gut träumen, eine Hütte, in der es sich gut lieben, und selbst einen Schmerz, in dem es sich leicht trösten läßt. Glückliche Zeiten, die wie ein wenig bewegter See nach jedem Sonnenstrahl und jeder flatternden Libelle eine spiegelnde Empfänglichkeit boten! Glückliche Lyrik, die ihre von Blumen umrankten Pforten dem argen Friedensstörer noch nicht erschlossen hatte, der in jeder Frucht den Wurm, in jeder Blüthe den Staub, in jedem Leben den Tod findet, dem bösen Dämon, der alle Qualen heraufbeschwört, dem Gedanken! Glückliche Dichter, die noch in allen Herzen die Saiten gespannt fanden, die sie ewig am liebsten berühren werden, -- Liebe und Frühling! Ein blauer Himmel wölbt sich über uns, durch den die blcichbesungne Luna schwimmt, ein rothes Dach lugt aus dem Grün hervor, wir sind rosen¬ bekränzte Schäfer und wenn wir nur glücklich sind, was liegt daran, daß wir unter den Schafen wandeln!
Aber ein unerwarteter Gast reitet plötzlich mit schweren Schrit¬ ten über unser schönes Thal. -Der Himmel wird finster und sturm- gepeitschte Wolken lassen unsere frommgläubigen Blicke fast verzwei¬ feln an der Wiederkehr seiner blauen Heiterkeit; ein neuer Erlöser im dreifarbigen Gewände geht predigend durch die Welt, ein neuer Judas verräth ihn um dreißig Königreiche, auf unserem friedli¬ chen rothen Dach sitzt der wilde rothe Hahn und die schafselige Ly¬ rik verstummt ganz vor dem Trompetenton der Geschichte, bis sie zum Bewußtsein kommt, daß sie, in solchen Tönen sprechend, noch das Ohr der Zeit offen finden wird. Nun besingt sie nicht mehr die "süße, heilige Natur" und die "goldene Zeit der ersten Liebe", sondern die Lust der Schlacht und den Tod des Helden -- "des Deutschen Va¬ terland" und Lützow's "wilde verwegene Jagd". -- Dies waren die ersten (?) auf den Moment berech reden, politischen Gedichte der deut¬ schen Lyrik. Sie blieben Gedichte, trotz der Politik, weil sie sich an diese nur lehnten, ihren eigentlichen Stoff aber in allgemein menschlichen Zuständen, im Muth, in der Begeisterung fanden; sie blieben lyrisch, weil sie sich von der Empfindung nicht getrennt, son¬ dern nur die friedlichste und seligste Beschränkung derselben mit ihren stürmischsten, aber edelsten Affecten vertauscht hatten. Die Liebe zum Weibe mußte in jenen Liedern der Liebe zum Vaterlande weichen, und das Erwachen der schlafenden Natur schien nicht so großartig, Wie das Erwachen eines schlafenden Volkes. Das Gefühl für Vater
gut träumen, eine Hütte, in der es sich gut lieben, und selbst einen Schmerz, in dem es sich leicht trösten läßt. Glückliche Zeiten, die wie ein wenig bewegter See nach jedem Sonnenstrahl und jeder flatternden Libelle eine spiegelnde Empfänglichkeit boten! Glückliche Lyrik, die ihre von Blumen umrankten Pforten dem argen Friedensstörer noch nicht erschlossen hatte, der in jeder Frucht den Wurm, in jeder Blüthe den Staub, in jedem Leben den Tod findet, dem bösen Dämon, der alle Qualen heraufbeschwört, dem Gedanken! Glückliche Dichter, die noch in allen Herzen die Saiten gespannt fanden, die sie ewig am liebsten berühren werden, — Liebe und Frühling! Ein blauer Himmel wölbt sich über uns, durch den die blcichbesungne Luna schwimmt, ein rothes Dach lugt aus dem Grün hervor, wir sind rosen¬ bekränzte Schäfer und wenn wir nur glücklich sind, was liegt daran, daß wir unter den Schafen wandeln!
