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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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klingt dies Echo so natürlich und wohlthuend als aus Frauenseelen.
An einem Dichter mag der Byron'sche Anklang, wenn er bewußt ist,
abstoßen; denn da fühlen wir uns unwillkürlich herausgefordert, den
einen Mann nach dem andern zu messen. Nicht so bei einer Dich¬
terin. Ihr ist es unmöglich, die grellen Dissonanzen des Briten, die
scharfen Töne seiner Skeptik und Weltverachtung wiederzugeben; nur
den stürmischen Herzschlag, die tief zitternde und doch so starke Em¬
pfindung seiner Muse können wir wiederfinden; die Sentimentalität,
an der sonst die weibliche Lyrik kränkelt, wird zu gesunderen Gefühls-
laut. Byron, in's Weibliche übersetzt, scheint vielleicht Manchem ein
Unding. Nun, man denke sich eine Geliebte Byron's, die seine
Träume noch einmal träumt, die aus seiner Seele Flammen getrun¬
ken und ihm die bang austönende Musik namenloser Sehnsucht ab¬
gelauscht hat. Byron wird noch mehr als eine Dichterin hervorrufen,
wenn ihn die Männerwelt längst verwunden haben wird. Denn
man kann annehmen, daß alle gebildeten Mädchenseelen Europas von
irgend kühner Phantasie in Byron -- verliebt sind. Auch als Dich¬
ter besitzt er das Glück Don Juan's. Die Männer aber sollten auf
den Todten nicht eifersüchtig sein. --

Doch kehren wir zu unserem Thema zurück. Wer die Erzäh¬
lungen der Hahn und der Goczyn liest, wird sich einiger zufälli¬
gen Bemerkungen nicht erwehren können -- doch nein, sie sind eben
nicht zufällig. So eigenthümlich ihre subjectiven Betrachtungen, so
treffend oft ihre Aussprüche über Welt und Menschen im Allgemei¬
nen sind, so wenig dauernden Eindruck lassen ihre Versuche zu pla¬
stischer Gebildung zurück. Es ist viel Wahrheit in manchen psycho¬
logischen Zügen; einzelne Figuren, aber gewöhnlich die nebenstehen¬
den, sind leibhaftig und voll menschlich. Das Ganze ist kein Stück
Leben, wie es ein männlicher Geist aus der Gegenwart herausgreift.
Liegt die Schuld davon in den Kreisen, aus denen ihre Phantasie
schöpft, und die so eng begrenzt, so reich an hohlem Schimmer, so
arm an rauher, gesunder Wirklichkeit, so leer an Ereignissen sind, die
den ganzen Menschen erfassen und über alle Höhen, wie durch alle
Tiefen des Daseins treiben? Es ist mir oft, als hätten diese Erzäh¬
lerinnen ihre eigenen Helden nur am Theetisch kennen gelernt, als
wagten sie es nicht, in einer anderen, als salonsfähigen Situation
sie dem Leser zu Präsentiren. Am gelungensten sind die Scenen, wo


klingt dies Echo so natürlich und wohlthuend als aus Frauenseelen.
An einem Dichter mag der Byron'sche Anklang, wenn er bewußt ist,
abstoßen; denn da fühlen wir uns unwillkürlich herausgefordert, den
einen Mann nach dem andern zu messen. Nicht so bei einer Dich¬
terin. Ihr ist es unmöglich, die grellen Dissonanzen des Briten, die
scharfen Töne seiner Skeptik und Weltverachtung wiederzugeben; nur
den stürmischen Herzschlag, die tief zitternde und doch so starke Em¬
pfindung seiner Muse können wir wiederfinden; die Sentimentalität,
an der sonst die weibliche Lyrik kränkelt, wird zu gesunderen Gefühls-
laut. Byron, in's Weibliche übersetzt, scheint vielleicht Manchem ein
Unding. Nun, man denke sich eine Geliebte Byron's, die seine
Träume noch einmal träumt, die aus seiner Seele Flammen getrun¬
ken und ihm die bang austönende Musik namenloser Sehnsucht ab¬
gelauscht hat. Byron wird noch mehr als eine Dichterin hervorrufen,
wenn ihn die Männerwelt längst verwunden haben wird. Denn
man kann annehmen, daß alle gebildeten Mädchenseelen Europas von
irgend kühner Phantasie in Byron — verliebt sind. Auch als Dich¬
ter besitzt er das Glück Don Juan's. Die Männer aber sollten auf
den Todten nicht eifersüchtig sein. —

