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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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daß Alles dies sich erst von unten auf heranbilden mußte; daß nicht
wie in Frankreich und England eine fertige politische Nationalbildung
der Journalistik vorausging; daß nicht Parlamente und Kammervcr-
handlun'gen den praktischen Sinn des Publizisten üben; daß er in die
Geheimnisse der Administration und der diplomatischen Verhandlungen
nur durch die Ritzen schauen kann; daß die unpatriotische Beamten¬
welt, welche, ohne das Amtsgeheimniß gerade zu verletzen, die wich¬
tigsten Führer der Fortschrittspresse liefern könnte, sich eines feigen
Stillschweigens befleißigt; bedenkt man dies Alles, so wird man geste¬
hen müssen, daß die geringen, von der Oberfläche geschöpften Mic-
ret, auf welche die Correspondenz-Presse reducirt ist, mit viel größerem
Geschick und Talent gehandhabt werden, als man zu erwarten berech¬
tigt ist, unddaß man, statt vornehm die Nase zu rümpfen, besser thäte,
das Talent dieser Männer auf eine dem Gemeinwesen heilbringende
Weise zu unterstützen durch Mittheilung von Aktenstücken, Thatsachen
und Aufschlüssen, die ein nützliches Licht auf die Verhältnisse des
Staates werfen und Discussionen herbeiführen könnten, die der Regie¬
rung wie den Regierten trotz aller temporären Aufregung nur zum
Vortheil gereichen würden.

Der Liedercomponist Truhn, auch in der literarischen Welt durch
seine Aufsätze in mehreren Blättern vortheilhaft bekannt, gedenkt von
Berlin nach Wien überzusiedeln. Wenn in Bezug auf literarischen
Verlag zwischen Wien und Berlin gar kein Vergleich zu ziehen ist,
da letztere Stadt im Meßkatalog nächst Leipzig als die meistproduci-
rende erscheint, so wird sie doch hinsichtlich des musikalischen Verlags
von Wien weit überflügelt. Während Berlin nur einen Musikverle¬
ger von Bedeutung hat, die unternehmende Schlesinger'sche Musika¬
lienhandlung, besitzt Wien ihrer mehrere von fast gleichem Range-
Haslinger, Mechctti, Diabelli. Es ist leicht zu begreifen, daß junge,
rasch producirende Tondichter ein weit günstigeres Terrain dort finden,
als hier. Zudem ist Wien arm an musikalischen Kritikern; mit Aus¬
nahme des >.>>'. Becher in Fränkl's Sonntagsblättern und Karl Knuts
in Witthauers Zeitschrift, ist die musikalische Kritik in den Wiener
Blättern sehr schlecht bestellt. Die norddeutsche Feder des Herrn Truhn
kann in dem verweichlichten Wien eine dankbare Thätigkeit finden.
Wir wünschen dem talentvollen Manne Glück zu seinem Entschluß.

Frau von Paalzow arbeitet an einem neuen Roman: "Jakob van
der Naas"; diesmal ist Amsterdam der Schauplatz, den sie sich ge¬
wählt Diese viel gelesene, Romandichterin hat vor anderen ihrer Bc-
rufsgenossinnen den Vorzug, daß sie zu ihren Büchern gründliche, ja
unermüdliche Vorstudien macht. Die fleißige Dame schrickt vor kei¬
nem, noch so dicken schweinsledernen Foliobande zurück, wenn er ihr
Aufschlüsse über ihr Thema bietet. In ihrem viel und gern besuchten
Salon bespricht sie sich mit Gelehrten jeden Faches über den gewast-


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daß Alles dies sich erst von unten auf heranbilden mußte; daß nicht
wie in Frankreich und England eine fertige politische Nationalbildung
der Journalistik vorausging; daß nicht Parlamente und Kammervcr-
handlun'gen den praktischen Sinn des Publizisten üben; daß er in die
Geheimnisse der Administration und der diplomatischen Verhandlungen
nur durch die Ritzen schauen kann; daß die unpatriotische Beamten¬
welt, welche, ohne das Amtsgeheimniß gerade zu verletzen, die wich¬
tigsten Führer der Fortschrittspresse liefern könnte, sich eines feigen
Stillschweigens befleißigt; bedenkt man dies Alles, so wird man geste¬
hen müssen, daß die geringen, von der Oberfläche geschöpften Mic-
ret, auf welche die Correspondenz-Presse reducirt ist, mit viel größerem
Geschick und Talent gehandhabt werden, als man zu erwarten berech¬
tigt ist, unddaß man, statt vornehm die Nase zu rümpfen, besser thäte,
das Talent dieser Männer auf eine dem Gemeinwesen heilbringende
Weise zu unterstützen durch Mittheilung von Aktenstücken, Thatsachen
und Aufschlüssen, die ein nützliches Licht auf die Verhältnisse des
Staates werfen und Discussionen herbeiführen könnten, die der Regie¬
rung wie den Regierten trotz aller temporären Aufregung nur zum
Vortheil gereichen würden.

