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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Lehrjunge aus einer Wiener Barbierstube hervorgehend, erlangte er
spater, ohne je regelmäßige Studien getrieben zu haben, die medici¬
nische Doctorwürde der Universität in Wien; durch seinen praktischen
Verstand und scharfen Blick für's Leben und Charakter bemächtigte
er sich bald einer bedeutenden Praxis. Ich berichte Ihnen von Wle¬
rer, der durch seine Begründung und Anwendung der Solenbäder in
Ischl sich später ein großes Verdienst um die balneographischen Zu¬
stände Oesterreichs und dadurch den Leopoldsorden mit dem Prädicate
Ritter von Rettenbach erworben hat. Ein Buch, das er vor einigen
Jahren über Ischl publicirte, ist nicht von ihm geschrieben, was üb¬
rigens der hiesigen literarischen Welt um so weniger ein Geheimniß
war, als es notorisch ist, daß er keinen deutschen Satz correct zu
schreiben verstand. Den in den höchsten Kreisen wie in den unteren
erworbenen Einfluß machte er, unähnlich so vielen, auf die edelste
Weise geltend und am glänzendsten dadurch, daß er, nachdem unsere
Residenz -- im Widerspruche mit Mailand und Prag -- einer Aka¬
demie der Wissenschaften entbehrt, derselben die viel besprochene "Ge¬
sellschaft der Aerzte" creirte, deren Präsident er bis an sein Ende
war. Er hinterläßt seinen beiden Neffen zwei Häuser und Ki>,<!Ott si.
C.M., einzig und allein die Frucht seiner ärztlichen Praxis. --

Der in dem Laden eines hiesigen Uhrmachers ausgeführte Dieb¬
stahl einer goldenen Uhr machte um so größeres Aufsehen, als der
Schuldige als Offizier und hohen Kreisen angehörend bezeichnet wird.
Die beabsichtigte, aber mißglückte Milde der Polizeibehörde wirkt um
so unangenehmer, als sich nachgerade Diebstähle, nächtliche Anfälle,
vandalische Beraubungen öffentlicher Monumente, von Nacht zu Nacht
Haufen und den Credit der sonst so berühmten Wiener Polizei schwächen
helfen. Man schreibt dies dem Umstände zu, daß ihr zu wenig Geld
zur Disposition gestellt ist, und sie daher die nothwendigen Kräfte und
Mittel nicht in Bewegung setzen kann (?). Das meiste Aufsehen
macht jetzt die Beraubung des von Leopold dem Ersten begründeten,
von Fischer v. Erlach ausgeführten Monumentes auf dem hohen Markte.

Die Errichtung eines neuen Monumentes auf der Freiung, näm¬
lich eines Brunnens, wurde vom hiesigen Bürgermeister mit Umgeh¬
ung der vaterländischen Künstler, Schwanthaler in München aufge¬
tragen; es beweist dies nur zu schmerzlich, wie wenig Vertrauen man
zur heimischen Kunst hegt, aber wie wenig auch geschieht, um sie zu
heben, und es wurden im vorliegenden Falle nicht einmal die hiesigen
Künstler zur Concurrenz eingeladen.
'

Ponsards Lucrccia gefiel im Hofburgtheater, trotz dem, daß es
ein mittelmäßiges Stück ist, welches, wenn es von einem Deutschen
geschrieben wäre, kaum die Satisfaction einer Aufführung erlebt hatte.
--


-- Rainer.


Lehrjunge aus einer Wiener Barbierstube hervorgehend, erlangte er
spater, ohne je regelmäßige Studien getrieben zu haben, die medici¬
nische Doctorwürde der Universität in Wien; durch seinen praktischen
Verstand und scharfen Blick für's Leben und Charakter bemächtigte
er sich bald einer bedeutenden Praxis. Ich berichte Ihnen von Wle¬
rer, der durch seine Begründung und Anwendung der Solenbäder in
Ischl sich später ein großes Verdienst um die balneographischen Zu¬
stände Oesterreichs und dadurch den Leopoldsorden mit dem Prädicate
Ritter von Rettenbach erworben hat. Ein Buch, das er vor einigen
Jahren über Ischl publicirte, ist nicht von ihm geschrieben, was üb¬
rigens der hiesigen literarischen Welt um so weniger ein Geheimniß
war, als es notorisch ist, daß er keinen deutschen Satz correct zu
schreiben verstand. Den in den höchsten Kreisen wie in den unteren
erworbenen Einfluß machte er, unähnlich so vielen, auf die edelste
Weise geltend und am glänzendsten dadurch, daß er, nachdem unsere
Residenz — im Widerspruche mit Mailand und Prag — einer Aka¬
demie der Wissenschaften entbehrt, derselben die viel besprochene „Ge¬
sellschaft der Aerzte" creirte, deren Präsident er bis an sein Ende
war. Er hinterläßt seinen beiden Neffen zwei Häuser und Ki>,<!Ott si.
C.M., einzig und allein die Frucht seiner ärztlichen Praxis. —

