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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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eine lebendige Encyclopädie sein. Von Homer bis Rousseau, von
der Bibel bis zum Civilgesetzbuch, von dem Gesetz der zwölf Tafeln
bis zum Koran hat Dupin Alles gelesen, Alles behalten; er weist so
viel und so mancherlei, daß es kein Wunder ist, wenn er das, was
er weiß, nur halb verdaut. Dupin hat ein l>r.'"ü8 Iiistoi-une et>
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von seinen zahlreichen Gelegenheitsschriftcn zu sprechen, wollen wir
hier nur die charakteristische und merkwürdige Brochüre Dupin's
über die Verurtheilung Christi erwähnen; Dupin ist der größte Re¬
visor von Processen, der größte Ausgleicher alles Unrechts, welches
auf Erden geschehen ist. Alles, was an Ungesetzlichkeit grenzt, empört
ihn aufs Tiefste; für ihn ist die Frage des Gefühls wenig, die Frage
des Rechts Alles. So ist in den Augen des Christen der Tod Chri-
sti eine göttliche Sühne und ein heiliges Opfer für die Menschen;
in Dupin's Augen ist er nur die Folge einer Handlung schmählicher
Ungerechtigkeit, und so findet nach achtzehnhundert Jahren Pontius
Pilatus einen Mann, welcher ihm mit dem Talmud in der Hand
beweist, daß sein Urtheil wegen Formfehlern und wegen falscher Aus-
legung der Gesetze nichtig ist.

Wir wissen nicht, ob wegen seiner kleinen Bücher die französische
Akademie Dupin in ihrer Mitte aufgenommen hat; uns gefallen eben
so sehr seine akademischen Reden und wir ziehen diesen in seinen
kleinen Büchern seine Gerichtöreden als Generalprocurator vor. So
wie ein großes öffentliches Interesse durch die Dunkelheit oder das
Stillschweigen des Gesetzgebers benachteiligt wird, ist es ein merk¬
würdiges Schauspiel zu sehen, mit welchem Eifer, mit welcher Muth,
mit welcher Gewalt deö Scharfsinns Dupin dem Gesetz zu Hilfe
kommt, wie er den todten Buchstaben belebt, wie er ihn mit der Fackel
seiner Gelehrsamkeit aufhellt, wie er ihn mit siegreicher Argumentation
umlagert, um ihn wider seinen Willen zum Sprechen zu zwingen,
um ihm das Wort zu entreißen, was er sagen sollte und was er
unglücklicherweise nicht sagt. Aus diese Weise hat Dupin fast mit
Gewalt den Cassationshof in seine richterlichen Ansichten über das
Duell hineingezogen; auf diese Weise hat er das Stillschweigen des
Gesetzes in den Fragen des litemrischm Eigenthums gut gemacht.


Grenzboten Isi-i. I. 85

eine lebendige Encyclopädie sein. Von Homer bis Rousseau, von
der Bibel bis zum Civilgesetzbuch, von dem Gesetz der zwölf Tafeln
bis zum Koran hat Dupin Alles gelesen, Alles behalten; er weist so
viel und so mancherlei, daß es kein Wunder ist, wenn er das, was
er weiß, nur halb verdaut. Dupin hat ein l>r.'«ü8 Iiistoi-une et>
«kron tun,?»i8, eine bioZriipKi« <Ik» joi-isconsoltvs et <Jos in-t«i-
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von seinen zahlreichen Gelegenheitsschriftcn zu sprechen, wollen wir
hier nur die charakteristische und merkwürdige Brochüre Dupin's
über die Verurtheilung Christi erwähnen; Dupin ist der größte Re¬
visor von Processen, der größte Ausgleicher alles Unrechts, welches
auf Erden geschehen ist. Alles, was an Ungesetzlichkeit grenzt, empört
ihn aufs Tiefste; für ihn ist die Frage des Gefühls wenig, die Frage
des Rechts Alles. So ist in den Augen des Christen der Tod Chri-
sti eine göttliche Sühne und ein heiliges Opfer für die Menschen;
in Dupin's Augen ist er nur die Folge einer Handlung schmählicher
Ungerechtigkeit, und so findet nach achtzehnhundert Jahren Pontius
Pilatus einen Mann, welcher ihm mit dem Talmud in der Hand
beweist, daß sein Urtheil wegen Formfehlern und wegen falscher Aus-
legung der Gesetze nichtig ist.

Wir wissen nicht, ob wegen seiner kleinen Bücher die französische
Akademie Dupin in ihrer Mitte aufgenommen hat; uns gefallen eben
so sehr seine akademischen Reden und wir ziehen diesen in seinen
kleinen Büchern seine Gerichtöreden als Generalprocurator vor. So
wie ein großes öffentliches Interesse durch die Dunkelheit oder das
Stillschweigen des Gesetzgebers benachteiligt wird, ist es ein merk¬
würdiges Schauspiel zu sehen, mit welchem Eifer, mit welcher Muth,
mit welcher Gewalt deö Scharfsinns Dupin dem Gesetz zu Hilfe
kommt, wie er den todten Buchstaben belebt, wie er ihn mit der Fackel
seiner Gelehrsamkeit aufhellt, wie er ihn mit siegreicher Argumentation
umlagert, um ihn wider seinen Willen zum Sprechen zu zwingen,
um ihm das Wort zu entreißen, was er sagen sollte und was er
unglücklicherweise nicht sagt. Aus diese Weise hat Dupin fast mit
Gewalt den Cassationshof in seine richterlichen Ansichten über das
Duell hineingezogen; auf diese Weise hat er das Stillschweigen des
Gesetzes in den Fragen des litemrischm Eigenthums gut gemacht.


Grenzboten Isi-i. I. 85
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/661>, abgerufen am 01.07.2024.