können! Die Julirevolution Lübecks schmolz zu Straßeittnmulten zu¬ sammen und war mit einer allgemeinen Durchprügelung Mehrerer Hundert von Handwerkerjungen von Seiten der Polizei beschlossen worden. Die größten Thaten der Revolution waren das Zerschmet¬ tern der sämmtlichen Straßenlaternen, so wie das Einwerfen der Fensterscheiben an den Hausern eines Schneiders und eines Sena¬ tors gewesen. Das Letztere frappirte mich denn doch etwas! Der Senator hieß Behrens; er soll ein beim Volke sehr unbeliebter Mann sein. Es cursirten eine Menge von Spottgedichten auf ihn und seine College"; einige waren nicht ohne Witz. Die Veranlassung der Straßentumulte sollen Militärsachen gewesen sein: der Grund lag tiefer, wie man auch an unsrer Abciwtafel allgemein an¬ nahm. Lübeck ist nicht blos durch den Umschwung der Zeitverhält-- nisse gesunken, es hat sich vieles selbst zuzuschreiben. Es krankt an seiner Verfassung, der ganze Wust des mittelalterlichen Corporations- wesens ist hier beibehalten worden. Das, was die französische Re¬ volution aller Welt gelehrt hat, ist hier verschmäht, und man kann sagen, der Unterthan des Königs von Preußen bewegt sich in weit freieren Verhältnissen, als der republikanische Bürger Lübecks. Börne hat Recht, die hansastädtischen Republiken zeigen uns nur, wi" Re¬ publiken nicht sein sollen. Der Senat ergänzt sich selber und die Vertretung der Bürgerschaft ist eine Chimäre; nur der Kaufmann wird mit Nachdruck vertreten, die übrigen Stände gelten Nichts. Der Gelehrte ist von allem Mitthäter und Mitrathen ausgeschlossen. Das ganze Landgebiet ist im Zustande einer Unmündigkeit, welche selbst den Verfügungen der deutschen Bundesacte zuwider ist, und von einer Trennung der Administration und Justiz ist hier noch gar nicht die Rede. Bei Besetzung der Aemter soll nach dem einseitig¬ sten Nepotismus verfahren werden; man muß entweder ein banke¬ rotter Kaufmann oder aus irgend einer aristokratisircnden Familie sein, um eine Pfründe zu erlangen. Es ist traurig, daß man in Lübeck nicht zu einem schnellen Entschluß kommen kann; man zö¬ gert von Jahr zu Jahr, die bestehenden Verhältnisse sind mit dem Geiste der Zeit in dein schreiendsten Widerspruche, die Armuth stei¬ gert sich alle Jahr, der Handel sinkt immer tiefer, und doch hat man nicht den Muth, sich zu einem lebendigen Gemeingeiste zu erheben. Es ma die Schuld wohl nicht blos an dem Senate liegen, son-
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können! Die Julirevolution Lübecks schmolz zu Straßeittnmulten zu¬ sammen und war mit einer allgemeinen Durchprügelung Mehrerer Hundert von Handwerkerjungen von Seiten der Polizei beschlossen worden. Die größten Thaten der Revolution waren das Zerschmet¬ tern der sämmtlichen Straßenlaternen, so wie das Einwerfen der Fensterscheiben an den Hausern eines Schneiders und eines Sena¬ tors gewesen. Das Letztere frappirte mich denn doch etwas! Der Senator hieß Behrens; er soll ein beim Volke sehr unbeliebter Mann sein. Es cursirten eine Menge von Spottgedichten auf ihn und seine College»; einige waren nicht ohne Witz. Die Veranlassung der Straßentumulte sollen Militärsachen gewesen sein: der Grund lag tiefer, wie man auch an unsrer Abciwtafel allgemein an¬ nahm. Lübeck ist nicht blos durch den Umschwung der Zeitverhält-- nisse gesunken, es hat sich vieles selbst zuzuschreiben. Es krankt an seiner Verfassung, der ganze Wust des mittelalterlichen Corporations- wesens ist hier beibehalten worden. Das, was die französische Re¬ volution aller Welt gelehrt hat, ist hier verschmäht, und man kann sagen, der Unterthan des Königs von Preußen bewegt sich in weit freieren Verhältnissen, als der republikanische