Der in dem Laden eines hiesigen Uhrmachers ausgeführte Dieb¬
stahl einer goldenen Uhr machte um so größeres Aufsehen, als der
Schuldige als Offizier und hohen Kreisen angehörend bezeichnet wird.
Die beabsichtigte, aber mißglückte Milde der Polizeibehörde wirkt um
so unangenehmer, als sich nachgerade Diebstähle, nächtliche Anfälle,
vandalische Beraubungen öffentlicher Monumente, von Nacht zu Nacht
Haufen und den Credit der sonst so berühmten Wiener Polizei schwächen
helfen. Man schreibt dies dem Umstände zu, daß ihr zu wenig Geld
zur Disposition gestellt ist, und sie daher die nothwendigen Kräfte und
Mittel nicht in Bewegung setzen kann (?). Das meiste Aufsehen
macht jetzt die Beraubung des von Leopold dem Ersten begründeten,
von Fischer v. Erlach ausgeführten Monumentes auf dem hohen Markte.

Die Errichtung eines neuen Monumentes auf der Freiung, näm¬
lich eines Brunnens, wurde vom hiesigen Bürgermeister mit Umgeh¬
ung der vaterländischen Künstler, Schwanthaler in München aufge¬
tragen; es beweist dies nur zu schmerzlich, wie wenig Vertrauen man
zur heimischen Kunst hegt, aber wie wenig auch geschieht, um sie zu
heben, und es wurden im vorliegenden Falle nicht einmal die hiesigen
Künstler zur Concurrenz eingeladen.
'

Ponsards Lucrccia gefiel im Hofburgtheater, trotz dem, daß es
ein mittelmäßiges Stück ist, welches, wenn es von einem Deutschen
geschrieben wäre, kaum die Satisfaction einer Aufführung erlebt hatte.


— Rainer.


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[0514] Lehrjunge aus einer Wiener Barbierstube hervorgehend, erlangte er spater, ohne je regelmäßige Studien getrieben zu haben, die medici¬ nische Doctorwürde der Universität in Wien; durch seinen praktischen Verstand und scharfen Blick für's Leben und Charakter bemächtigte er sich bald einer bedeutenden Praxis. Ich berichte Ihnen von Wle¬ rer, der durch seine Begründung und Anwendung der Solenbäder in Ischl sich später ein großes Verdienst um die balneographischen Zu¬ stände Oesterreichs und dadurch den Leopoldsorden mit dem Prädicate Ritter von Rettenbach erworben hat. Ein Buch, das er vor einigen Jahren über Ischl publicirte, ist nicht von ihm geschrieben, was üb¬ rigens der hiesigen literarischen Welt um so weniger ein Geheimniß war, als es notorisch ist, daß er keinen deutschen Satz correct zu schreiben verstand. Den in den höchsten Kreisen wie in den unteren erworbenen Einfluß machte er, unähnlich so vielen, auf die edelste Weise geltend und am glänzendsten dadurch, daß er, nachdem unsere Residenz — im Widerspruche mit Mailand und Prag — einer Aka¬ demie der Wissenschaften entbehrt, derselben die viel besprochene „Ge¬ sellschaft der Aerzte" creirte, deren Präsident er bis an sein Ende war. Er hinterläßt seinen beiden Neffen zwei Häuser und Ki>,<!Ott si. C.M., einzig und allein die Frucht seiner ärztlichen Praxis. — Der in dem Laden eines hiesigen Uhrmachers ausgeführte Dieb¬ stahl einer goldenen Uhr machte um so größeres Aufsehen, als der Schuldige als Offizier und hohen Kreisen angehörend bezeichnet wird. Die beabsichtigte, aber mißglückte Milde der Polizeibehörde wirkt um so unangenehmer, als sich nachgerade Diebstähle, nächtliche Anfälle, vandalische Beraubungen öffentlicher Monumente, von Nacht zu Nacht Haufen und den Credit der sonst so berühmten Wiener Polizei schwächen helfen. Man schreibt dies dem Umstände zu, daß ihr zu wenig Geld zur Disposition gestellt ist, und sie daher die nothwendigen Kräfte und Mittel nicht in Bewegung setzen kann (?). Das meiste Aufsehen macht jetzt die Beraubung des von Leopold dem Ersten begründeten, von Fischer v. Erlach ausgeführten Monumentes auf dem hohen Markte. Die Errichtung eines neuen Monumentes auf der Freiung, näm¬ lich eines Brunnens, wurde vom hiesigen Bürgermeister mit Umgeh¬ ung der vaterländischen Künstler, Schwanthaler in München aufge¬ tragen; es beweist dies nur zu schmerzlich, wie wenig Vertrauen man zur heimischen Kunst hegt, aber wie wenig auch geschieht, um sie zu heben, und es wurden im vorliegenden Falle nicht einmal die hiesigen Künstler zur Concurrenz eingeladen. ' Ponsards Lucrccia gefiel im Hofburgtheater, trotz dem, daß es ein mittelmäßiges Stück ist, welches, wenn es von einem Deutschen geschrieben wäre, kaum die Satisfaction einer Aufführung erlebt hatte. — — Rainer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/514>, abgerufen am 26.06.2024.