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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Auf der Rednerbühne ist er, wenn nicht der beredteste, doch gewiß der
originellste der französischen Redner. Hier erscheint sein Charakte,
als Advocat mit dem ganzen Gefolge von Citationen, Metaphern und
Sprüchwörtern aller Art; er gewinnt an Klarheit, an Kraft, Wasser an
Ernst und Würde verliert, und zuweilen haben seine Witzworte eine
Majorität geschaffen oder ein Ministerium gestürzt.

Wie Jeder weiß, gibt es in der Kammer Radikale, eine dyna¬
stische Opposition, Legitimisten, Humanitaires, ein juste milieu und
"<>all-illaire8. Nun gehört eigentlich Dupin keiner von diesen Parteien
an; was ist also Dupin? Er ist Legist und Utilitarier. Erklären
wir uns näher.

Für die Radikalen ist die Julirevolution ein escamotirter Sieg,
für die dynastische Opposition ein von seinem Ziel abwendig gemachter
Sieg; für die Humanitaires ein Schritt mehr auf dem Wege des
Fortschritts; für die Legitimisten die Verletzung eines ewigen Prinzips
der staatlichen Ordnung, für das justo milieu eine glorreiche That,
welche anzunehmen, für die Noctrin-üres eine geschehene That, welche
zu regeln ist. Für Dupin ist sie viel weniger und ein wenig mehr
als Alles das; sie ist ein Contractbruch wegen Nichterfüllung der Be¬
dingungen und ein mit neuen Bedingungen wieder aufgesetzter Con-
tract. Immer und überall sehen wir Dupin bestrebt, den gesetzlichen,
positiven und conventionellen Charakter dessen hervorzuheben, was er
den 1830 gegründeten Zustand nennt. Die Krone war zu nehmen
oder zu lassen, sagte er; die Annahme des Königs und das Formu¬
lar seines Eides wurden durch einen Advokaten aufgesetzt, welcher
gewissermaßen der Notar bei diesem großen politischen Geschäft war.
Das Ganze war streng in juristischen Ausdrücken gehalten.
Dupin hält sich hauptsächlich an den Notar und die juristischen Aus¬
drücke.

War diese Vernunftheirath zwischen Frankreich einerseits und der
Juliregierung andererseits vor Herrn Dupin als Notar einmal geschlossen
und von ihm in juristischer Form protocollirt, so sah er sich natürlich
veranlaßt, sich mit den Angelegenheiten der contrahirenden Parteien
zu beschäftigen. Er hat über die Ausführung der Bedingungen deS
Contracts gewacht, er hat so viel wie möglich den Frieden und die
Eintracht zwischen den Neuverbundenen zu erhalten gesucht und bald


Auf der Rednerbühne ist er, wenn nicht der beredteste, doch gewiß der
originellste der französischen Redner. Hier erscheint sein Charakte,
als Advocat mit dem ganzen Gefolge von Citationen, Metaphern und
Sprüchwörtern aller Art; er gewinnt an Klarheit, an Kraft, Wasser an
Ernst und Würde verliert, und zuweilen haben seine Witzworte eine
Majorität geschaffen oder ein Ministerium gestürzt.

Wie Jeder weiß, gibt es in der Kammer Radikale, eine dyna¬
stische Opposition, Legitimisten, Humanitaires, ein juste milieu und
»<>all-illaire8. Nun gehört eigentlich Dupin keiner von diesen Parteien
an; was ist also Dupin? Er ist Legist und Utilitarier. Erklären
wir uns näher.