Der Liedercomponist Truhn, auch in der literarischen Welt durch
seine Aufsätze in mehreren Blättern vortheilhaft bekannt, gedenkt von
Berlin nach Wien überzusiedeln. Wenn in Bezug auf literarischen
Verlag zwischen Wien und Berlin gar kein Vergleich zu ziehen ist,
da letztere Stadt im Meßkatalog nächst Leipzig als die meistproduci-
rende erscheint, so wird sie doch hinsichtlich des musikalischen Verlags
von Wien weit überflügelt. Während Berlin nur einen Musikverle¬
ger von Bedeutung hat, die unternehmende Schlesinger'sche Musika¬
lienhandlung, besitzt Wien ihrer mehrere von fast gleichem Range-
Haslinger, Mechctti, Diabelli. Es ist leicht zu begreifen, daß junge,
rasch producirende Tondichter ein weit günstigeres Terrain dort finden,
als hier. Zudem ist Wien arm an musikalischen Kritikern; mit Aus¬
nahme des >.>>'. Becher in Fränkl's Sonntagsblättern und Karl Knuts
in Witthauers Zeitschrift, ist die musikalische Kritik in den Wiener
Blättern sehr schlecht bestellt. Die norddeutsche Feder des Herrn Truhn
kann in dem verweichlichten Wien eine dankbare Thätigkeit finden.
Wir wünschen dem talentvollen Manne Glück zu seinem Entschluß.

Frau von Paalzow arbeitet an einem neuen Roman: „Jakob van
der Naas"; diesmal ist Amsterdam der Schauplatz, den sie sich ge¬
wählt Diese viel gelesene, Romandichterin hat vor anderen ihrer Bc-
rufsgenossinnen den Vorzug, daß sie zu ihren Büchern gründliche, ja
unermüdliche Vorstudien macht. Die fleißige Dame schrickt vor kei¬
nem, noch so dicken schweinsledernen Foliobande zurück, wenn er ihr
Aufschlüsse über ihr Thema bietet. In ihrem viel und gern besuchten
Salon bespricht sie sich mit Gelehrten jeden Faches über den gewast-


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[0639] daß Alles dies sich erst von unten auf heranbilden mußte; daß nicht wie in Frankreich und England eine fertige politische Nationalbildung der Journalistik vorausging; daß nicht Parlamente und Kammervcr- handlun'gen den praktischen Sinn des Publizisten üben; daß er in die Geheimnisse der Administration und der diplomatischen Verhandlungen nur durch die Ritzen schauen kann; daß die unpatriotische Beamten¬ welt, welche, ohne das Amtsgeheimniß gerade zu verletzen, die wich¬ tigsten Führer der Fortschrittspresse liefern könnte, sich eines feigen Stillschweigens befleißigt; bedenkt man dies Alles, so wird man geste¬ hen müssen, daß die geringen, von der Oberfläche geschöpften Mic- ret, auf welche die Correspondenz-Presse reducirt ist, mit viel größerem Geschick und Talent gehandhabt werden, als man zu erwarten berech¬ tigt ist, unddaß man, statt vornehm die Nase zu rümpfen, besser thäte, das Talent dieser Männer auf eine dem Gemeinwesen heilbringende Weise zu unterstützen durch Mittheilung von Aktenstücken, Thatsachen und Aufschlüssen, die ein nützliches Licht auf die Verhältnisse des Staates werfen und Discussionen herbeiführen könnten, die der Regie¬ rung wie den Regierten trotz aller temporären Aufregung nur zum Vortheil gereichen würden. Der Liedercomponist Truhn, auch in der literarischen Welt durch seine Aufsätze in mehreren Blättern vortheilhaft bekannt, gedenkt von Berlin nach Wien überzusiedeln. Wenn in Bezug auf literarischen Verlag zwischen Wien und Berlin gar kein Vergleich zu ziehen ist, da letztere Stadt im Meßkatalog nächst Leipzig als die meistproduci- rende erscheint, so wird sie doch hinsichtlich des musikalischen Verlags von Wien weit überflügelt. Während Berlin nur einen Musikverle¬ ger von Bedeutung hat, die unternehmende Schlesinger'sche Musika¬ lienhandlung, besitzt Wien ihrer mehrere von fast gleichem Range- Haslinger, Mechctti, Diabelli. Es ist leicht zu begreifen, daß junge, rasch producirende Tondichter ein weit günstigeres Terrain dort finden, als hier. Zudem ist Wien arm an musikalischen Kritikern; mit Aus¬ nahme des >.>>'. Becher in Fränkl's Sonntagsblättern und Karl Knuts in Witthauers Zeitschrift, ist die musikalische Kritik in den Wiener Blättern sehr schlecht bestellt. Die norddeutsche Feder des Herrn Truhn kann in dem verweichlichten Wien eine dankbare Thätigkeit finden. Wir wünschen dem talentvollen Manne Glück zu seinem Entschluß. Frau von Paalzow arbeitet an einem neuen Roman: „Jakob van der Naas"; diesmal ist Amsterdam der Schauplatz, den sie sich ge¬ wählt Diese viel gelesene, Romandichterin hat vor anderen ihrer Bc- rufsgenossinnen den Vorzug, daß sie zu ihren Büchern gründliche, ja unermüdliche Vorstudien macht. Die fleißige Dame schrickt vor kei¬ nem, noch so dicken schweinsledernen Foliobande zurück, wenn er ihr Aufschlüsse über ihr Thema bietet. In ihrem viel und gern besuchten Salon bespricht sie sich mit Gelehrten jeden Faches über den gewast- 82»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/639>, abgerufen am 29.06.2024.