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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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land und Freiheit aber ist kein gelegcnheitlicheS, sondern wie die Liebe
zum Frühling ein ewiges, in der Menschheit begründetes und
gehört der Poesie an, weil es selbst Poesie ist. So bilden jene Lie¬
der den schroffsten Gegensatz zu denen von heute, die nicht mehr po¬
litische Gedichte, sondern erdichtete Politik sind, die nicht mehr im
gesunden, freudigen Gefühl die Begeisterung für etwas bereits in der
Stimmung des Volkes Vorhandenes oder durch seine allgemeine Er¬
hebung Verwirklichtes aussprechen, sondern in krankhaft gereiztem
Gefühl des Aergers und Zornes über etwas noch nicht Vorhandenes
jene Stimmung und allgemeine Erhebung erst hervorbringen wollen
und somit, einen praktischen Zweck verfolgend, mit den Forderungen
der Poesie, die sich selbst einziger und höchster Zweck.ist, im Wider¬
spruch stehen.

Der Friede kehrte in Deutschland zurück, aber die Befriedigung
hatte aufgehört. Hätten die Deutschen Napoleon betrachtet, wie der
Fromme sein Schicksal, als ein gottgesandtes, das, so schrecklich es
anfangs auftritt, am Ende immer zum Guten führen muß, hätten sie
das Selbstbewußtsein, das er in der Nation wider Willen weckte,
gehörig benützt, so wäre er ihnen ein Bileam geworden, der fluchen
wollte und segnen mußte. Dem war nicht so, aber trotzdem ließ sich
der einmal zur That heraufbeschworene Geist des Volkes nicht völ¬
lig mehr bannen und wenn er nur einzelne und wirkungslose Mani-
festationen möglich machte, so ist das erklärlich, da ein Gefangener
und Geknebelter auch nur einige schwache Hilferufe ausstoßen kann.
Die tiefe Trauer der Besseren, daß die Kraft der Nation, zu deren
Bewußtsein sie eben gekommen, wieder gelähmt werden sollte, konnte
durch die bis zum Ueberdruß aufgefrischte Erinnerung an die gesche¬
henen Großthaten nicht verscheucht werden.

Die Lyrik aber, die nicht mehr mit blinden Nachtwandlerschritten
über die Zeit hinschwebte, sondern sich wachend und bewußt an ihre
Bewegungen geschlossen und auf ihre gefährlichsten Höhen gestellt
hatte, konnte von der herrschenden Stimmung, vom Schmerz, der
Deutschland durchzitterte, nicht frei bleiben und so floß, als Uhland
vom guten alten Recht und sein "Vorwärts" sang, die erste Quelle
jener Lyrik, die auf dem Parnaß der Gegenwart ihr hochrothes, vom
Winde des Augenblicks bewegtes Banner schwingt. Was aber der
Lyrik eigentlich den Charakter gab, den sie seit einem Decennium be-


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land und Freiheit aber ist kein gelegcnheitlicheS, sondern wie die Liebe
zum Frühling ein ewiges, in der Menschheit begründetes und
gehört der Poesie an, weil es selbst Poesie ist. So bilden jene Lie¬
der den schroffsten Gegensatz zu denen von heute, die nicht mehr po¬
litische Gedichte, sondern erdichtete Politik sind, die nicht mehr im
gesunden, freudigen Gefühl die Begeisterung für etwas bereits in der
Stimmung des Volkes Vorhandenes oder durch seine allgemeine Er¬
hebung Verwirklichtes aussprechen, sondern in krankhaft gereiztem
Gefühl des Aergers und Zornes über etwas noch nicht Vorhandenes
jene Stimmung und allgemeine Erhebung erst hervorbringen wollen
und somit, einen praktischen Zweck verfolgend, mit den Forderungen
der Poesie, die sich selbst einziger und höchster Zweck.ist, im Wider¬
spruch stehen.

