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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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es den Chefs, zu entfliehen, während die armen Düpirten, wie gewöhn¬
lich, der rücksichtslosen Rache der päpstlichen Behörden als Opfer sie¬
len, und nach dem Gesetz, das heißt nach dem Standrecht verurtheilr
wurden. Der Angeklagten waren fünfzig, arme Handwerker, zwei oder
drei Bauern und einige Lehrlinge, der größte Theil noch halbe Kna¬
ben. Bon den fünfzig Angeklagten standen dreiunddreißig im Alter
von siebzehn bis dreiundzwanzig Jahren. Zwanzig wurden zum Tod"
verurtheilt, dreizehn lebenslänglich zu den Galeeren, fünf auf fünfzehn
Jahre, drei auf zehn und zwei auf fünf Jahre. Die Militärcommis¬
sion sing ihr Amt damit an, eine heilige Messe zu hören, und sprach
ihr Urtheil, nachdem sie "den heiligsten Namen Gottes" angerufen
hatte. Von den zum Tode Verurtheilten wurden am 7. Mai sechs
von rückwärts im Prato ti San Antonio zu Bologna erschossen.

-- Victor Hugo ist Graf geworden. Der Moniteur vom 25,.
Mai meldet officiell; "Der Graf Victor Hugo ist vom König em¬
pfangen worden." Es ist charakteristisch für die Wendung der poli¬
tischen Stimmung Frankreichs, daß die meisten Schriftsteller, welche
die Wellen der Julirevolution hervorgeschleudert haben, jetzt bei stiller
See ihre alten Adelsbriefe hervorholen und an der Sonne trocknen.
George Sand heißt auf ihren Visitenkarten plötzlich Madame I-t It.l-
online oil<I<zö?un; Alexander Dumas erinnert sich, daß er Vicomte ist,
Balzac ist zum d e Balzac avancirt. Schade, daß das junge Deutsch¬
land sich aufgelöst und seine früheren Musterbilder verlassen hat.
Rechtmäßigerweise müßte es jetzt Freiherr von Heine, Graf Gutzkow,
Marquis Laube u. f. w. heißen. Vicomte de Mundt wäre auch nicht
übel, und Ritter Wienbarg gewiß sehr passend. Schade! -- Aber für
Einen müssen wir reclamiren: Für Freiligrath. Wie, Victor ist Graf
geworden und sein Nachfolger Freiligrath ist noch nicht einmal zum
Herrn von avancirt?

Die größten Umwälzungen bereiten sich in tiefster Stille und
haben die kleinsten Anfange. Blind und stumpf aber stehen die Leit¬
hammel und die Hirten der Völker vor der Krippe, in der ein neues
Heil der Welt geboren werden soll. Wer hatte es geahnt, daß die
Augsburger Allgemeine Zeitung, die in Cabineten, Kaffeehäusern und
Lesemuseen als die Hauptstütze der conservcttiven Partei, als die Für¬
sprecherin des besonnensten Fortschritts, als die mütterlichste Pflegerin
des reinen und streng nationalen Deutschthums angesehen wird, daß
dieses solide alte Haus im Stillen an einer allgemeinen deutschen
Revolution arbeitet? Das "Vaterland" und die "Dorfzeitung" haben
in ihrer Kurzsichtigkeit schon einmal Lärm geschlagen und hätten bald
den großen Plan vereitelt. Aber glücklicherweise blieb ihr Mißverständ¬
niß ohne Folgen, die Conservcttiven verharrten in ihrer Sicherheit, die


es den Chefs, zu entfliehen, während die armen Düpirten, wie gewöhn¬
lich, der rücksichtslosen Rache der päpstlichen Behörden als Opfer sie¬
len, und nach dem Gesetz, das heißt nach dem Standrecht verurtheilr
wurden. Der Angeklagten waren fünfzig, arme Handwerker, zwei oder
drei Bauern und einige Lehrlinge, der größte Theil noch halbe Kna¬
ben. Bon den fünfzig Angeklagten standen dreiunddreißig im Alter
von siebzehn bis dreiundzwanzig Jahren. Zwanzig wurden zum Tod«
verurtheilt, dreizehn lebenslänglich zu den Galeeren, fünf auf fünfzehn
Jahre, drei auf zehn und zwei auf fünf Jahre. Die Militärcommis¬
sion sing ihr Amt damit an, eine heilige Messe zu hören, und sprach
ihr Urtheil, nachdem sie „den heiligsten Namen Gottes" angerufen
hatte. Von den zum Tode Verurtheilten wurden am 7. Mai sechs
von rückwärts im Prato ti San Antonio zu Bologna erschossen.