Doch kehren wir zu unserem Thema zurück. Wer die Erzäh¬
lungen der Hahn und der Goczyn liest, wird sich einiger zufälli¬
gen Bemerkungen nicht erwehren können — doch nein, sie sind eben
nicht zufällig. So eigenthümlich ihre subjectiven Betrachtungen, so
treffend oft ihre Aussprüche über Welt und Menschen im Allgemei¬
nen sind, so wenig dauernden Eindruck lassen ihre Versuche zu pla¬
stischer Gebildung zurück. Es ist viel Wahrheit in manchen psycho¬
logischen Zügen; einzelne Figuren, aber gewöhnlich die nebenstehen¬
den, sind leibhaftig und voll menschlich. Das Ganze ist kein Stück
Leben, wie es ein männlicher Geist aus der Gegenwart herausgreift.
Liegt die Schuld davon in den Kreisen, aus denen ihre Phantasie
schöpft, und die so eng begrenzt, so reich an hohlem Schimmer, so
arm an rauher, gesunder Wirklichkeit, so leer an Ereignissen sind, die
den ganzen Menschen erfassen und über alle Höhen, wie durch alle
Tiefen des Daseins treiben? Es ist mir oft, als hätten diese Erzäh¬
lerinnen ihre eigenen Helden nur am Theetisch kennen gelernt, als
wagten sie es nicht, in einer anderen, als salonsfähigen Situation
sie dem Leser zu Präsentiren. Am gelungensten sind die Scenen, wo


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[0554] klingt dies Echo so natürlich und wohlthuend als aus Frauenseelen. An einem Dichter mag der Byron'sche Anklang, wenn er bewußt ist, abstoßen; denn da fühlen wir uns unwillkürlich herausgefordert, den einen Mann nach dem andern zu messen. Nicht so bei einer Dich¬ terin. Ihr ist es unmöglich, die grellen Dissonanzen des Briten, die scharfen Töne seiner Skeptik und Weltverachtung wiederzugeben; nur den stürmischen Herzschlag, die tief zitternde und doch so starke Em¬ pfindung seiner Muse können wir wiederfinden; die Sentimentalität, an der sonst die weibliche Lyrik kränkelt, wird zu gesunderen Gefühls- laut. Byron, in's Weibliche übersetzt, scheint vielleicht Manchem ein Unding. Nun, man denke sich eine Geliebte Byron's, die seine Träume noch einmal träumt, die aus seiner Seele Flammen getrun¬ ken und ihm die bang austönende Musik namenloser Sehnsucht ab¬ gelauscht hat. Byron wird noch mehr als eine Dichterin hervorrufen, wenn ihn die Männerwelt längst verwunden haben wird. Denn man kann annehmen, daß alle gebildeten Mädchenseelen Europas von irgend kühner Phantasie in Byron — verliebt sind. Auch als Dich¬ ter besitzt er das Glück Don Juan's. Die Männer aber sollten auf den Todten nicht eifersüchtig sein. — Doch kehren wir zu unserem Thema zurück. Wer die Erzäh¬ lungen der Hahn und der Goczyn liest, wird sich einiger zufälli¬ gen Bemerkungen nicht erwehren können — doch nein, sie sind eben nicht zufällig. So eigenthümlich ihre subjectiven Betrachtungen, so treffend oft ihre Aussprüche über Welt und Menschen im Allgemei¬ nen sind, so wenig dauernden Eindruck lassen ihre Versuche zu pla¬ stischer Gebildung zurück. Es ist viel Wahrheit in manchen psycho¬ logischen Zügen; einzelne Figuren, aber gewöhnlich die nebenstehen¬ den, sind leibhaftig und voll menschlich. Das Ganze ist kein Stück Leben, wie es ein männlicher Geist aus der Gegenwart herausgreift. Liegt die Schuld davon in den Kreisen, aus denen ihre Phantasie schöpft, und die so eng begrenzt, so reich an hohlem Schimmer, so arm an rauher, gesunder Wirklichkeit, so leer an Ereignissen sind, die den ganzen Menschen erfassen und über alle Höhen, wie durch alle Tiefen des Daseins treiben? Es ist mir oft, als hätten diese Erzäh¬ lerinnen ihre eigenen Helden nur am Theetisch kennen gelernt, als wagten sie es nicht, in einer anderen, als salonsfähigen Situation sie dem Leser zu Präsentiren. Am gelungensten sind die Scenen, wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/554>, abgerufen am 29.06.2024.