das Fenster, und
wir hörten einigemal die Stimmen ihres Beifalls. Wie gern hätten
wir die unsngcn hinzugefügt! Das Spiel des Prinzen war kühn
und gewaltig, oft rührend^ meist bizarr, immer von höchster Meister¬
schaft. Nach einer halben Stunde hörte er auf, bald nachher fuhr
er mit seinem Schwager nach Hause. Die Uhr war halb eins.
Auch wir gingen nun, und Brinkmann brachte mich zu meinem Gast¬
hofe, wo mir aber die empfangenen Bilder und Eindrücke noch lange
den Schlaf versagten.




Ich habe vergessen zu sagen, daß Ludwig Robert mich auf den
nächsten Vormittag zu sich beschieden hatte, weil ich noch einige sei¬
ner Gedichte hören sollte. Es war schon gegen Mittag, als ich hin¬
ging, und ich glaubte, sehr spät zu kommen. Eine alte wunderliche
Magd, die ich schon gestern unter all der großen Welt ein paarmal
hatte wirthschaften sehen, führte mich zwei Treppen hinauf; allein die
Thüre links, wo man bei Robert eintrat, war verschlossen und es
hieß, der Herr schlafe noch. Während ich meine Bestellung zu ma¬
chen bemüht war, öffnete sich aber die Thüre rechts und ich stand
vor Demoiselle Levin. Sie entschuldigte ihren Bruder, der spät nach
Hause gekommen sei, und hieß mich bei ihr eintreten, bis er aufge¬
standen wäre. Ich ließ mir den Wechsel gern gefallen. Eine freund¬
liche Mansarde, bequem, doch ohne Lurus eingerichtet, empfing uns.
Wir setzten uns dem schrägen Dachfenster gegenüber, wo ein Bild
von Lessing an der Wand hing.

Wir sprachen von dem gestrigen Abend; ich bekannte ihr meine
Begeisterung für Prinz Louis und sah, daß ihr meine Aeußerungen
Freude machten. Sie hielt mich werth, einige nähere Aufschlüsse über
ihn zu empfangen und erzählte mir Züge von ihm, die auch durch die Art,
wie sie von ihr aufgefaßt und gedeutet wurden, Bewunderung ver¬
dienten. Sie war aber so entfernt von blinder Eingenommenheit,
daß sie den Prinzen vielmehr hart und scharf tadelte wegen seines
zerstreuten, aufgelösten Lebens, wegen seines Mangels an strenger,
conseauenter Thätigkeit und Einrichtung. Sie sagte vortreffliche Sa¬
chen über Stellung in der Welt, Pflicht, Beruf und über die Beding-


und Fürst Nadziwill standen mit dem Rücken gegen das Fenster, und
wir hörten einigemal die Stimmen ihres Beifalls. Wie gern hätten
wir die unsngcn hinzugefügt! Das Spiel des Prinzen war kühn
und gewaltig, oft rührend^ meist bizarr, immer von höchster Meister¬
schaft. Nach einer halben Stunde hörte er auf, bald nachher fuhr
er mit seinem Schwager nach Hause. Die Uhr war halb eins.
Auch wir gingen nun, und Brinkmann brachte mich zu meinem Gast¬
hofe, wo mir aber die empfangenen Bilder und Eindrücke noch lange
den Schlaf versagten.




Ich habe vergessen zu sagen, daß Ludwig Robert mich auf den
nächsten Vormittag zu sich beschieden hatte, weil ich noch einige sei¬
ner Gedichte hören sollte. Es war schon gegen Mittag, als ich hin¬
ging, und ich glaubte, sehr spät zu kommen. Eine alte wunderliche
Magd, die ich schon gestern unter all der großen Welt ein paarmal
hatte wirthschaften sehen, führte mich zwei Treppen hinauf; allein die
Thüre links, wo man bei Robert eintrat, war verschlossen und es
hieß, der Herr schlafe noch. Während ich meine Bestellung zu ma¬
chen bemüht war, öffnete sich aber die Thüre rechts und ich stand
vor Demoiselle Levin. Sie entschuldigte ihren Bruder, der spät nach
Hause gekommen sei, und hieß mich bei ihr eintreten, bis er aufge¬
standen wäre. Ich ließ mir den Wechsel gern gefallen. Eine freund¬
liche Mansarde, bequem, doch ohne Lurus eingerichtet, empfing uns.
Wir setzten uns dem schrägen Dachfenster gegenüber, wo ein Bild
von Lessing an der Wand hing.

