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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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heineke's trefflichem Werke: "Die Reform der Kirche durch den Staat"
mitgetheilt. Wenn der Zusatz: "Von einem seiner früheren Zuhörer"
keine Lüge enthält, so enthält er eine Ruchlosigkeit, denn wenn es auch
sehr zu verstatten ist, daß ein ehemaliger Schüler seinen gewesenen
Lehrer wissenschaftlich bekämpft, so ist es doch ruchlos, mit dieser trau¬
rigen Impietät gleichsam zu prahlen, und dies ehemalige Verhältniß
ohne Noth als Fahne vorauszutragen. Aber wie diese Fahne ist auch
alles Ändere, was der unsaubere Geist in den Streit führt, lumpig,
schmutzig, gehässig, geistlos zum Erbarmen. Solche armselige Rand¬
glossen ziehen wie ein ungeordneter Troß einher, nur zum Plündern
gut, aber zu keinem ernstlichen Gefecht; beim ersten Kanonenschuß
läuft das Zeug auseinander und davon. Belustigend ist nur, wie
diese Randglossen so thun, als wäre ihnen Marheineke's Buch nicht
tief genug, und dann auch wieder nicht stichhaltig genug, daher ohne
eigentlich praktisches Resultat! Die Seichtigkeit klagt über Mangel an
Tiefe, die Ohnmacht über Mangel an Kraft, die abgestandene Pedan¬
terie über Mangel an praktischem Eingreifen! Die protestantischen
Jesuiten, welche Marheineke so glücklich und scharf gezeichnet, möchten
allerdings ihre Schmerzensschreie unterdrücken und sagen, es thut nicht
weh! Ihr Stöhnen, ihre verzerrten Züge verrathen, wie sehr sie ge¬
troffen sind! -- Uebrigens gibt es vielleicht in ganz Deutschland keine
Zeitschrift, die beim Publicum in solcher Mißachtung stünde, wie die
Berliner Literarische Zeitung, und wenn Subventionen -- wie allge¬
mein (wir hoffen: irrig) gesagt wird -- einer Behörde dafür statt
haben, dürften sie bei keinem Blatte trauriger und nutzloser vergeudet
sein! -- --

-- Einem Volke, einem Staate -- behauptete kürzlich ein nam¬
hafter Mann in Berlin -- könne nichts Vortheilhafteres widerfahren,
als wenn seine Schwächen und Fehler gerügt und gestraft würden;
deshalb sei England so groß und mächtig, weil es in seinem Parla¬
mente eine stets arbeitende innere Anstalt besitze, die das Falsche und
Schlechte niederzureißen, oder wenigstens aufzudecken bemüht sei; an¬
dere Länder müßten froh sein, wenn dergleichen bisweilen von außen
ihnen zukomme, so habe Nußland seinen Custine, Oesterreich seinen
Hormayr; des Letzteren eben erschienener dritter Band der Lebensbilder
aus dem Befreiungskriege sei für Oesterreich, was Custine's Werk
über Rußland für dieses: wohlthätige, wenn auch schmerzhafte chirur¬
gische Hilfe für alte Schäden.

-- Eine kleine baierische Revolution, wie sie fast alljährlich wie¬
derkehrt, hat auch diesmal in München den Frühling eingeläutet.
Man glaubt, das kindliche Baiernvolk würde sich ohne eine leichte
Purganz der Art nicht wohl befinden. Die Zeitungen brauchen uns


heineke's trefflichem Werke: „Die Reform der Kirche durch den Staat"
mitgetheilt. Wenn der Zusatz: „Von einem seiner früheren Zuhörer"
keine Lüge enthält, so enthält er eine Ruchlosigkeit, denn wenn es auch
sehr zu verstatten ist, daß ein ehemaliger Schüler seinen gewesenen
Lehrer wissenschaftlich bekämpft, so ist es doch ruchlos, mit dieser trau¬
rigen Impietät gleichsam zu prahlen, und dies ehemalige Verhältniß
ohne Noth als Fahne vorauszutragen. Aber wie diese Fahne ist auch
alles Ändere, was der unsaubere Geist in den Streit führt, lumpig,
schmutzig, gehässig, geistlos zum Erbarmen. Solche armselige Rand¬
glossen ziehen wie ein ungeordneter Troß einher, nur zum Plündern
gut, aber zu keinem ernstlichen Gefecht; beim ersten Kanonenschuß
läuft das Zeug auseinander und davon. Belustigend ist nur, wie
diese Randglossen so thun, als wäre ihnen Marheineke's Buch nicht
tief genug, und dann auch wieder nicht stichhaltig genug, daher ohne
eigentlich praktisches Resultat! Die Seichtigkeit klagt über Mangel an
Tiefe, die Ohnmacht über Mangel an Kraft, die abgestandene Pedan¬
terie über Mangel an praktischem Eingreifen! Die protestantischen
Jesuiten, welche Marheineke so glücklich und scharf gezeichnet, möchten
allerdings ihre Schmerzensschreie unterdrücken und sagen, es thut nicht
weh! Ihr Stöhnen, ihre verzerrten Züge verrathen, wie sehr sie ge¬
troffen sind! — Uebrigens gibt es vielleicht in ganz Deutschland keine
Zeitschrift, die beim Publicum in solcher Mißachtung stünde, wie die
Berliner Literarische Zeitung, und wenn Subventionen — wie allge¬
mein (wir hoffen: irrig) gesagt wird — einer Behörde dafür statt
haben, dürften sie bei keinem Blatte trauriger und nutzloser vergeudet
sein! — —

