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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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bücher die erste begründet und den letzteren sich benommen. Dies ist der
ganze Erfolg des großen Unternehmens. Man hat gesagt, Rüge werde
nach Amerika reisen. Dies ist eine coquette Lüge.- Herr Ruge ist
trotz seiner Philosophie zu viel Lebemann und Weltkind, um das Pa¬
riser Pflaster, das ihm bereits zur süßen Gewohnheit geworden ist,
aufzugeben. Wenn sich nur erst die Unbehaglichkeit gelegt haben wird,
in welche jedes fehlgeschlagene Project einen Mann von Ehrgeiz ver¬
setzt, wird die pommersche Heiterkeit, die den Grundzug Ruge's bil¬
det, den Sieg davon tragen. Die politische Zeit des Herrn Rüge ist
vorüber. Er hat in seinem Genre das Schicksal durchgemacht, wie
Heine in dem seinigen. Mögen die beiden Ausgewanderten nun ru¬
hig auf ihren Lorbeeren schlafen. Die Zeit hat in Deutschland um
die Ecke gebogen, sie holen sie nicht mehr ein.

Zwei neue Opern, die eine von Halevy in der großen Oper und
die andere von Ander in der O>>"jia comilzue, haben die Frühlings¬
saison begonnen. Beide haben Glück gemacht. Ich habe nur die
von Ander gehört; sie führt den Titel In 8y>"ne. Das Textbuch ist
von Scribe. Ein junger Schleichhändler, Marco Tempesta, ist der
Held. Dieser schlaue Neapolitaner hat bei allen seinen Streichen nur
einen Zweck; er will seiner reizenden Schwester, der "Svrene", die
aber keineswegs wie die gewöhnlichen griechischen und lateinischen
Syrcnen, halb Fisch, halb Mensch ist, eine reiche Aussteuer erobern.
Die komischen Mystifikationen, deren Opfer der Herzog von Papoli
und der Theatcrdirector Bolbaza ist, bilden den Mittelpunkt dieser
dreiactigen Oper. Musik und Sujet sind beide gleich heiter und leicht
componirt. Der alte Ander (er ist hoch in den Sechzigern) hat seine
Phantasie noch frisch und fröhlich erhalten wie? ein Jüngling. Die Ou¬
vertüre und ein Quartett des ersten Actes, ein Trinklied und einDuo im
zweiten, so wie die Ensemblestücke im dritten Acte haben gleich bei
der ersten Vorstellung das Publicum in Hitze gebracht. Halevy's Oper
dagegen soll erst bei der zweiten und dritten Vorstellung Succeß er¬
rungen haben. Keine-l rvleia; ich selbst war nicht dabei.

Der Charivari brachte dieser Tage einen satyrischen Artikel gegen
die classische Wuth, mit der man jetzt in Berlin griechische und la¬
teinische Stücke wieder ausgräbt. Der Artikel ist überschrieben: das
lateinische Preußen; mit Weglassung einiger censurwidrigen
Stellen will ich ihn hier mittheilen:


Das lateinische Preußen.

Rom ist nicht mehr in Rom, es ist ganz in Berlin. Rom be¬
greift hier das ganze Alterthum) in sich, Athen, Megara, Theben,
Korinth, wo nicht Jedermann sein kann;

Kor iivvt omnibu" allin" (^orintlinm.


Man kann bequem in acht Tagen, und noch dazu in der Dill-


bücher die erste begründet und den letzteren sich benommen. Dies ist der
ganze Erfolg des großen Unternehmens. Man hat gesagt, Rüge werde
nach Amerika reisen. Dies ist eine coquette Lüge.- Herr Ruge ist
trotz seiner Philosophie zu viel Lebemann und Weltkind, um das Pa¬
riser Pflaster, das ihm bereits zur süßen Gewohnheit geworden ist,
aufzugeben. Wenn sich nur erst die Unbehaglichkeit gelegt haben wird,
in welche jedes fehlgeschlagene Project einen Mann von Ehrgeiz ver¬
setzt, wird die pommersche Heiterkeit, die den Grundzug Ruge's bil¬
det, den Sieg davon tragen. Die politische Zeit des Herrn Rüge ist
vorüber. Er hat in seinem Genre das Schicksal durchgemacht, wie
Heine in dem seinigen. Mögen die beiden Ausgewanderten nun ru¬
hig auf ihren Lorbeeren schlafen. Die Zeit hat in Deutschland um
die Ecke gebogen, sie holen sie nicht mehr ein.

