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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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die Wiedererweckung der Antigone, Medea, Sommernachtstratim u. s. w
eine scharfe Opposition an der schönen und geistvollen Prinzessin von
Preußen, deren Bildung eine durchaus französische ist und die Racine
mehr Geschmack abgewinnt, als Euripides. Ein kleiner Triumph für'
Hof-Tieckianer ist es daher, daß sich das ""econil tliviltrs lriui^us",
das Odeon in Paris, das sacrarium der Antigone von Berlin kom¬
men ließ und die Hauptstadt der Mode, das Centrum Frankreichs,
der Geschmacksrichtung Berlins folgt!!!

Von A. von Sternberg befindet sich unter der Presse! Jena
und Leipzig, eine Novelle in einem Bande, und der dreibändige
Roman Paul, von dem einige Bruchstücke dem Lesepublicum aus
dem Morgenblatte bereits bekannt sind. Sternberg lebt seit drei Jah¬
ren in stiller, thätiger Zurückgezogenheit in Berlin. Ein russischer
Unterthan, dessen deutsche Bildung und Geistesrichtung sich an Deutsch¬
land klammert; der, statt in Petersburg um eine Stelle zu sollicitiren,
die dem Manne vom alten lieflandifchcn Adel kaum entgehen könnte,
es vorzieht, in einer deutschen Stadt zu wohnen, um seinem schöpferi¬
schen Drange nachhängen zu können; eine gewissermaßen von Deutsch¬
land wieder eroberte literarische Persönlichkeit, die bei Allem, was die
Kritik auch an deren Productionen zu tadeln hat, so viel des Schönen,
Eigenthümlichen, ja in Bezug auf Grazie fast Unübertroffenen auf
dem Gebiete des deutschen Romans und der Novellistik geschaffen hat,
sollte schon aus politischen Gründen auf freundliche Sympathien in
der deutschen Presse rechnen können. Statt dessen muß dieser treffliche
Schriftsteller fast bei jedem neüSn Buche, das er publicirt, sich gefaßt
machen, eine Reihe von persönlichen Angriffen, die weniger den Au¬
tor als den Menschen verletzen, in den Journalen zu erleiden. Wie
unbehaglich muß ein solcher Schriftsteller am Vorabend seiner Publi¬
cationen sich fühlen, und mit wie viel größeren Opfern und Seelen-
aufreibungen bezahlt er sie im Vergleich zu Anderen.

Ein literarischer Erwerbszweig, von dem man in früherer Zeit
kein Beispiel hatte, blüht in immer größerer Ausdehnung hier auf:
die Correspondenz-Literatur. Mit Ausnahme von Paris gibt es keine
Stadt, aus welcher tagtäglich so viele und verschiedenartige Eorrespon-
denzen in die deutsche Journalistik kommen, als Berlin. Dies ist ein
wichtiger Beweis^ wie viel Preußen in den letzten Jahren an Bedeu¬
tung und Interesse gewonnen hat in Deutschland. Zugleich aber zeigt
es den Fortschritt an politischer Bildung, den das Publicum sowohl
als die Schriftsteller gemacht haben. Gewiß, es ist von Seiten der
Letzteren noch Vieles unreif, übereilt und unbeholfen. Die wenigsten
haben in ihren Korrespondenzen einen bestimmten Zweck im Auge, und
selbst diejenigen, die sich ihrer Tendenz und des Endziels ihrer Be¬
strebungen bewußt sind, verfehlen oft die Mittel, um diesen zu errei¬
chen, überstürzen sich und verrathen ihre Karten. Bedenkt man aber,


die Wiedererweckung der Antigone, Medea, Sommernachtstratim u. s. w
eine scharfe Opposition an der schönen und geistvollen Prinzessin von
Preußen, deren Bildung eine durchaus französische ist und die Racine
mehr Geschmack abgewinnt, als Euripides. Ein kleiner Triumph für'
Hof-Tieckianer ist es daher, daß sich das „«econil tliviltrs lriui^us",
das Odeon in Paris, das sacrarium der Antigone von Berlin kom¬
men ließ und die Hauptstadt der Mode, das Centrum Frankreichs,
der Geschmacksrichtung Berlins folgt!!!

Von A. von Sternberg befindet sich unter der Presse! Jena
und Leipzig, eine Novelle in einem Bande, und der dreibändige
Roman Paul, von dem einige Bruchstücke dem Lesepublicum aus
dem Morgenblatte bereits bekannt sind. Sternberg lebt seit drei Jah¬
ren in stiller, thätiger Zurückgezogenheit in Berlin. Ein russischer
Unterthan, dessen deutsche Bildung und Geistesrichtung sich an Deutsch¬
land klammert; der, statt in Petersburg um eine Stelle zu sollicitiren,
die dem Manne vom alten lieflandifchcn Adel kaum entgehen könnte,
es vorzieht, in einer deutschen Stadt zu wohnen, um seinem schöpferi¬
schen Drange nachhängen zu können; eine gewissermaßen von Deutsch¬
land wieder eroberte literarische Persönlichkeit, die bei Allem, was die
Kritik auch an deren Productionen zu tadeln hat, so viel des Schönen,
Eigenthümlichen, ja in Bezug auf Grazie fast Unübertroffenen auf
dem Gebiete des deutschen Romans und der Novellistik geschaffen hat,
sollte schon aus politischen Gründen auf freundliche Sympathien in
der deutschen Presse rechnen können. Statt dessen muß dieser treffliche
Schriftsteller fast bei jedem neüSn Buche, das er publicirt, sich gefaßt
machen, eine Reihe von persönlichen Angriffen, die weniger den Au¬
tor als den Menschen verletzen, in den Journalen zu erleiden. Wie
unbehaglich muß ein solcher Schriftsteller am Vorabend seiner Publi¬
cationen sich fühlen, und mit wie viel größeren Opfern und Seelen-
aufreibungen bezahlt er sie im Vergleich zu Anderen.

