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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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als könnte Cüstine dem gemeinsten Russen nicht anders als lächerlich
und unsinnig erscheinen. Ja, dem gemeinsten, allerdings! Im Aus¬
lande und nach außen thun sie fein, bis zum Anstrich des humanster
Liberalismus. Befiehl man sie genauer, so merkt man, daß ihre
Politur eine Hautsalbe ist aus Pech und Patchouli.

-- Herr Kühl aus Butzbach, welcher durch schätzbare Nachfor¬
schungen und Angaben über Jordan, Weidig und -andere Revolutio¬
näre gewissermaßen das deutsche Vaterland gerettet hat, behauptet jetzt,
^von seinen Freunden und Gönnern undankbarer Weise um seinen
Lohn verkürzt worden zu sein. Er hat den Freiherrn von Thil und
Herrn Stein von Wimpfen deshalb verklagt; er verlangt zwanzigtau¬
send Gulden, während ihm nur viertausend gegeben und auch davon
mehrere Hundert vorenthalten wurden. Seine Mittheilungen waren
unter Brüdern ihre zwanzigtauiend werth. Wir sehen nicht ein, wel¬
ches Recht man hat, ihn in offiziellen Blättern gleichsam als "inen
Spion zu desavouircn und verächtlich zu behandeln, nachdem man
mit ihm gemeinschaftlich operirt oder wenigstens seine patriotischen
Dienste mit Anerkennung aufgenommen und mit Aufmunterung und
Werthschätzung gesucht hat.

-- Eine preußische Familie ist nach Konstantinopel gekommen,
um mohamedanisch zu werden. Ein türkischer Offizier, der in Ber¬
lin gewesen und mit einer Tochter dieses preußischen Hauses eine
redliche Liebschaft angeknüpft, ist Schuld daran. Der preußische Ge¬
sandte in Stambul hat sich an die Pforte gewendet, um den Skan¬
dal, so heißt es in den Blättern, zu verhindern. Wie parteiisch! Wie,
wenn der Türke, als er in Berlin war, protestantisch werden und der
türkische Gesandte gegen diesen Skandal hätte protestiren wollen, was
hatte man gesagt?!

-- Jährlich einmal nimmt Heinrich Heine die Singvögel .alle,
die Componisten und Virtuosen auf's Korn, die, von Paris aufflat¬
ternd, sich über Deutschland verbreiten. Er ist oft unbarmherzig bei
diesem Vogelschießen, das muß man gestehen, aber daß er trifft,
wird Niemand läugnen, der unlängst in der Augsburger Allgemeinen
seinen letzten Brief las. Sivori nennt er ein geigendes Brechpulver,
Berlioz erinnert ihn an antediluvianische Riesenthürme und Ungeheuer,
Mendelssohn -- gegen den er übrigens für Meyerbeer eifert -- er¬
klärt er für einen "ordentlichen modernen Menschen". Am wahrsten
schien uns die Bemerkung, daß der ganzen Zeit die Musik (nicht blos
im engeren Wortsinne), wie ein Elektromagnetismus, in den Glie¬
dern stecke.




Verlag von-Ar. Antw. Heri'ig. -- Redacteur I. Kurnndn
Druck von Friedrich Andrä.

als könnte Cüstine dem gemeinsten Russen nicht anders als lächerlich
und unsinnig erscheinen. Ja, dem gemeinsten, allerdings! Im Aus¬
lande und nach außen thun sie fein, bis zum Anstrich des humanster
Liberalismus. Befiehl man sie genauer, so merkt man, daß ihre
Politur eine Hautsalbe ist aus Pech und Patchouli.

— Herr Kühl aus Butzbach, welcher durch schätzbare Nachfor¬
schungen und Angaben über Jordan, Weidig und -andere Revolutio¬
näre gewissermaßen das deutsche Vaterland gerettet hat, behauptet jetzt,
^von seinen Freunden und Gönnern undankbarer Weise um seinen
Lohn verkürzt worden zu sein. Er hat den Freiherrn von Thil und
Herrn Stein von Wimpfen deshalb verklagt; er verlangt zwanzigtau¬
send Gulden, während ihm nur viertausend gegeben und auch davon
mehrere Hundert vorenthalten wurden. Seine Mittheilungen waren
unter Brüdern ihre zwanzigtauiend werth. Wir sehen nicht ein, wel¬
ches Recht man hat, ihn in offiziellen Blättern gleichsam als «inen
Spion zu desavouircn und verächtlich zu behandeln, nachdem man
mit ihm gemeinschaftlich operirt oder wenigstens seine patriotischen
Dienste mit Anerkennung aufgenommen und mit Aufmunterung und
Werthschätzung gesucht hat.