Zwei neue Opern, die eine von Halevy in der großen Oper und
die andere von Ander in der O>>«jia comilzue, haben die Frühlings¬
saison begonnen. Beide haben Glück gemacht. Ich habe nur die
von Ander gehört; sie führt den Titel In 8y>«ne. Das Textbuch ist
von Scribe. Ein junger Schleichhändler, Marco Tempesta, ist der
Held. Dieser schlaue Neapolitaner hat bei allen seinen Streichen nur
einen Zweck; er will seiner reizenden Schwester, der „Svrene", die
aber keineswegs wie die gewöhnlichen griechischen und lateinischen
Syrcnen, halb Fisch, halb Mensch ist, eine reiche Aussteuer erobern.
Die komischen Mystifikationen, deren Opfer der Herzog von Papoli
und der Theatcrdirector Bolbaza ist, bilden den Mittelpunkt dieser
dreiactigen Oper. Musik und Sujet sind beide gleich heiter und leicht
componirt. Der alte Ander (er ist hoch in den Sechzigern) hat seine
Phantasie noch frisch und fröhlich erhalten wie? ein Jüngling. Die Ou¬
vertüre und ein Quartett des ersten Actes, ein Trinklied und einDuo im
zweiten, so wie die Ensemblestücke im dritten Acte haben gleich bei
der ersten Vorstellung das Publicum in Hitze gebracht. Halevy's Oper
dagegen soll erst bei der zweiten und dritten Vorstellung Succeß er¬
rungen haben. Keine-l rvleia; ich selbst war nicht dabei.

Der Charivari brachte dieser Tage einen satyrischen Artikel gegen
die classische Wuth, mit der man jetzt in Berlin griechische und la¬
teinische Stücke wieder ausgräbt. Der Artikel ist überschrieben: das
lateinische Preußen; mit Weglassung einiger censurwidrigen
Stellen will ich ihn hier mittheilen:


Das lateinische Preußen.

Rom ist nicht mehr in Rom, es ist ganz in Berlin. Rom be¬
greift hier das ganze Alterthum) in sich, Athen, Megara, Theben,
Korinth, wo nicht Jedermann sein kann;

Kor iivvt omnibu« allin« (^orintlinm.


Man kann bequem in acht Tagen, und noch dazu in der Dill-


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[0517] bücher die erste begründet und den letzteren sich benommen. Dies ist der ganze Erfolg des großen Unternehmens. Man hat gesagt, Rüge werde nach Amerika reisen. Dies ist eine coquette Lüge.- Herr Ruge ist trotz seiner Philosophie zu viel Lebemann und Weltkind, um das Pa¬ riser Pflaster, das ihm bereits zur süßen Gewohnheit geworden ist, aufzugeben. Wenn sich nur erst die Unbehaglichkeit gelegt haben wird, in welche jedes fehlgeschlagene Project einen Mann von Ehrgeiz ver¬ setzt, wird die pommersche Heiterkeit, die den Grundzug Ruge's bil¬ det, den Sieg davon tragen. Die politische Zeit des Herrn Rüge ist vorüber. Er hat in seinem Genre das Schicksal durchgemacht, wie Heine in dem seinigen. Mögen die beiden Ausgewanderten nun ru¬ hig auf ihren Lorbeeren schlafen. Die Zeit hat in Deutschland um die Ecke gebogen, sie holen sie nicht mehr ein. Zwei neue Opern, die eine von Halevy in der großen Oper und die andere von Ander in der O>>«jia comilzue, haben die Frühlings¬ saison begonnen. Beide haben Glück gemacht. Ich habe nur die von Ander gehört; sie führt den Titel In 8y>«ne. Das Textbuch ist von Scribe. Ein junger Schleichhändler, Marco Tempesta, ist der Held. Dieser schlaue Neapolitaner hat bei allen seinen Streichen nur einen Zweck; er will seiner reizenden Schwester, der „Svrene", die aber keineswegs wie die gewöhnlichen griechischen und lateinischen Syrcnen, halb Fisch, halb Mensch ist, eine reiche Aussteuer erobern. Die komischen Mystifikationen, deren Opfer der Herzog von Papoli und der Theatcrdirector Bolbaza ist, bilden den Mittelpunkt dieser dreiactigen Oper. Musik und Sujet sind beide gleich heiter und leicht componirt. Der alte Ander (er ist hoch in den Sechzigern) hat seine Phantasie noch frisch und fröhlich erhalten wie? ein Jüngling. Die Ou¬ vertüre und ein Quartett des ersten Actes, ein Trinklied und einDuo im zweiten, so wie die Ensemblestücke im dritten Acte haben gleich bei der ersten Vorstellung das Publicum in Hitze gebracht. Halevy's Oper dagegen soll erst bei der zweiten und dritten Vorstellung Succeß er¬ rungen haben. Keine-l rvleia; ich selbst war nicht dabei. Der Charivari brachte dieser Tage einen satyrischen Artikel gegen die classische Wuth, mit der man jetzt in Berlin griechische und la¬ teinische Stücke wieder ausgräbt. Der Artikel ist überschrieben: das lateinische Preußen; mit Weglassung einiger censurwidrigen Stellen will ich ihn hier mittheilen: Das lateinische Preußen. Rom ist nicht mehr in Rom, es ist ganz in Berlin. Rom be¬ greift hier das ganze Alterthum) in sich, Athen, Megara, Theben, Korinth, wo nicht Jedermann sein kann; Kor iivvt omnibu« allin« (^orintlinm. Man kann bequem in acht Tagen, und noch dazu in der Dill-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/517>, abgerufen am 29.06.2024.