Ein literarischer Erwerbszweig, von dem man in früherer Zeit
kein Beispiel hatte, blüht in immer größerer Ausdehnung hier auf:
die Correspondenz-Literatur. Mit Ausnahme von Paris gibt es keine
Stadt, aus welcher tagtäglich so viele und verschiedenartige Eorrespon-
denzen in die deutsche Journalistik kommen, als Berlin. Dies ist ein
wichtiger Beweis^ wie viel Preußen in den letzten Jahren an Bedeu¬
tung und Interesse gewonnen hat in Deutschland. Zugleich aber zeigt
es den Fortschritt an politischer Bildung, den das Publicum sowohl
als die Schriftsteller gemacht haben. Gewiß, es ist von Seiten der
Letzteren noch Vieles unreif, übereilt und unbeholfen. Die wenigsten
haben in ihren Korrespondenzen einen bestimmten Zweck im Auge, und
selbst diejenigen, die sich ihrer Tendenz und des Endziels ihrer Be¬
strebungen bewußt sind, verfehlen oft die Mittel, um diesen zu errei¬
chen, überstürzen sich und verrathen ihre Karten. Bedenkt man aber,


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[0638] die Wiedererweckung der Antigone, Medea, Sommernachtstratim u. s. w eine scharfe Opposition an der schönen und geistvollen Prinzessin von Preußen, deren Bildung eine durchaus französische ist und die Racine mehr Geschmack abgewinnt, als Euripides. Ein kleiner Triumph für' Hof-Tieckianer ist es daher, daß sich das „«econil tliviltrs lriui^us", das Odeon in Paris, das sacrarium der Antigone von Berlin kom¬ men ließ und die Hauptstadt der Mode, das Centrum Frankreichs, der Geschmacksrichtung Berlins folgt!!! Von A. von Sternberg befindet sich unter der Presse! Jena und Leipzig, eine Novelle in einem Bande, und der dreibändige Roman Paul, von dem einige Bruchstücke dem Lesepublicum aus dem Morgenblatte bereits bekannt sind. Sternberg lebt seit drei Jah¬ ren in stiller, thätiger Zurückgezogenheit in Berlin. Ein russischer Unterthan, dessen deutsche Bildung und Geistesrichtung sich an Deutsch¬ land klammert; der, statt in Petersburg um eine Stelle zu sollicitiren, die dem Manne vom alten lieflandifchcn Adel kaum entgehen könnte, es vorzieht, in einer deutschen Stadt zu wohnen, um seinem schöpferi¬ schen Drange nachhängen zu können; eine gewissermaßen von Deutsch¬ land wieder eroberte literarische Persönlichkeit, die bei Allem, was die Kritik auch an deren Productionen zu tadeln hat, so viel des Schönen, Eigenthümlichen, ja in Bezug auf Grazie fast Unübertroffenen auf dem Gebiete des deutschen Romans und der Novellistik geschaffen hat, sollte schon aus politischen Gründen auf freundliche Sympathien in der deutschen Presse rechnen können. Statt dessen muß dieser treffliche Schriftsteller fast bei jedem neüSn Buche, das er publicirt, sich gefaßt machen, eine Reihe von persönlichen Angriffen, die weniger den Au¬ tor als den Menschen verletzen, in den Journalen zu erleiden. Wie unbehaglich muß ein solcher Schriftsteller am Vorabend seiner Publi¬ cationen sich fühlen, und mit wie viel größeren Opfern und Seelen- aufreibungen bezahlt er sie im Vergleich zu Anderen. Ein literarischer Erwerbszweig, von dem man in früherer Zeit kein Beispiel hatte, blüht in immer größerer Ausdehnung hier auf: die Correspondenz-Literatur. Mit Ausnahme von Paris gibt es keine Stadt, aus welcher tagtäglich so viele und verschiedenartige Eorrespon- denzen in die deutsche Journalistik kommen, als Berlin. Dies ist ein wichtiger Beweis^ wie viel Preußen in den letzten Jahren an Bedeu¬ tung und Interesse gewonnen hat in Deutschland. Zugleich aber zeigt es den Fortschritt an politischer Bildung, den das Publicum sowohl als die Schriftsteller gemacht haben. Gewiß, es ist von Seiten der Letzteren noch Vieles unreif, übereilt und unbeholfen. Die wenigsten haben in ihren Korrespondenzen einen bestimmten Zweck im Auge, und selbst diejenigen, die sich ihrer Tendenz und des Endziels ihrer Be¬ strebungen bewußt sind, verfehlen oft die Mittel, um diesen zu errei¬ chen, überstürzen sich und verrathen ihre Karten. Bedenkt man aber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/638>, abgerufen am 29.06.2024.