Für die Radikalen ist die Julirevolution ein escamotirter Sieg,
für die dynastische Opposition ein von seinem Ziel abwendig gemachter
Sieg; für die Humanitaires ein Schritt mehr auf dem Wege des
Fortschritts; für die Legitimisten die Verletzung eines ewigen Prinzips
der staatlichen Ordnung, für das justo milieu eine glorreiche That,
welche anzunehmen, für die Noctrin-üres eine geschehene That, welche
zu regeln ist. Für Dupin ist sie viel weniger und ein wenig mehr
als Alles das; sie ist ein Contractbruch wegen Nichterfüllung der Be¬
dingungen und ein mit neuen Bedingungen wieder aufgesetzter Con-
tract. Immer und überall sehen wir Dupin bestrebt, den gesetzlichen,
positiven und conventionellen Charakter dessen hervorzuheben, was er
den 1830 gegründeten Zustand nennt. Die Krone war zu nehmen
oder zu lassen, sagte er; die Annahme des Königs und das Formu¬
lar seines Eides wurden durch einen Advokaten aufgesetzt, welcher
gewissermaßen der Notar bei diesem großen politischen Geschäft war.
Das Ganze war streng in juristischen Ausdrücken gehalten.
Dupin hält sich hauptsächlich an den Notar und die juristischen Aus¬
drücke.

War diese Vernunftheirath zwischen Frankreich einerseits und der
Juliregierung andererseits vor Herrn Dupin als Notar einmal geschlossen
und von ihm in juristischer Form protocollirt, so sah er sich natürlich
veranlaßt, sich mit den Angelegenheiten der contrahirenden Parteien
zu beschäftigen. Er hat über die Ausführung der Bedingungen deS
Contracts gewacht, er hat so viel wie möglich den Frieden und die
Eintracht zwischen den Neuverbundenen zu erhalten gesucht und bald


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[0662] Auf der Rednerbühne ist er, wenn nicht der beredteste, doch gewiß der originellste der französischen Redner. Hier erscheint sein Charakte, als Advocat mit dem ganzen Gefolge von Citationen, Metaphern und Sprüchwörtern aller Art; er gewinnt an Klarheit, an Kraft, Wasser an Ernst und Würde verliert, und zuweilen haben seine Witzworte eine Majorität geschaffen oder ein Ministerium gestürzt. Wie Jeder weiß, gibt es in der Kammer Radikale, eine dyna¬ stische Opposition, Legitimisten, Humanitaires, ein juste milieu und »<>all-illaire8. Nun gehört eigentlich Dupin keiner von diesen Parteien an; was ist also Dupin? Er ist Legist und Utilitarier. Erklären wir uns näher. Für die Radikalen ist die Julirevolution ein escamotirter Sieg, für die dynastische Opposition ein von seinem Ziel abwendig gemachter Sieg; für die Humanitaires ein Schritt mehr auf dem Wege des Fortschritts; für die Legitimisten die Verletzung eines ewigen Prinzips der staatlichen Ordnung, für das justo milieu eine glorreiche That, welche anzunehmen, für die Noctrin-üres eine geschehene That, welche zu regeln ist. Für Dupin ist sie viel weniger und ein wenig mehr als Alles das; sie ist ein Contractbruch wegen Nichterfüllung der Be¬ dingungen und ein mit neuen Bedingungen wieder aufgesetzter Con- tract. Immer und überall sehen wir Dupin bestrebt, den gesetzlichen, positiven und conventionellen Charakter dessen hervorzuheben, was er den 1830 gegründeten Zustand nennt. Die Krone war zu nehmen oder zu lassen, sagte er; die Annahme des Königs und das Formu¬ lar seines Eides wurden durch einen Advokaten aufgesetzt, welcher gewissermaßen der Notar bei diesem großen politischen Geschäft war. Das Ganze war streng in juristischen Ausdrücken gehalten. Dupin hält sich hauptsächlich an den Notar und die juristischen Aus¬ drücke. War diese Vernunftheirath zwischen Frankreich einerseits und der Juliregierung andererseits vor Herrn Dupin als Notar einmal geschlossen und von ihm in juristischer Form protocollirt, so sah er sich natürlich veranlaßt, sich mit den Angelegenheiten der contrahirenden Parteien zu beschäftigen. Er hat über die Ausführung der Bedingungen deS Contracts gewacht, er hat so viel wie möglich den Frieden und die Eintracht zwischen den Neuverbundenen zu erhalten gesucht und bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/662>, abgerufen am 01.07.2024.