Bürger Lübecks. Börne hat Recht, die hansastädtischen Republiken zeigen uns nur, wi» Re¬ publiken nicht sein sollen. Der Senat ergänzt sich selber und die Vertretung der Bürgerschaft ist eine Chimäre; nur der Kaufmann wird mit Nachdruck vertreten, die übrigen Stände gelten Nichts. Der Gelehrte ist von allem Mitthäter und Mitrathen ausgeschlossen. Das ganze Landgebiet ist im Zustande einer Unmündigkeit, welche selbst den Verfügungen der deutschen Bundesacte zuwider ist, und von einer Trennung der Administration und Justiz ist hier noch gar nicht die Rede. Bei Besetzung der Aemter soll nach dem einseitig¬ sten Nepotismus verfahren werden; man muß entweder ein banke¬ rotter Kaufmann oder aus irgend einer aristokratisircnden Familie sein, um eine Pfründe zu erlangen. Es ist traurig, daß man in Lübeck nicht zu einem schnellen Entschluß kommen kann; man zö¬ gert von Jahr zu Jahr, die bestehenden Verhältnisse sind mit dem Geiste der Zeit in dein schreiendsten Widerspruche, die Armuth stei¬ gert sich alle Jahr, der Handel sinkt immer tiefer, und doch hat man nicht den Muth, sich zu einem lebendigen Gemeingeiste zu erheben. Es ma die Schuld wohl nicht blos an dem Senate liegen, son-
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Hundert von Handwerkerjungen von Seiten der Polizei beschlossen
worden. Die größten Thaten der Revolution waren das Zerschmet¬
tern der sämmtlichen Straßenlaternen, so wie das Einwerfen der
Fensterscheiben an den Hausern eines Schneiders und eines Sena¬
tors gewesen. Das Letztere frappirte mich denn doch etwas! Der
Senator hieß Behrens; er soll ein beim Volke sehr unbeliebter Mann
sein. Es cursirten eine Menge von Spottgedichten auf ihn und
seine College»; einige waren nicht ohne Witz. Die Veranlassung der
Straßentumulte sollen Militärsachen gewesen sein: der Grund
lag tiefer, wie man auch an unsrer Abciwtafel allgemein an¬
nahm. Lübeck ist nicht blos durch den Umschwung der Zeitverhält--
nisse gesunken, es hat sich vieles selbst zuzuschreiben. Es krankt an
seiner Verfassung, der ganze Wust des mittelalterlichen Corporations-
wesens ist hier beibehalten worden. Das, was die französische Re¬
volution aller Welt gelehrt hat, ist hier verschmäht, und man kann
sagen, der Unterthan des Königs von Preußen bewegt sich in weit
freieren Verhältnissen, als der republikanische Bürger Lübecks. Börne
hat Recht, die hansastädtischen Republiken zeigen uns nur, wi» Re¬
publiken nicht sein sollen. Der Senat ergänzt sich selber und die
Vertretung der Bürgerschaft ist eine Chimäre; nur der Kaufmann
wird mit Nachdruck vertreten, die übrigen Stände gelten Nichts. Der
Gelehrte ist von allem Mitthäter und Mitrathen ausgeschlossen.
Das ganze Landgebiet ist im Zustande einer Unmündigkeit, welche
selbst den Verfügungen der deutschen Bundesacte zuwider ist, und
von einer Trennung der Administration und Justiz ist hier noch gar
nicht die Rede. Bei Besetzung der Aemter soll nach dem einseitig¬
sten Nepotismus verfahren werden; man muß entweder ein banke¬
rotter Kaufmann oder aus irgend einer aristokratisircnden Familie
sein, um eine Pfründe zu erlangen. Es ist traurig, daß man
in Lübeck nicht zu einem schnellen Entschluß kommen kann; man zö¬
gert von Jahr zu Jahr, die bestehenden Verhältnisse sind mit dem
Geiste der Zeit in dein schreiendsten Widerspruche, die Armuth stei¬
gert sich alle Jahr, der Handel sinkt immer tiefer, und doch hat man
nicht den Muth, sich zu einem lebendigen Gemeingeiste zu erheben.
Es ma die Schuld wohl nicht blos an dem Senate liegen, son-
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/567>, abgerufen am 23.12.2024.
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