— Einem Volke, einem Staate — behauptete kürzlich ein nam¬
hafter Mann in Berlin — könne nichts Vortheilhafteres widerfahren,
als wenn seine Schwächen und Fehler gerügt und gestraft würden;
deshalb sei England so groß und mächtig, weil es in seinem Parla¬
mente eine stets arbeitende innere Anstalt besitze, die das Falsche und
Schlechte niederzureißen, oder wenigstens aufzudecken bemüht sei; an¬
dere Länder müßten froh sein, wenn dergleichen bisweilen von außen
ihnen zukomme, so habe Nußland seinen Custine, Oesterreich seinen
Hormayr; des Letzteren eben erschienener dritter Band der Lebensbilder
aus dem Befreiungskriege sei für Oesterreich, was Custine's Werk
über Rußland für dieses: wohlthätige, wenn auch schmerzhafte chirur¬
gische Hilfe für alte Schäden.

— Eine kleine baierische Revolution, wie sie fast alljährlich wie¬
derkehrt, hat auch diesmal in München den Frühling eingeläutet.
Man glaubt, das kindliche Baiernvolk würde sich ohne eine leichte
Purganz der Art nicht wohl befinden. Die Zeitungen brauchen uns


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[0642] heineke's trefflichem Werke: „Die Reform der Kirche durch den Staat" mitgetheilt. Wenn der Zusatz: „Von einem seiner früheren Zuhörer" keine Lüge enthält, so enthält er eine Ruchlosigkeit, denn wenn es auch sehr zu verstatten ist, daß ein ehemaliger Schüler seinen gewesenen Lehrer wissenschaftlich bekämpft, so ist es doch ruchlos, mit dieser trau¬ rigen Impietät gleichsam zu prahlen, und dies ehemalige Verhältniß ohne Noth als Fahne vorauszutragen. Aber wie diese Fahne ist auch alles Ändere, was der unsaubere Geist in den Streit führt, lumpig, schmutzig, gehässig, geistlos zum Erbarmen. Solche armselige Rand¬ glossen ziehen wie ein ungeordneter Troß einher, nur zum Plündern gut, aber zu keinem ernstlichen Gefecht; beim ersten Kanonenschuß läuft das Zeug auseinander und davon. Belustigend ist nur, wie diese Randglossen so thun, als wäre ihnen Marheineke's Buch nicht tief genug, und dann auch wieder nicht stichhaltig genug, daher ohne eigentlich praktisches Resultat! Die Seichtigkeit klagt über Mangel an Tiefe, die Ohnmacht über Mangel an Kraft, die abgestandene Pedan¬ terie über Mangel an praktischem Eingreifen! Die protestantischen Jesuiten, welche Marheineke so glücklich und scharf gezeichnet, möchten allerdings ihre Schmerzensschreie unterdrücken und sagen, es thut nicht weh! Ihr Stöhnen, ihre verzerrten Züge verrathen, wie sehr sie ge¬ troffen sind! — Uebrigens gibt es vielleicht in ganz Deutschland keine Zeitschrift, die beim Publicum in solcher Mißachtung stünde, wie die Berliner Literarische Zeitung, und wenn Subventionen — wie allge¬ mein (wir hoffen: irrig) gesagt wird — einer Behörde dafür statt haben, dürften sie bei keinem Blatte trauriger und nutzloser vergeudet sein! — — — Einem Volke, einem Staate — behauptete kürzlich ein nam¬ hafter Mann in Berlin — könne nichts Vortheilhafteres widerfahren, als wenn seine Schwächen und Fehler gerügt und gestraft würden; deshalb sei England so groß und mächtig, weil es in seinem Parla¬ mente eine stets arbeitende innere Anstalt besitze, die das Falsche und Schlechte niederzureißen, oder wenigstens aufzudecken bemüht sei; an¬ dere Länder müßten froh sein, wenn dergleichen bisweilen von außen ihnen zukomme, so habe Nußland seinen Custine, Oesterreich seinen Hormayr; des Letzteren eben erschienener dritter Band der Lebensbilder aus dem Befreiungskriege sei für Oesterreich, was Custine's Werk über Rußland für dieses: wohlthätige, wenn auch schmerzhafte chirur¬ gische Hilfe für alte Schäden. — Eine kleine baierische Revolution, wie sie fast alljährlich wie¬ derkehrt, hat auch diesmal in München den Frühling eingeläutet. Man glaubt, das kindliche Baiernvolk würde sich ohne eine leichte Purganz der Art nicht wohl befinden. Die Zeitungen brauchen uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/642>, abgerufen am 29.06.2024.