Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

ich hier meinen tiefgefühltesten Dank und bitte die löbliche Redaktion
des Pesther Tageblattes nur um Entschuldigung, wenn ich nicht in
Zukunft diesen Dank jedesmal erneuere, da ich leider dieses reichhal¬
tige und sehr interessante Blatt (die Leser werden gebeten, dieses in-
directe Selbstlob der Grenzboten gefälligst nicht zu merken) außerhalb
Oesterreichs nicht zu Gesichte bekomme.

-- Von Hermann Püttmann sind (bei Otto Wigand in
Leipzig) "Tscherkessen- und Dithmarschenlieder" erschienen, die entschiede¬
nes Talent verrathen. Die Zusammenstellung ist interessant. Um
Freiheits- und Todesmuth der entnervten Gegenwart einzuhauchen,
besingt der Dichter zwei der verschiedenartigsten Volksstämme. Die
alten Dithmarschen waren wie die jetzigen^ ein Volk freier Bauern:
die Tscherkessen haben adelige Sitten und Gebrauche; jene sind Be¬
wohner der flachsten Ebenen, der Haide und des wüsten Seestrandes:
diese sind das Ideal eines Gebirgsvolkes. Die Dithmarschen haben
in ihrem Heldenmuth nichts Blendendes; es sind keine Raubvogel,
die in der Nahe des Himmels nisten, keine ritterlichen Wundergestal¬
ten wie die Herren des Kaukasus: ihre Kraft ist das stämmige, kalte,
trotzig grade und scharfe Wesen der alten Sassen, das "manchmal
nicht sehr flink und anmuthig, aber stets achtunggebietend ist. Diese
Eigenthümlichkeit hat Püttmann in den altdithmar'schen Kriegsliedern
und Schlachtgemälden sehr gut ausgedrückt."^

-- Man kennt den Verfasser von "I^a liiissi" or I-i civilisation
Adam Gurowskn. Jene Schrift verhöhnte den gesunden Men¬
schenverstand mit so eiserner Stirn, daß man sie entweder für Ironie
oder den Verfasser für einen Heuchler halten mußte. Keines von
beiden scheint der Fall zu sein. Früher ein leidenschaftlicher Revolu¬
tionär, versöhnte sich G. im Exile mit der Idee, Rußland anzugehören,
erhitzte seine Phantasie mit den panslavistischen Gemälden von Ru߬
lands Wcltherrscherberuf und berauschte sich in dem chimärischen Trost,
sein Vaterland durch die allgemeine slavische Weltherrlichkeit für
sein individuelles Leben entschädigt zu sehen. Solche Träume sind
für eine polnische Phantasie verlockend, weil sie nur durch die ge¬
waltsamste Revolution in Erfüllung gehen könnten. In dieser
Stimmung schrieb G. jene Schrift. Es war ehrlicher Wahnsinn,
was aus ihm sprach. Darauf lebte er in seiner Heimath drei Jahre.
Hier verflog der Rausch; der tägliche Augenschein zeigte ihm, wie
russische Faust und russischer Fußtritt Polen zu der verheißenen Se¬
ligkeit vorbereiteten und er floh. Jetzt ist er in Breslau. -- Es
wäre zu wünschen, daß auch Mickiewicz und seine Mitschwärmer eine
kurze Zeit in Rußland als ruhige Beobachter leben könnten.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kurauda.
Druck von Friedrich Andrä.

ich hier meinen tiefgefühltesten Dank und bitte die löbliche Redaktion
des Pesther Tageblattes nur um Entschuldigung, wenn ich nicht in
Zukunft diesen Dank jedesmal erneuere, da ich leider dieses reichhal¬
tige und sehr interessante Blatt (die Leser werden gebeten, dieses in-
directe Selbstlob der Grenzboten gefälligst nicht zu merken) außerhalb
Oesterreichs nicht zu Gesichte bekomme.

— Von Hermann Püttmann sind (bei Otto Wigand in
Leipzig) „Tscherkessen- und Dithmarschenlieder" erschienen, die entschiede¬
nes Talent verrathen. Die Zusammenstellung ist interessant. Um
Freiheits- und Todesmuth der entnervten Gegenwart einzuhauchen,
besingt der Dichter zwei der verschiedenartigsten Volksstämme. Die
alten Dithmarschen waren wie die jetzigen^ ein Volk freier Bauern:
die Tscherkessen haben adelige Sitten und Gebrauche; jene sind Be¬
wohner der flachsten Ebenen, der Haide und des wüsten Seestrandes:
diese sind das Ideal eines Gebirgsvolkes. Die Dithmarschen haben
in ihrem Heldenmuth nichts Blendendes; es sind keine Raubvogel,
die in der Nahe des Himmels nisten, keine ritterlichen Wundergestal¬
ten wie die Herren des Kaukasus: ihre Kraft ist das stämmige, kalte,
trotzig grade und scharfe Wesen der alten Sassen, das »manchmal
nicht sehr flink und anmuthig, aber stets achtunggebietend ist. Diese
Eigenthümlichkeit hat Püttmann in den altdithmar'schen Kriegsliedern
und Schlachtgemälden sehr gut ausgedrückt."^

