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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ihr Sprachrohr krächzen und brüllen, singen und pfeifen, zischen und
bellen zu lassen. Es gibt aber gewisse Töne, die man selbst in einer
Menagerie nicht hören mag.

Die Liedcrcomponisten gewinnen in Deutschland immer mehr
und mehr an Beliebtheit und glücklicherweise auch mehr und mehr
an glücklichen Ideen. Von dem bekannten Componisten H. Truhn
ist so eben unter dem Titel: "Liebesroman" ein Cyclus von Liedern
erschienen, die zusammen einen kleinen Roman bilden. Es sind meist
Gedichte von Geibel und Heine, die hier in sinniger Zusammenstellung
die Gestalt einer Geschichte erhalten und ein höheres Interesse in An¬
spruch nehmen. Den Anfang bilden Sehnsuchtsklagen, Hoffnungen,
Austausch der Herzen; dann kommt die "Flucht", ein hinreißendes
Glutgemaloe, in welchem der nächtige Ritt, das wilde Lied der Stürme
und der Jubel der beiden Liebenden durchtönen, -- in Form und
Ausführung wohl eines der besten. Dort in der Fremde sind sie
dann, wie das rührende Volkslied erzählt, "gestorben', verdorben",
woran das schöne Gedicht Heine's geknüpft ist: "Auf ihrem Grabe
da steht eine Linde." Dieser Abschluß ist meisterhaft. Die Melodie
darin ist einfach und ergreifend, mit einer klagenden, stets wieder¬
kehrenden Begleitung; man sieht die Wehmuth aus dem Grabeschlei¬
chen, die Vögel verstecken sich) die Lüfte fliehen aus den Blüthen des
Baumes, die Liebenden, die darunter sitzen, werden stumm, "sie wei¬
nen und wissen selbst nicht, warum ?" Dies Werk ist eine bedeut¬
same Production und unläugbar ein Fortschritt des Componisten,
der ihm neue Freunde erwerben wird. Es ist Mendelssohn ge¬
widmet.

-- Die Weidig'sche Angelegenheit soll, wie man sagt, auf dem
nächsten hessendarmstädr'schen Landtage zur Sprache kommen, nicht
um Georgi zu ,Mtrir", sondern um eine höhere Gattung von We¬
sen über die Handhabung jener -- Maschine zur Verantwortung zu
ziehen. Man erzählt sich wunderliche und doch wahrscheinlich aus¬
sehende Dinge von vorbereiteten Actionen und Reactionen in hohen
und höchsten Kreisen. Vielleicht schlägt sich Georgi selbst zu den An¬
klägern und ruft in nüchternen Intervallen:


Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt Ihr ihn der Pein! --



Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.

ihr Sprachrohr krächzen und brüllen, singen und pfeifen, zischen und
bellen zu lassen. Es gibt aber gewisse Töne, die man selbst in einer
Menagerie nicht hören mag.

Die Liedcrcomponisten gewinnen in Deutschland immer mehr
und mehr an Beliebtheit und glücklicherweise auch mehr und mehr
an glücklichen Ideen. Von dem bekannten Componisten H. Truhn
ist so eben unter dem Titel: „Liebesroman" ein Cyclus von Liedern
erschienen, die zusammen einen kleinen Roman bilden. Es sind meist
Gedichte von Geibel und Heine, die hier in sinniger Zusammenstellung
die Gestalt einer Geschichte erhalten und ein höheres Interesse in An¬
spruch nehmen. Den Anfang bilden Sehnsuchtsklagen, Hoffnungen,
Austausch der Herzen; dann kommt die „Flucht", ein hinreißendes
Glutgemaloe, in welchem der nächtige Ritt, das wilde Lied der Stürme
und der Jubel der beiden Liebenden durchtönen, — in Form und
Ausführung wohl eines der besten. Dort in der Fremde sind sie
dann, wie das rührende Volkslied erzählt, „gestorben', verdorben",
woran das schöne Gedicht Heine's geknüpft ist: „Auf ihrem Grabe
da steht eine Linde." Dieser Abschluß ist meisterhaft. Die Melodie
darin ist einfach und ergreifend, mit einer klagenden, stets wieder¬
kehrenden Begleitung; man sieht die Wehmuth aus dem Grabeschlei¬
chen, die Vögel verstecken sich) die Lüfte fliehen aus den Blüthen des
Baumes, die Liebenden, die darunter sitzen, werden stumm, „sie wei¬
nen und wissen selbst nicht, warum ?" Dies Werk ist eine bedeut¬
same Production und unläugbar ein Fortschritt des Componisten,
der ihm neue Freunde erwerben wird. Es ist Mendelssohn ge¬
widmet.

