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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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losigkeit, die Abscheulichkeit des griechischen Volkscharakters über¬
haupt in lärmenden Worten herzufahren. Man sah aber vielen
dieser Griechenfeinde an, wie forcirt ihr Haß war; wie sie nur des¬
halb mit in die Verwünschungen gegen Hellas ausbrachen, weil sie
es für ihre Pflicht hielten. An eine andere Pflicht dachten sie
nicht. Der deutsche Sinn neigt von Natur zur Gerech¬
tigkeit, und es sieht darum mehr als komisch aus, wenn er sich
vornimmt, aus Patriotismus und Pflichtgefühl, ohne Leidenschaft
und Aufwallung, ungerecht -- mit Bewußtsein ungerecht zu sein. Wir
glauben, die Presse konnte in dieser Sache sich viel nationaler und
doch vollkommen gerecht äußern.-- Wir sind überzeugt, die meisten je¬
ner nationalen Eiferer werden, wenn sie an ihre Brust schlagen, be¬
kennen: Das Verfahren der Griechen war erklärlich und verzeihlich.
Sie haben nicht darum mit Aufopferung aller irdischen Güter den
langwierigen, verzweifelt blutigen Freiheitskrieg bestanden, um sich
nachher von Fremden schulmeistern zu lasten. Ist es nicht genug,
daß sie, in äußerer Politik, bald russischer, bald französischer, bald
englischer Diplomatie als Spielkarten dienen müssen? Sollten sie auch
im Innern sich von fremden Herren gängeln und commandiren, im
besten Falle mit sich experimentiren lassen? Man haßte den baierischen
Einfluß und sah die Deutschen als seine Träger und Stützen an.
Hellas sollte keine baierische Acquisition, sein König nicht durch eine
Unzahl von deutschen Staatsdienern gehindert werden, national-grie¬
chisch zu sein. Dieser über zehn Zähre lang verhaltene und unterdrückte
Unmuth mag bei seinem Ausbruch die politische Bedeutung der Ba-
varesen zu hoch angeschlagen haben. Gewiß aber ist, daß der baierisch-
griechische Beamte, wenn er an sich noch so wohlmeinend war, Grie¬
chenland nur auf seine büreaukratische Weise beglücken wollte und
keineswegs die patriotische Sehnsucht der Hellenen nach einer freien Ver¬
fassung theilte. Abgesehen von jenen edleren Philhellenen, die aus Be¬
geisterung für das alte Hellas sich den kämpfenden Griechen ange¬
schlossen hatten, dachten die wenigsten an etwas Anderes, als lediglich
ihr Glück zu machen; ja ein Bavarese meldete aus München (in
der Deutschen Allgemeinen), die deutschen Handwerker in Athen hät¬
ten sich verabredet, keine griechischen Lehrlinge anzunehmen, weil diese
zu schnell Meister würden und dann selbst ihre Landsleute in der er¬
lernten Kunst unterrichteten. Der deutsche Handwerker dachte natür¬
lich nicht an Griechenland: er wollte in dem uncivilisirten Lande
ein Monopol auf die Arbeit haben, wie in manchen slavischen Län¬
dern; er dachte an eine baierische Colonie. Dies ist kein Vorwurf,
soll aber zeigen, daß man Unrecht hat, hinterher von seinen schlecht
vergoltenen uneigennützigen Bestrebungen für die Bildung des grie¬
chischen Volkes zu sprechen. Ueberhaupt scheinen die' Altbaiern,
-- und dies weiß man wohl in Deutschland am Besten -- em so


losigkeit, die Abscheulichkeit des griechischen Volkscharakters über¬
haupt in lärmenden Worten herzufahren. Man sah aber vielen
dieser Griechenfeinde an, wie forcirt ihr Haß war; wie sie nur des¬
halb mit in die Verwünschungen gegen Hellas ausbrachen, weil sie
es für ihre Pflicht hielten. An eine andere Pflicht dachten sie
nicht. Der deutsche Sinn neigt von Natur zur Gerech¬
tigkeit, und es sieht darum mehr als komisch aus, wenn er sich
vornimmt, aus Patriotismus und Pflichtgefühl, ohne Leidenschaft
und Aufwallung, ungerecht — mit Bewußtsein ungerecht zu sein. Wir
glauben, die Presse konnte in dieser Sache sich viel nationaler und
doch vollkommen gerecht äußern.— Wir sind überzeugt, die meisten je¬
ner nationalen Eiferer werden, wenn sie an ihre Brust schlagen, be¬
kennen: Das Verfahren der Griechen war erklärlich und verzeihlich.
Sie haben nicht darum mit Aufopferung aller irdischen Güter den
langwierigen, verzweifelt blutigen Freiheitskrieg bestanden, um sich
nachher von Fremden schulmeistern zu lasten. Ist es nicht genug,
daß sie, in äußerer Politik, bald russischer, bald französischer, bald
englischer Diplomatie als Spielkarten dienen müssen? Sollten sie auch
im Innern sich von fremden Herren gängeln und commandiren, im
besten Falle mit sich experimentiren lassen? Man haßte den baierischen
Einfluß und sah die Deutschen als seine Träger und Stützen an.