— Man kennt den Verfasser von „I^a liiissi« or I-i civilisation
Adam Gurowskn. Jene Schrift verhöhnte den gesunden Men¬
schenverstand mit so eiserner Stirn, daß man sie entweder für Ironie
oder den Verfasser für einen Heuchler halten mußte. Keines von
beiden scheint der Fall zu sein. Früher ein leidenschaftlicher Revolu¬
tionär, versöhnte sich G. im Exile mit der Idee, Rußland anzugehören,
erhitzte seine Phantasie mit den panslavistischen Gemälden von Ru߬
lands Wcltherrscherberuf und berauschte sich in dem chimärischen Trost,
sein Vaterland durch die allgemeine slavische Weltherrlichkeit für
sein individuelles Leben entschädigt zu sehen. Solche Träume sind
für eine polnische Phantasie verlockend, weil sie nur durch die ge¬
waltsamste Revolution in Erfüllung gehen könnten. In dieser
Stimmung schrieb G. jene Schrift. Es war ehrlicher Wahnsinn,
was aus ihm sprach. Darauf lebte er in seiner Heimath drei Jahre.
Hier verflog der Rausch; der tägliche Augenschein zeigte ihm, wie
russische Faust und russischer Fußtritt Polen zu der verheißenen Se¬
ligkeit vorbereiteten und er floh. Jetzt ist er in Breslau. — Es
wäre zu wünschen, daß auch Mickiewicz und seine Mitschwärmer eine
kurze Zeit in Rußland als ruhige Beobachter leben könnten.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurauda.
Druck von Friedrich Andrä.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0580" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180293"/>
            <p xml:id="ID_1533" prev="#ID_1532"> ich hier meinen tiefgefühltesten Dank und bitte die löbliche Redaktion<lb/>
des Pesther Tageblattes nur um Entschuldigung, wenn ich nicht in<lb/>
Zukunft diesen Dank jedesmal erneuere, da ich leider dieses reichhal¬<lb/>
tige und sehr interessante Blatt (die Leser werden gebeten, dieses in-<lb/>
directe Selbstlob der Grenzboten gefälligst nicht zu merken) außerhalb<lb/>
Oesterreichs nicht zu Gesichte bekomme.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1534"> &#x2014; Von Hermann Püttmann sind (bei Otto Wigand in<lb/>
Leipzig) &#x201E;Tscherkessen- und Dithmarschenlieder" erschienen, die entschiede¬<lb/>
nes Talent verrathen. Die Zusammenstellung ist interessant. Um<lb/>
Freiheits- und Todesmuth der entnervten Gegenwart einzuhauchen,<lb/>
besingt der Dichter zwei der verschiedenartigsten Volksstämme. Die<lb/>
alten Dithmarschen waren wie die jetzigen^ ein Volk freier Bauern:<lb/>
die Tscherkessen haben adelige Sitten und Gebrauche; jene sind Be¬<lb/>
wohner der flachsten Ebenen, der Haide und des wüsten Seestrandes:<lb/>
diese sind das Ideal eines Gebirgsvolkes. Die Dithmarschen haben<lb/>
in ihrem Heldenmuth nichts Blendendes; es sind keine Raubvogel,<lb/>
die in der Nahe des Himmels nisten, keine ritterlichen Wundergestal¬<lb/>
ten wie die Herren des Kaukasus: ihre Kraft ist das stämmige, kalte,<lb/>
trotzig grade und scharfe Wesen der alten Sassen, das »manchmal<lb/>
nicht sehr flink und anmuthig, aber stets achtunggebietend ist. Diese<lb/>
Eigenthümlichkeit hat Püttmann in den altdithmar'schen Kriegsliedern<lb/>
und Schlachtgemälden sehr gut ausgedrückt."^</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1535"> &#x2014; Man kennt den Verfasser von &#x201E;I^a liiissi« or I-i civilisation<lb/>
Adam Gurowskn. Jene Schrift verhöhnte den gesunden Men¬<lb/>
schenverstand mit so eiserner Stirn, daß man sie entweder für Ironie<lb/>
oder den Verfasser für einen Heuchler halten mußte. Keines von<lb/>
beiden scheint der Fall zu sein. Früher ein leidenschaftlicher Revolu¬<lb/>
tionär, versöhnte sich G. im Exile mit der Idee, Rußland anzugehören,<lb/>
erhitzte seine Phantasie mit den panslavistischen Gemälden von Ru߬<lb/>
lands Wcltherrscherberuf und berauschte sich in dem chimärischen Trost,<lb/>
sein Vaterland durch die allgemeine slavische Weltherrlichkeit für<lb/>