— Victor Hugo ist Graf geworden. Der Moniteur vom 25,.
Mai meldet officiell; „Der Graf Victor Hugo ist vom König em¬
pfangen worden." Es ist charakteristisch für die Wendung der poli¬
tischen Stimmung Frankreichs, daß die meisten Schriftsteller, welche
die Wellen der Julirevolution hervorgeschleudert haben, jetzt bei stiller
See ihre alten Adelsbriefe hervorholen und an der Sonne trocknen.
George Sand heißt auf ihren Visitenkarten plötzlich Madame I-t It.l-
online oil<I<zö?un; Alexander Dumas erinnert sich, daß er Vicomte ist,
Balzac ist zum d e Balzac avancirt. Schade, daß das junge Deutsch¬
land sich aufgelöst und seine früheren Musterbilder verlassen hat.
Rechtmäßigerweise müßte es jetzt Freiherr von Heine, Graf Gutzkow,
Marquis Laube u. f. w. heißen. Vicomte de Mundt wäre auch nicht
übel, und Ritter Wienbarg gewiß sehr passend. Schade! — Aber für
Einen müssen wir reclamiren: Für Freiligrath. Wie, Victor ist Graf
geworden und sein Nachfolger Freiligrath ist noch nicht einmal zum
Herrn von avancirt?

Die größten Umwälzungen bereiten sich in tiefster Stille und
haben die kleinsten Anfange. Blind und stumpf aber stehen die Leit¬
hammel und die Hirten der Völker vor der Krippe, in der ein neues
Heil der Welt geboren werden soll. Wer hatte es geahnt, daß die
Augsburger Allgemeine Zeitung, die in Cabineten, Kaffeehäusern und
Lesemuseen als die Hauptstütze der conservcttiven Partei, als die Für¬
sprecherin des besonnensten Fortschritts, als die mütterlichste Pflegerin
des reinen und streng nationalen Deutschthums angesehen wird, daß
dieses solide alte Haus im Stillen an einer allgemeinen deutschen
Revolution arbeitet? Das „Vaterland" und die „Dorfzeitung" haben
in ihrer Kurzsichtigkeit schon einmal Lärm geschlagen und hätten bald
den großen Plan vereitelt. Aber glücklicherweise blieb ihr Mißverständ¬
niß ohne Folgen, die Conservcttiven verharrten in ihrer Sicherheit, die


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[0738] es den Chefs, zu entfliehen, während die armen Düpirten, wie gewöhn¬ lich, der rücksichtslosen Rache der päpstlichen Behörden als Opfer sie¬ len, und nach dem Gesetz, das heißt nach dem Standrecht verurtheilr wurden. Der Angeklagten waren fünfzig, arme Handwerker, zwei oder drei Bauern und einige Lehrlinge, der größte Theil noch halbe Kna¬ ben. Bon den fünfzig Angeklagten standen dreiunddreißig im Alter von siebzehn bis dreiundzwanzig Jahren. Zwanzig wurden zum Tod« verurtheilt, dreizehn lebenslänglich zu den Galeeren, fünf auf fünfzehn Jahre, drei auf zehn und zwei auf fünf Jahre. Die Militärcommis¬ sion sing ihr Amt damit an, eine heilige Messe zu hören, und sprach ihr Urtheil, nachdem sie „den heiligsten Namen Gottes" angerufen hatte. Von den zum Tode Verurtheilten wurden am 7. Mai sechs von rückwärts im Prato ti San Antonio zu Bologna erschossen. — Victor Hugo ist Graf geworden. Der Moniteur vom 25,. Mai meldet officiell; „Der Graf Victor Hugo ist vom König em¬ pfangen worden." Es ist charakteristisch für die Wendung der poli¬ tischen Stimmung Frankreichs, daß die meisten Schriftsteller, welche die Wellen der Julirevolution hervorgeschleudert haben, jetzt bei stiller See ihre alten Adelsbriefe hervorholen und an der Sonne trocknen. George Sand heißt auf ihren Visitenkarten plötzlich Madame I-t It.l- online oil<I<zö?un; Alexander Dumas erinnert sich, daß er Vicomte ist, Balzac ist zum d e Balzac avancirt. Schade, daß das junge Deutsch¬ land sich aufgelöst und seine früheren Musterbilder verlassen hat. Rechtmäßigerweise müßte es jetzt Freiherr von Heine, Graf Gutzkow, Marquis Laube u. f. w. heißen. Vicomte de Mundt wäre auch nicht übel, und Ritter Wienbarg gewiß sehr passend. Schade! — Aber für Einen müssen wir reclamiren: Für Freiligrath. Wie, Victor ist Graf geworden und sein Nachfolger Freiligrath ist noch nicht einmal zum Herrn von avancirt? Die größten Umwälzungen bereiten sich in tiefster Stille und haben die kleinsten Anfange. Blind und stumpf aber stehen die Leit¬ hammel und die Hirten der Völker vor der Krippe, in der ein neues Heil der Welt geboren werden soll. Wer hatte es geahnt, daß die Augsburger Allgemeine Zeitung, die in Cabineten, Kaffeehäusern und Lesemuseen als die Hauptstütze der conservcttiven Partei, als die Für¬ sprecherin des besonnensten Fortschritts, als die mütterlichste Pflegerin des reinen und streng nationalen Deutschthums angesehen wird, daß dieses solide alte Haus im Stillen an einer allgemeinen deutschen Revolution arbeitet? Das „Vaterland" und die „Dorfzeitung" haben in ihrer Kurzsichtigkeit schon einmal Lärm geschlagen und hätten bald den großen Plan vereitelt. Aber glücklicherweise blieb ihr Mißverständ¬ niß ohne Folgen, die Conservcttiven verharrten in ihrer Sicherheit, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/738>, abgerufen am 22.12.2024.