Aber ein unerwarteter Gast reitet plötzlich mit schweren Schrit¬ ten über unser schönes Thal. -Der Himmel wird finster und sturm- gepeitschte Wolken lassen unsere frommgläubigen Blicke fast verzwei¬ feln an der Wiederkehr seiner blauen Heiterkeit; ein neuer Erlöser im dreifarbigen Gewände geht predigend durch die Welt, ein neuer Judas verräth ihn um dreißig Königreiche, auf unserem friedli¬ chen rothen Dach sitzt der wilde rothe Hahn und die schafselige Ly¬ rik verstummt ganz vor dem Trompetenton der Geschichte, bis sie zum Bewußtsein kommt, daß sie, in solchen Tönen sprechend, noch das Ohr der Zeit offen finden wird. Nun besingt sie nicht mehr die „süße, heilige Natur" und die „goldene Zeit der ersten Liebe", sondern die Lust der Schlacht und den Tod des Helden — „des Deutschen Va¬ terland" und Lützow's „wilde verwegene Jagd". — Dies waren die ersten (?) auf den Moment berech reden, politischen Gedichte der deut¬ schen Lyrik. Sie blieben Gedichte, trotz der Politik, weil sie sich an diese nur lehnten, ihren eigentlichen Stoff aber in allgemein menschlichen Zuständen, im Muth, in der Begeisterung fanden; sie blieben lyrisch, weil sie sich von der Empfindung nicht getrennt, son¬ dern nur die friedlichste und seligste Beschränkung derselben mit ihren stürmischsten, aber edelsten Affecten vertauscht hatten. Die Liebe zum Weibe mußte in jenen Liedern der Liebe zum Vaterlande weichen, und das Erwachen der schlafenden Natur schien nicht so großartig, Wie das Erwachen eines schlafenden Volkes. Das Gefühl für Vater
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gut träumen, eine Hütte, in der es sich gut lieben, und selbst einen
Schmerz, in dem es sich leicht trösten läßt. Glückliche Zeiten, die wie
ein wenig bewegter See nach jedem Sonnenstrahl und jeder flatternden
Libelle eine spiegelnde Empfänglichkeit boten! Glückliche Lyrik, die
ihre von Blumen umrankten Pforten dem argen Friedensstörer noch
nicht erschlossen hatte, der in jeder Frucht den Wurm, in jeder Blüthe
den Staub, in jedem Leben den Tod findet, dem bösen Dämon, der
alle Qualen heraufbeschwört, dem Gedanken! Glückliche Dichter,
die noch in allen Herzen die Saiten gespannt fanden, die sie ewig
am liebsten berühren werden, — Liebe und Frühling! Ein blauer
Himmel wölbt sich über uns, durch den die blcichbesungne Luna
schwimmt, ein rothes Dach lugt aus dem Grün hervor, wir sind rosen¬
bekränzte Schäfer und wenn wir nur glücklich sind, was liegt daran,
daß wir unter den Schafen wandeln!
Aber ein unerwarteter Gast reitet plötzlich mit schweren Schrit¬
ten über unser schönes Thal. -Der Himmel wird finster und sturm-
gepeitschte Wolken lassen unsere frommgläubigen Blicke fast verzwei¬
feln an der Wiederkehr seiner blauen Heiterkeit; ein neuer Erlöser
im dreifarbigen Gewände geht predigend durch die Welt, ein neuer
Judas verräth ihn um dreißig Königreiche, auf unserem friedli¬
chen rothen Dach sitzt der wilde rothe Hahn und die schafselige Ly¬
rik verstummt ganz vor dem Trompetenton der Geschichte, bis sie zum
Bewußtsein kommt, daß sie, in solchen Tönen sprechend, noch das Ohr
der Zeit offen finden wird. Nun besingt sie nicht mehr die „süße,
heilige Natur" und die „goldene Zeit der ersten Liebe", sondern die
Lust der Schlacht und den Tod des Helden — „des Deutschen Va¬
terland" und Lützow's „wilde verwegene Jagd". — Dies waren die
ersten (?) auf den Moment berech reden, politischen Gedichte der deut¬
schen Lyrik. Sie blieben Gedichte, trotz der Politik, weil sie sich
an diese nur lehnten, ihren eigentlichen Stoff aber in allgemein
menschlichen Zuständen, im Muth, in der Begeisterung fanden; sie
blieben lyrisch, weil sie sich von der Empfindung nicht getrennt, son¬
dern nur die friedlichste und seligste Beschränkung derselben mit ihren
stürmischsten, aber edelsten Affecten vertauscht hatten. Die Liebe zum
Weibe mußte in jenen Liedern der Liebe zum Vaterlande weichen,
und das Erwachen der schlafenden Natur schien nicht so großartig,
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/582>, abgerufen am 22.12.2024.
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