sein individuelles Leben entschädigt zu sehen. Solche Träume sind<lb/>
für eine polnische Phantasie verlockend, weil sie nur durch die ge¬<lb/>
waltsamste Revolution in Erfüllung gehen könnten. In dieser<lb/>
Stimmung schrieb G. jene Schrift. Es war ehrlicher Wahnsinn,<lb/>
was aus ihm sprach. Darauf lebte er in seiner Heimath drei Jahre.<lb/>
Hier verflog der Rausch; der tägliche Augenschein zeigte ihm, wie<lb/>
russische Faust und russischer Fußtritt Polen zu der verheißenen Se¬<lb/>
ligkeit vorbereiteten und er floh. Jetzt ist er in Breslau. &#x2014; Es<lb/>
wäre zu wünschen, daß auch Mickiewicz und seine Mitschwärmer eine<lb/>
kurze Zeit in Rußland als ruhige Beobachter leben könnten.</p><lb/>
            <note type="byline"/><lb/>
            <note type="byline"> Verlag von Fr. Ludw. Herbig. &#x2014; Redacteur I. Kurauda.<lb/>
Druck von Friedrich Andrä.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0580] ich hier meinen tiefgefühltesten Dank und bitte die löbliche Redaktion des Pesther Tageblattes nur um Entschuldigung, wenn ich nicht in Zukunft diesen Dank jedesmal erneuere, da ich leider dieses reichhal¬ tige und sehr interessante Blatt (die Leser werden gebeten, dieses in- directe Selbstlob der Grenzboten gefälligst nicht zu merken) außerhalb Oesterreichs nicht zu Gesichte bekomme. — Von Hermann Püttmann sind (bei Otto Wigand in Leipzig) „Tscherkessen- und Dithmarschenlieder" erschienen, die entschiede¬ nes Talent verrathen. Die Zusammenstellung ist interessant. Um Freiheits- und Todesmuth der entnervten Gegenwart einzuhauchen, besingt der Dichter zwei der verschiedenartigsten Volksstämme. Die alten Dithmarschen waren wie die jetzigen^ ein Volk freier Bauern: die Tscherkessen haben adelige Sitten und Gebrauche; jene sind Be¬ wohner der flachsten Ebenen, der Haide und des wüsten Seestrandes: diese sind das Ideal eines Gebirgsvolkes. Die Dithmarschen haben in ihrem Heldenmuth nichts Blendendes; es sind keine Raubvogel, die in der Nahe des Himmels nisten, keine ritterlichen Wundergestal¬ ten wie die Herren des Kaukasus: ihre Kraft ist das stämmige, kalte, trotzig grade und scharfe Wesen der alten Sassen, das »manchmal nicht sehr flink und anmuthig, aber stets achtunggebietend ist. Diese Eigenthümlichkeit hat Püttmann in den altdithmar'schen Kriegsliedern und Schlachtgemälden sehr gut ausgedrückt."^ — Man kennt den Verfasser von „I^a liiissi« or I-i civilisation Adam Gurowskn. Jene Schrift verhöhnte den gesunden Men¬ schenverstand mit so eiserner Stirn, daß man sie entweder für Ironie oder den Verfasser für einen Heuchler halten mußte. Keines von beiden scheint der Fall zu sein. Früher ein leidenschaftlicher Revolu¬ tionär, versöhnte sich G. im Exile mit der Idee, Rußland anzugehören, erhitzte seine Phantasie mit den panslavistischen Gemälden von Ru߬ lands Wcltherrscherberuf und berauschte sich in dem chimärischen Trost, sein Vaterland durch die allgemeine slavische Weltherrlichkeit für sein individuelles Leben entschädigt zu sehen. Solche Träume sind für eine polnische Phantasie verlockend, weil sie nur durch die ge¬ waltsamste Revolution in Erfüllung gehen könnten. In dieser Stimmung schrieb G. jene Schrift. Es war ehrlicher Wahnsinn, was aus ihm sprach. Darauf lebte er in seiner Heimath drei Jahre. Hier verflog der Rausch; der tägliche Augenschein zeigte ihm, wie russische Faust und russischer Fußtritt Polen zu der verheißenen Se¬ ligkeit vorbereiteten und er floh. Jetzt ist er in Breslau. — Es wäre zu wünschen, daß auch Mickiewicz und seine Mitschwärmer eine kurze Zeit in Rußland als ruhige Beobachter leben könnten. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurauda. Druck von Friedrich Andrä.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/580
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/580>, abgerufen am 29.06.2024.