— Eine preußische Familie ist nach Konstantinopel gekommen,
um mohamedanisch zu werden. Ein türkischer Offizier, der in Ber¬
lin gewesen und mit einer Tochter dieses preußischen Hauses eine
redliche Liebschaft angeknüpft, ist Schuld daran. Der preußische Ge¬
sandte in Stambul hat sich an die Pforte gewendet, um den Skan¬
dal, so heißt es in den Blättern, zu verhindern. Wie parteiisch! Wie,
wenn der Türke, als er in Berlin war, protestantisch werden und der
türkische Gesandte gegen diesen Skandal hätte protestiren wollen, was
hatte man gesagt?!

— Jährlich einmal nimmt Heinrich Heine die Singvögel .alle,
die Componisten und Virtuosen auf's Korn, die, von Paris aufflat¬
ternd, sich über Deutschland verbreiten. Er ist oft unbarmherzig bei
diesem Vogelschießen, das muß man gestehen, aber daß er trifft,
wird Niemand läugnen, der unlängst in der Augsburger Allgemeinen
seinen letzten Brief las. Sivori nennt er ein geigendes Brechpulver,
Berlioz erinnert ihn an antediluvianische Riesenthürme und Ungeheuer,
Mendelssohn — gegen den er übrigens für Meyerbeer eifert — er¬
klärt er für einen „ordentlichen modernen Menschen". Am wahrsten
schien uns die Bemerkung, daß der ganzen Zeit die Musik (nicht blos
im engeren Wortsinne), wie ein Elektromagnetismus, in den Glie¬
dern stecke.




Verlag von-Ar. Antw. Heri'ig. — Redacteur I. Kurnndn
Druck von Friedrich Andrä.
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[0676] als könnte Cüstine dem gemeinsten Russen nicht anders als lächerlich und unsinnig erscheinen. Ja, dem gemeinsten, allerdings! Im Aus¬ lande und nach außen thun sie fein, bis zum Anstrich des humanster Liberalismus. Befiehl man sie genauer, so merkt man, daß ihre Politur eine Hautsalbe ist aus Pech und Patchouli. — Herr Kühl aus Butzbach, welcher durch schätzbare Nachfor¬ schungen und Angaben über Jordan, Weidig und -andere Revolutio¬ näre gewissermaßen das deutsche Vaterland gerettet hat, behauptet jetzt, ^von seinen Freunden und Gönnern undankbarer Weise um seinen Lohn verkürzt worden zu sein. Er hat den Freiherrn von Thil und Herrn Stein von Wimpfen deshalb verklagt; er verlangt zwanzigtau¬ send Gulden, während ihm nur viertausend gegeben und auch davon mehrere Hundert vorenthalten wurden. Seine Mittheilungen waren unter Brüdern ihre zwanzigtauiend werth. Wir sehen nicht ein, wel¬ ches Recht man hat, ihn in offiziellen Blättern gleichsam als «inen Spion zu desavouircn und verächtlich zu behandeln, nachdem man mit ihm gemeinschaftlich operirt oder wenigstens seine patriotischen Dienste mit Anerkennung aufgenommen und mit Aufmunterung und Werthschätzung gesucht hat. — Eine preußische Familie ist nach Konstantinopel gekommen, um mohamedanisch zu werden. Ein türkischer Offizier, der in Ber¬ lin gewesen und mit einer Tochter dieses preußischen Hauses eine redliche Liebschaft angeknüpft, ist Schuld daran. Der preußische Ge¬ sandte in Stambul hat sich an die Pforte gewendet, um den Skan¬ dal, so heißt es in den Blättern, zu verhindern. Wie parteiisch! Wie, wenn der Türke, als er in Berlin war, protestantisch werden und der türkische Gesandte gegen diesen Skandal hätte protestiren wollen, was hatte man gesagt?! — Jährlich einmal nimmt Heinrich Heine die Singvögel .alle, die Componisten und Virtuosen auf's Korn, die, von Paris aufflat¬ ternd, sich über Deutschland verbreiten. Er ist oft unbarmherzig bei diesem Vogelschießen, das muß man gestehen, aber daß er trifft, wird Niemand läugnen, der unlängst in der Augsburger Allgemeinen seinen letzten Brief las. Sivori nennt er ein geigendes Brechpulver, Berlioz erinnert ihn an antediluvianische Riesenthürme und Ungeheuer, Mendelssohn — gegen den er übrigens für Meyerbeer eifert — er¬ klärt er für einen „ordentlichen modernen Menschen". Am wahrsten schien uns die Bemerkung, daß der ganzen Zeit die Musik (nicht blos im engeren Wortsinne), wie ein Elektromagnetismus, in den Glie¬ dern stecke. Verlag von-Ar. Antw. Heri'ig. — Redacteur I. Kurnndn Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/676>, abgerufen am 01.07.2024.