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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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wie die geistigen Bewegungen der Zeit im Herzen der Frauen wi¬
derklingen; zu sehen, wie sich die neue Sitten- und Glaubenswelt,
an deren Heraufbeschwörung mehr oder minder jede große Literatur
arbeitet, in ihren Köpfen malt. Die Frauennatur ist, gerade durch
ihren Mangel an großen einseitigen Kräften, -- so daß sie sich nicht
in spezielle Fachstudien verlieren und die Fühlhörner des gemüthlichen
Instincts durch die Schwielen wissenschaftlicher Arbeit vernichten kann
-- mehr einer naiven und rein menschlichen Bildung fähig. Darum
horchen wir ja so gespannt auf das Urtheil der Frauen, darum ach¬
ten wir ja auf ihren Beifall oder Tadel in Sachen der Poesie eben
so aufmerksam und oft noch mehr wie auf das Wort des gelehrten
Kunstrichters. Die schreibende Frau verliert allerdings mit ihrer
Unbefangenheit viel von diesem feineren Gefühlssinn. Ihre Produc-
tionen sind auch mehr ein mittelbares unwillkürliches Urtheil, das
mit sympathetischer Dinte geschrieben ist und nicht von jedem Auge
entziffert wird. Dies ist nicht buchstäblich zu nehmen. Aber, allge¬
mein überblickt, wird uns die Frauenliteratur ein bald verschönernder,
bald verzerrender Spiegel männlich literarischer Richtungen sein. Fast
nie hat eine Frau eine neue Bahn gebrochen; wohl aber haben
Männer zuweilen eine Bahn eingeschlagen, auf der sie von den Frauen
überholt werden mußten. Das Echo klang schöner als der urhebende
Schall. Liegt darin nicht auch ein Urtheil? --

Die Romane der Frau von Paalzow -- die der terroristische
Bauer unlängst mit eisernem Rad gerädert -- diese Romane ver¬
schlingen alle sonstige Theilnahm- des Publicums an der schönen
Literatur. So klagen Einige. Sie könnten vielleicht mit noch grö¬
ßerem Rechte diese Klage über die Schriften der Gräfin Hahn-
Hahn und der Verfasserin von "Schloß Goczyn" erheben. Wir
sehen in diesen weiblichen Erfolgen nur eine nothwendige Folge des
Tones, den das vorige Jahrzehend angegeben. Die Literatur hatte
sich während der deutschen Restaurationszeit, an der Hand einer hy¬
sterischen, nachtwandelnden Romantik, in die dämmerigen Closets und
Dachstübchen des Kunstdilettantismus verirrt und war da unter al¬
ten Gemälden, musikalischen Instrumenten, Gypsmodellen, Papageien
und Raritäten aller Art eingeschlafen. Als die junge Literatur er¬
wachte, suchte sie einen Ausweg, um zu einer Vermittlung mit dem
Leben zu kommen. Statt aber den geraden Weg durch die Haus-


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wie die geistigen Bewegungen der Zeit im Herzen der Frauen wi¬
derklingen; zu sehen, wie sich die neue Sitten- und Glaubenswelt,
an deren Heraufbeschwörung mehr oder minder jede große Literatur
arbeitet, in ihren Köpfen malt. Die Frauennatur ist, gerade durch
ihren Mangel an großen einseitigen Kräften, — so daß sie sich nicht
in spezielle Fachstudien verlieren und die Fühlhörner des gemüthlichen
Instincts durch die Schwielen wissenschaftlicher Arbeit vernichten kann
— mehr einer naiven und rein menschlichen Bildung fähig. Darum
horchen wir ja so gespannt auf das Urtheil der Frauen, darum ach¬
ten wir ja auf ihren Beifall oder Tadel in Sachen der Poesie eben
so aufmerksam und oft noch mehr wie auf das Wort des gelehrten
Kunstrichters. Die schreibende Frau verliert allerdings mit ihrer
Unbefangenheit viel von diesem feineren Gefühlssinn. Ihre Produc-
tionen sind auch mehr ein mittelbares unwillkürliches Urtheil, das
mit sympathetischer Dinte geschrieben ist und nicht von jedem Auge
entziffert wird. Dies ist nicht buchstäblich zu nehmen. Aber, allge¬
mein überblickt, wird uns die Frauenliteratur ein bald verschönernder,
bald verzerrender Spiegel männlich literarischer Richtungen sein. Fast
nie hat eine Frau eine neue Bahn gebrochen; wohl aber haben
Männer zuweilen eine Bahn eingeschlagen, auf der sie von den Frauen
überholt werden mußten. Das Echo klang schöner als der urhebende
Schall. Liegt darin nicht auch ein Urtheil? —