Wir sprachen von dem gestrigen Abend; ich bekannte ihr meine
Begeisterung für Prinz Louis und sah, daß ihr meine Aeußerungen
Freude machten. Sie hielt mich werth, einige nähere Aufschlüsse über
ihn zu empfangen und erzählte mir Züge von ihm, die auch durch die Art,
wie sie von ihr aufgefaßt und gedeutet wurden, Bewunderung ver¬
dienten. Sie war aber so entfernt von blinder Eingenommenheit,
daß sie den Prinzen vielmehr hart und scharf tadelte wegen seines
zerstreuten, aufgelösten Lebens, wegen seines Mangels an strenger,
conseauenter Thätigkeit und Einrichtung. Sie sagte vortreffliche Sa¬
chen über Stellung in der Welt, Pflicht, Beruf und über die Beding-


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[0748] und Fürst Nadziwill standen mit dem Rücken gegen das Fenster, und wir hörten einigemal die Stimmen ihres Beifalls. Wie gern hätten wir die unsngcn hinzugefügt! Das Spiel des Prinzen war kühn und gewaltig, oft rührend^ meist bizarr, immer von höchster Meister¬ schaft. Nach einer halben Stunde hörte er auf, bald nachher fuhr er mit seinem Schwager nach Hause. Die Uhr war halb eins. Auch wir gingen nun, und Brinkmann brachte mich zu meinem Gast¬ hofe, wo mir aber die empfangenen Bilder und Eindrücke noch lange den Schlaf versagten. Ich habe vergessen zu sagen, daß Ludwig Robert mich auf den nächsten Vormittag zu sich beschieden hatte, weil ich noch einige sei¬ ner Gedichte hören sollte. Es war schon gegen Mittag, als ich hin¬ ging, und ich glaubte, sehr spät zu kommen. Eine alte wunderliche Magd, die ich schon gestern unter all der großen Welt ein paarmal hatte wirthschaften sehen, führte mich zwei Treppen hinauf; allein die Thüre links, wo man bei Robert eintrat, war verschlossen und es hieß, der Herr schlafe noch. Während ich meine Bestellung zu ma¬ chen bemüht war, öffnete sich aber die Thüre rechts und ich stand vor Demoiselle Levin. Sie entschuldigte ihren Bruder, der spät nach Hause gekommen sei, und hieß mich bei ihr eintreten, bis er aufge¬ standen wäre. Ich ließ mir den Wechsel gern gefallen. Eine freund¬ liche Mansarde, bequem, doch ohne Lurus eingerichtet, empfing uns. Wir setzten uns dem schrägen Dachfenster gegenüber, wo ein Bild von Lessing an der Wand hing. Wir sprachen von dem gestrigen Abend; ich bekannte ihr meine Begeisterung für Prinz Louis und sah, daß ihr meine Aeußerungen Freude machten. Sie hielt mich werth, einige nähere Aufschlüsse über ihn zu empfangen und erzählte mir Züge von ihm, die auch durch die Art, wie sie von ihr aufgefaßt und gedeutet wurden, Bewunderung ver¬ dienten. Sie war aber so entfernt von blinder Eingenommenheit, daß sie den Prinzen vielmehr hart und scharf tadelte wegen seines zerstreuten, aufgelösten Lebens, wegen seines Mangels an strenger, conseauenter Thätigkeit und Einrichtung. Sie sagte vortreffliche Sa¬ chen über Stellung in der Welt, Pflicht, Beruf und über die Beding-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/748>, abgerufen am 01.07.2024.