— Die Weidig'sche Angelegenheit soll, wie man sagt, auf dem
nächsten hessendarmstädr'schen Landtage zur Sprache kommen, nicht
um Georgi zu ,Mtrir", sondern um eine höhere Gattung von We¬
sen über die Handhabung jener — Maschine zur Verantwortung zu
ziehen. Man erzählt sich wunderliche und doch wahrscheinlich aus¬
sehende Dinge von vorbereiteten Actionen und Reactionen in hohen
und höchsten Kreisen. Vielleicht schlägt sich Georgi selbst zu den An¬
klägern und ruft in nüchternen Intervallen:


Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt Ihr ihn der Pein! —



Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.
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[0612] ihr Sprachrohr krächzen und brüllen, singen und pfeifen, zischen und bellen zu lassen. Es gibt aber gewisse Töne, die man selbst in einer Menagerie nicht hören mag. Die Liedcrcomponisten gewinnen in Deutschland immer mehr und mehr an Beliebtheit und glücklicherweise auch mehr und mehr an glücklichen Ideen. Von dem bekannten Componisten H. Truhn ist so eben unter dem Titel: „Liebesroman" ein Cyclus von Liedern erschienen, die zusammen einen kleinen Roman bilden. Es sind meist Gedichte von Geibel und Heine, die hier in sinniger Zusammenstellung die Gestalt einer Geschichte erhalten und ein höheres Interesse in An¬ spruch nehmen. Den Anfang bilden Sehnsuchtsklagen, Hoffnungen, Austausch der Herzen; dann kommt die „Flucht", ein hinreißendes Glutgemaloe, in welchem der nächtige Ritt, das wilde Lied der Stürme und der Jubel der beiden Liebenden durchtönen, — in Form und Ausführung wohl eines der besten. Dort in der Fremde sind sie dann, wie das rührende Volkslied erzählt, „gestorben', verdorben", woran das schöne Gedicht Heine's geknüpft ist: „Auf ihrem Grabe da steht eine Linde." Dieser Abschluß ist meisterhaft. Die Melodie darin ist einfach und ergreifend, mit einer klagenden, stets wieder¬ kehrenden Begleitung; man sieht die Wehmuth aus dem Grabeschlei¬ chen, die Vögel verstecken sich) die Lüfte fliehen aus den Blüthen des Baumes, die Liebenden, die darunter sitzen, werden stumm, „sie wei¬ nen und wissen selbst nicht, warum ?" Dies Werk ist eine bedeut¬ same Production und unläugbar ein Fortschritt des Componisten, der ihm neue Freunde erwerben wird. Es ist Mendelssohn ge¬ widmet. — Die Weidig'sche Angelegenheit soll, wie man sagt, auf dem nächsten hessendarmstädr'schen Landtage zur Sprache kommen, nicht um Georgi zu ,Mtrir", sondern um eine höhere Gattung von We¬ sen über die Handhabung jener — Maschine zur Verantwortung zu ziehen. Man erzählt sich wunderliche und doch wahrscheinlich aus¬ sehende Dinge von vorbereiteten Actionen und Reactionen in hohen und höchsten Kreisen. Vielleicht schlägt sich Georgi selbst zu den An¬ klägern und ruft in nüchternen Intervallen: Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt Ihr ihn der Pein! — Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/612>, abgerufen am 29.06.2024.