Hellas sollte keine baierische Acquisition, sein König nicht durch eine
Unzahl von deutschen Staatsdienern gehindert werden, national-grie¬
chisch zu sein. Dieser über zehn Zähre lang verhaltene und unterdrückte
Unmuth mag bei seinem Ausbruch die politische Bedeutung der Ba-
varesen zu hoch angeschlagen haben. Gewiß aber ist, daß der baierisch-
griechische Beamte, wenn er an sich noch so wohlmeinend war, Grie¬
chenland nur auf seine büreaukratische Weise beglücken wollte und
keineswegs die patriotische Sehnsucht der Hellenen nach einer freien Ver¬
fassung theilte. Abgesehen von jenen edleren Philhellenen, die aus Be¬
geisterung für das alte Hellas sich den kämpfenden Griechen ange¬
schlossen hatten, dachten die wenigsten an etwas Anderes, als lediglich
ihr Glück zu machen; ja ein Bavarese meldete aus München (in
der Deutschen Allgemeinen), die deutschen Handwerker in Athen hät¬
ten sich verabredet, keine griechischen Lehrlinge anzunehmen, weil diese
zu schnell Meister würden und dann selbst ihre Landsleute in der er¬
lernten Kunst unterrichteten. Der deutsche Handwerker dachte natür¬
lich nicht an Griechenland: er wollte in dem uncivilisirten Lande
ein Monopol auf die Arbeit haben, wie in manchen slavischen Län¬
dern; er dachte an eine baierische Colonie. Dies ist kein Vorwurf,
soll aber zeigen, daß man Unrecht hat, hinterher von seinen schlecht
vergoltenen uneigennützigen Bestrebungen für die Bildung des grie¬
chischen Volkes zu sprechen. Ueberhaupt scheinen die' Altbaiern,
— und dies weiß man wohl in Deutschland am Besten — em so


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[0572] losigkeit, die Abscheulichkeit des griechischen Volkscharakters über¬ haupt in lärmenden Worten herzufahren. Man sah aber vielen dieser Griechenfeinde an, wie forcirt ihr Haß war; wie sie nur des¬ halb mit in die Verwünschungen gegen Hellas ausbrachen, weil sie es für ihre Pflicht hielten. An eine andere Pflicht dachten sie nicht. Der deutsche Sinn neigt von Natur zur Gerech¬ tigkeit, und es sieht darum mehr als komisch aus, wenn er sich vornimmt, aus Patriotismus und Pflichtgefühl, ohne Leidenschaft und Aufwallung, ungerecht — mit Bewußtsein ungerecht zu sein. Wir glauben, die Presse konnte in dieser Sache sich viel nationaler und doch vollkommen gerecht äußern.— Wir sind überzeugt, die meisten je¬ ner nationalen Eiferer werden, wenn sie an ihre Brust schlagen, be¬ kennen: Das Verfahren der Griechen war erklärlich und verzeihlich. Sie haben nicht darum mit Aufopferung aller irdischen Güter den langwierigen, verzweifelt blutigen Freiheitskrieg bestanden, um sich nachher von Fremden schulmeistern zu lasten. Ist es nicht genug, daß sie, in äußerer Politik, bald russischer, bald französischer, bald englischer Diplomatie als Spielkarten dienen müssen? Sollten sie auch im Innern sich von fremden Herren gängeln und commandiren, im besten Falle mit sich experimentiren lassen? Man haßte den baierischen Einfluß und sah die Deutschen als seine Träger und Stützen an. Hellas sollte keine baierische Acquisition, sein König nicht durch eine Unzahl von deutschen Staatsdienern gehindert werden, national-grie¬ chisch zu sein. Dieser über zehn Zähre lang verhaltene und unterdrückte Unmuth mag bei seinem Ausbruch die politische Bedeutung der Ba- varesen zu hoch angeschlagen haben. Gewiß aber ist, daß der baierisch- griechische Beamte, wenn er an sich noch so wohlmeinend war, Grie¬ chenland nur auf seine büreaukratische Weise beglücken wollte und keineswegs die patriotische Sehnsucht der Hellenen nach einer freien Ver¬ fassung theilte. Abgesehen von jenen edleren Philhellenen, die aus Be¬ geisterung für das alte Hellas sich den kämpfenden Griechen ange¬ schlossen hatten, dachten die wenigsten an etwas Anderes, als lediglich ihr Glück zu machen; ja ein Bavarese meldete aus München (in der Deutschen Allgemeinen), die deutschen Handwerker in Athen hät¬ ten sich verabredet, keine griechischen Lehrlinge anzunehmen, weil diese zu schnell Meister würden und dann selbst ihre Landsleute in der er¬ lernten Kunst unterrichteten. Der deutsche Handwerker dachte natür¬ lich nicht an Griechenland: er wollte in dem uncivilisirten Lande ein Monopol auf die Arbeit haben, wie in manchen slavischen Län¬ dern; er dachte an eine baierische Colonie. Dies ist kein Vorwurf, soll aber zeigen, daß man Unrecht hat, hinterher von seinen schlecht vergoltenen uneigennützigen Bestrebungen für die Bildung des grie¬ chischen Volkes zu sprechen. Ueberhaupt scheinen die' Altbaiern, — und dies weiß man wohl in Deutschland am Besten — em so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/572>, abgerufen am 28.09.2024.