Die Romane der Frau von Paalzow — die der terroristische
Bauer unlängst mit eisernem Rad gerädert — diese Romane ver¬
schlingen alle sonstige Theilnahm- des Publicums an der schönen
Literatur. So klagen Einige. Sie könnten vielleicht mit noch grö¬
ßerem Rechte diese Klage über die Schriften der Gräfin Hahn-
Hahn und der Verfasserin von „Schloß Goczyn" erheben. Wir
sehen in diesen weiblichen Erfolgen nur eine nothwendige Folge des
Tones, den das vorige Jahrzehend angegeben. Die Literatur hatte
sich während der deutschen Restaurationszeit, an der Hand einer hy¬
sterischen, nachtwandelnden Romantik, in die dämmerigen Closets und
Dachstübchen des Kunstdilettantismus verirrt und war da unter al¬
ten Gemälden, musikalischen Instrumenten, Gypsmodellen, Papageien
und Raritäten aller Art eingeschlafen. Als die junge Literatur er¬
wachte, suchte sie einen Ausweg, um zu einer Vermittlung mit dem
Leben zu kommen. Statt aber den geraden Weg durch die Haus-


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[0551] wie die geistigen Bewegungen der Zeit im Herzen der Frauen wi¬ derklingen; zu sehen, wie sich die neue Sitten- und Glaubenswelt, an deren Heraufbeschwörung mehr oder minder jede große Literatur arbeitet, in ihren Köpfen malt. Die Frauennatur ist, gerade durch ihren Mangel an großen einseitigen Kräften, — so daß sie sich nicht in spezielle Fachstudien verlieren und die Fühlhörner des gemüthlichen Instincts durch die Schwielen wissenschaftlicher Arbeit vernichten kann — mehr einer naiven und rein menschlichen Bildung fähig. Darum horchen wir ja so gespannt auf das Urtheil der Frauen, darum ach¬ ten wir ja auf ihren Beifall oder Tadel in Sachen der Poesie eben so aufmerksam und oft noch mehr wie auf das Wort des gelehrten Kunstrichters. Die schreibende Frau verliert allerdings mit ihrer Unbefangenheit viel von diesem feineren Gefühlssinn. Ihre Produc- tionen sind auch mehr ein mittelbares unwillkürliches Urtheil, das mit sympathetischer Dinte geschrieben ist und nicht von jedem Auge entziffert wird. Dies ist nicht buchstäblich zu nehmen. Aber, allge¬ mein überblickt, wird uns die Frauenliteratur ein bald verschönernder, bald verzerrender Spiegel männlich literarischer Richtungen sein. Fast nie hat eine Frau eine neue Bahn gebrochen; wohl aber haben Männer zuweilen eine Bahn eingeschlagen, auf der sie von den Frauen überholt werden mußten. Das Echo klang schöner als der urhebende Schall. Liegt darin nicht auch ein Urtheil? — Die Romane der Frau von Paalzow — die der terroristische Bauer unlängst mit eisernem Rad gerädert — diese Romane ver¬ schlingen alle sonstige Theilnahm- des Publicums an der schönen Literatur. So klagen Einige. Sie könnten vielleicht mit noch grö¬ ßerem Rechte diese Klage über die Schriften der Gräfin Hahn- Hahn und der Verfasserin von „Schloß Goczyn" erheben. Wir sehen in diesen weiblichen Erfolgen nur eine nothwendige Folge des Tones, den das vorige Jahrzehend angegeben. Die Literatur hatte sich während der deutschen Restaurationszeit, an der Hand einer hy¬ sterischen, nachtwandelnden Romantik, in die dämmerigen Closets und Dachstübchen des Kunstdilettantismus verirrt und war da unter al¬ ten Gemälden, musikalischen Instrumenten, Gypsmodellen, Papageien und Raritäten aller Art eingeschlafen. Als die junge Literatur er¬ wachte, suchte sie einen Ausweg, um zu einer Vermittlung mit dem Leben zu kommen. Statt aber den geraden Weg durch die Haus- 71 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/551>, abgerufen am 29.06.2024.