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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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mag, daß er die Kunst öffentlich gemacht hat und das Volk ästhetisch-
religiös zu erziehen sucht. Nun klage man noch über verschwundene
Oeffentlichkeit der Kunst! Hier sind Anknüpfungspunkte genug gege¬
ben zur Wiederherstellung eines allgemeinen künstlerischen Sinnes,
aber man ist auch da zu bettelhaft und zieht ein Paar lumpige Tha-
ler der Förderung des edeln Zweckes vor. --

Roderich Benedir, der Lustspieldichter, ist Regisseur des Köl¬
ner Theaters. Sein Doctor Wespe hat nicht blos nach dem Spruche
der Berliner Preisrichter einen Preis davongetragen, sondern auch
nach der Stimme des Publicums. Nichtsdestoweniger ist Benedir
vielfach ungerecht, zu hart beurtheilt worden. Man stellte z. B. jenes
Stück oder gar den "langen Israel" in Parallele mit Gutzkow's
Zopf und Schwert und fand es natürlich ziemlich unbedeutend neben
demselben; man machte Ansprüche geltend, deren Berücksichtigung von
vorn herein ganz außer dem Gesichtskreise des Verfassers gelegen
hatte. Benedir hat viel Theaterroutine, schriftstellerischen Tact, viel
Witz auf Kosten des echten Humors, und versteht, wie man's nennt,
einen glücklichen Griff zu thun. Dagegen ist ihm die höhere Idee
des Komischen so wenig aufgegangen, als er den gegliederten Orga¬
nismus eines harmonischen Kunstwerkes darzustellen weiß; aber seine
Lustspiele füllen eine Lücke im Repertoire aus und stehen gewiß hoch
über den Fabrikaten des Herrn H. Börnstein und Comp., obgleich
sie schon jetzt durch eine große Familienähnlichkeit sich gegenseitig Ab¬
bruch thun. Vielleicht wäre eine ähnliche Stellung an einem besseren
Theater für Benedir von großem Vortheil; die Kölner Bühne in
ihrem gegenwärtigen Zustande ist wenigstens durchaus nicht geeignet,
höhere Strebungen zu fördern.

Als Gutzkow im vergangenen Winter im Feuilleton der Kölni¬
schen Zeitung ein Paar harte Worte über E. Geibel gesprochen hatte,
nahmen's ihm viele urtheilsfähige Leute am Rheine sehr übel; man
meinte, Geibel sei ein harmloser Mensch, der ja recht schöne, sinnige
Verse mache :c. und bald darauf trat Gustav Pfarrius sogar in die
Schranken, um eine Lanze für seinen gleichfalls angegriffenen Lands¬
mann, den alten Götz, einzulegen. Diese Zartsinnigkeit ist sehr be¬
zeichnend für das rheinische poetische Treiben. Es mag recht schön
sein, auf einer anmuthig gelegenen Villa am Rheine zu wohnen, im
Umgange mit wenigen lieben Menschen und der reizenden Natur ein


mag, daß er die Kunst öffentlich gemacht hat und das Volk ästhetisch-
religiös zu erziehen sucht. Nun klage man noch über verschwundene
Oeffentlichkeit der Kunst! Hier sind Anknüpfungspunkte genug gege¬
ben zur Wiederherstellung eines allgemeinen künstlerischen Sinnes,
aber man ist auch da zu bettelhaft und zieht ein Paar lumpige Tha-
ler der Förderung des edeln Zweckes vor. —

Roderich Benedir, der Lustspieldichter, ist Regisseur des Köl¬
ner Theaters. Sein Doctor Wespe hat nicht blos nach dem Spruche
der Berliner Preisrichter einen Preis davongetragen, sondern auch
nach der Stimme des Publicums. Nichtsdestoweniger ist Benedir
vielfach ungerecht, zu hart beurtheilt worden. Man stellte z. B. jenes
Stück oder gar den „langen Israel" in Parallele mit Gutzkow's
Zopf und Schwert und fand es natürlich ziemlich unbedeutend neben
demselben; man machte Ansprüche geltend, deren Berücksichtigung von
vorn herein ganz außer dem Gesichtskreise des Verfassers gelegen
hatte. Benedir hat viel Theaterroutine, schriftstellerischen Tact, viel
Witz auf Kosten des echten Humors, und versteht, wie man's nennt,
einen glücklichen Griff zu thun. Dagegen ist ihm die höhere Idee
des Komischen so wenig aufgegangen, als er den gegliederten Orga¬
nismus eines harmonischen Kunstwerkes darzustellen weiß; aber seine
Lustspiele füllen eine Lücke im Repertoire aus und stehen gewiß hoch
über den Fabrikaten des Herrn H. Börnstein und Comp., obgleich
sie schon jetzt durch eine große Familienähnlichkeit sich gegenseitig Ab¬
bruch thun. Vielleicht wäre eine ähnliche Stellung an einem besseren
Theater für Benedir von großem Vortheil; die Kölner Bühne in
ihrem gegenwärtigen Zustande ist wenigstens durchaus nicht geeignet,
höhere Strebungen zu fördern.

Als Gutzkow im vergangenen Winter im Feuilleton der Kölni¬
schen Zeitung ein Paar harte Worte über E. Geibel gesprochen hatte,
nahmen's ihm viele urtheilsfähige Leute am Rheine sehr übel; man
meinte, Geibel sei ein harmloser Mensch, der ja recht schöne, sinnige
Verse mache :c. und bald darauf trat Gustav Pfarrius sogar in die
Schranken, um eine Lanze für seinen gleichfalls angegriffenen Lands¬
mann, den alten Götz, einzulegen. Diese Zartsinnigkeit ist sehr be¬
zeichnend für das rheinische poetische Treiben. Es mag recht schön
sein, auf einer anmuthig gelegenen Villa am Rheine zu wohnen, im
Umgange mit wenigen lieben Menschen und der reizenden Natur ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/652>, abgerufen am 01.07.2024.