Der Friede kehrte in Deutschland zurück, aber die Befriedigung
hatte aufgehört. Hätten die Deutschen Napoleon betrachtet, wie der
Fromme sein Schicksal, als ein gottgesandtes, das, so schrecklich es
anfangs auftritt, am Ende immer zum Guten führen muß, hätten sie
das Selbstbewußtsein, das er in der Nation wider Willen weckte,
gehörig benützt, so wäre er ihnen ein Bileam geworden, der fluchen
wollte und segnen mußte. Dem war nicht so, aber trotzdem ließ sich
der einmal zur That heraufbeschworene Geist des Volkes nicht völ¬
lig mehr bannen und wenn er nur einzelne und wirkungslose Mani-
festationen möglich machte, so ist das erklärlich, da ein Gefangener
und Geknebelter auch nur einige schwache Hilferufe ausstoßen kann.
Die tiefe Trauer der Besseren, daß die Kraft der Nation, zu deren
Bewußtsein sie eben gekommen, wieder gelähmt werden sollte, konnte
durch die bis zum Ueberdruß aufgefrischte Erinnerung an die gesche¬
henen Großthaten nicht verscheucht werden.

Die Lyrik aber, die nicht mehr mit blinden Nachtwandlerschritten
über die Zeit hinschwebte, sondern sich wachend und bewußt an ihre
Bewegungen geschlossen und auf ihre gefährlichsten Höhen gestellt
hatte, konnte von der herrschenden Stimmung, vom Schmerz, der
Deutschland durchzitterte, nicht frei bleiben und so floß, als Uhland
vom guten alten Recht und sein „Vorwärts" sang, die erste Quelle
jener Lyrik, die auf dem Parnaß der Gegenwart ihr hochrothes, vom
Winde des Augenblicks bewegtes Banner schwingt. Was aber der
Lyrik eigentlich den Charakter gab, den sie seit einem Decennium be-


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[0583] land und Freiheit aber ist kein gelegcnheitlicheS, sondern wie die Liebe zum Frühling ein ewiges, in der Menschheit begründetes und gehört der Poesie an, weil es selbst Poesie ist. So bilden jene Lie¬ der den schroffsten Gegensatz zu denen von heute, die nicht mehr po¬ litische Gedichte, sondern erdichtete Politik sind, die nicht mehr im gesunden, freudigen Gefühl die Begeisterung für etwas bereits in der Stimmung des Volkes Vorhandenes oder durch seine allgemeine Er¬ hebung Verwirklichtes aussprechen, sondern in krankhaft gereiztem Gefühl des Aergers und Zornes über etwas noch nicht Vorhandenes jene Stimmung und allgemeine Erhebung erst hervorbringen wollen und somit, einen praktischen Zweck verfolgend, mit den Forderungen der Poesie, die sich selbst einziger und höchster Zweck.ist, im Wider¬ spruch stehen. Der Friede kehrte in Deutschland zurück, aber die Befriedigung hatte aufgehört. Hätten die Deutschen Napoleon betrachtet, wie der Fromme sein Schicksal, als ein gottgesandtes, das, so schrecklich es anfangs auftritt, am Ende immer zum Guten führen muß, hätten sie das Selbstbewußtsein, das er in der Nation wider Willen weckte, gehörig benützt, so wäre er ihnen ein Bileam geworden, der fluchen wollte und segnen mußte. Dem war nicht so, aber trotzdem ließ sich der einmal zur That heraufbeschworene Geist des Volkes nicht völ¬ lig mehr bannen und wenn er nur einzelne und wirkungslose Mani- festationen möglich machte, so ist das erklärlich, da ein Gefangener und Geknebelter auch nur einige schwache Hilferufe ausstoßen kann. Die tiefe Trauer der Besseren, daß die Kraft der Nation, zu deren Bewußtsein sie eben gekommen, wieder gelähmt werden sollte, konnte durch die bis zum Ueberdruß aufgefrischte Erinnerung an die gesche¬ henen Großthaten nicht verscheucht werden. Die Lyrik aber, die nicht mehr mit blinden Nachtwandlerschritten über die Zeit hinschwebte, sondern sich wachend und bewußt an ihre Bewegungen geschlossen und auf ihre gefährlichsten Höhen gestellt hatte, konnte von der herrschenden Stimmung, vom Schmerz, der Deutschland durchzitterte, nicht frei bleiben und so floß, als Uhland vom guten alten Recht und sein „Vorwärts" sang, die erste Quelle jener Lyrik, die auf dem Parnaß der Gegenwart ihr hochrothes, vom Winde des Augenblicks bewegtes Banner schwingt. Was aber der Lyrik eigentlich den Charakter gab, den sie seit einem Decennium be- 75 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/583>, abgerufen am 29.06.2024.