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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Persönlichkeiten der französischen Kammer.



n.
Der Minister Villemain.

Am 21. April 1814 bot der Sitzungssaal der französischen Aka¬
demie ein merkwürdiges und imposantes Schauspiel; Ereignisse von
weltgeschichtlicher Wichtigkeit hatten stattgefunden. Seit einundzwan¬
zig Tagen waren die Verbündeten in Paris, vor zehn Tagen hatte
Napoleon die Abdankungs-Acte von Fontainebleau unterzeichnet,
und die Sieger verlangten von dem Besiegten noch weiter Nichts,
als einen ehrenhaften Frieden. Man hatte dem Grafen Artois das
hübsche Bonmot in den Mund gelegt: Es gibt nur einen Franzosen
mehr, und Ludwig XVIIl., in Calais lautend, versprach dem ge-
demüthigten und des Despotismus und der Kriege müden Frank¬
reich, seine Wunden zu heilen und eS für den blutigen Ruhm der
Schlachten mit dem Genuß der Ruhe und der Freiheit zu entschädigen.

Inmitten dieser Hoffnungen, die noch durch keine Täuschung,
durch keine Tyrannei der Waffen, durch keine politische Reaction ge¬
trübt worden, hatte die französische Akademie zu ihrer jährlichen öf¬
fentlichen Sitzung die Könige und Generale des verbündeten Euro¬
pa eingeladen. Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren sollte
das Wort führen, und so seinen Namen mit einer der denkwürdig¬
sten Perioden der Geschichte verknüpfen.

Diese Sitzung war so merkwürdig und die Gefühle der dama¬
ligen Generation von denen der jetzigen so verschieden, daß es nicht


Persönlichkeiten der französischen Kammer.



n.
Der Minister Villemain.

Am 21. April 1814 bot der Sitzungssaal der französischen Aka¬
demie ein merkwürdiges und imposantes Schauspiel; Ereignisse von
weltgeschichtlicher Wichtigkeit hatten stattgefunden. Seit einundzwan¬
zig Tagen waren die Verbündeten in Paris, vor zehn Tagen hatte
Napoleon die Abdankungs-Acte von Fontainebleau unterzeichnet,
und die Sieger verlangten von dem Besiegten noch weiter Nichts,
als einen ehrenhaften Frieden. Man hatte dem Grafen Artois das
hübsche Bonmot in den Mund gelegt: Es gibt nur einen Franzosen
mehr, und Ludwig XVIIl., in Calais lautend, versprach dem ge-
demüthigten und des Despotismus und der Kriege müden Frank¬
reich, seine Wunden zu heilen und eS für den blutigen Ruhm der
Schlachten mit dem Genuß der Ruhe und der Freiheit zu entschädigen.

Inmitten dieser Hoffnungen, die noch durch keine Täuschung,
durch keine Tyrannei der Waffen, durch keine politische Reaction ge¬
trübt worden, hatte die französische Akademie zu ihrer jährlichen öf¬
fentlichen Sitzung die Könige und Generale des verbündeten Euro¬
pa eingeladen. Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren sollte
das Wort führen, und so seinen Namen mit einer der denkwürdig¬
sten Perioden der Geschichte verknüpfen.

Diese Sitzung war so merkwürdig und die Gefühle der dama¬
ligen Generation von denen der jetzigen so verschieden, daß es nicht


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[0470] Persönlichkeiten der französischen Kammer. n. Der Minister Villemain. Am 21. April 1814 bot der Sitzungssaal der französischen Aka¬ demie ein merkwürdiges und imposantes Schauspiel; Ereignisse von weltgeschichtlicher Wichtigkeit hatten stattgefunden. Seit einundzwan¬ zig Tagen waren die Verbündeten in Paris, vor zehn Tagen hatte Napoleon die Abdankungs-Acte von Fontainebleau unterzeichnet, und die Sieger verlangten von dem Besiegten noch weiter Nichts, als einen ehrenhaften Frieden. Man hatte dem Grafen Artois das hübsche Bonmot in den Mund gelegt: Es gibt nur einen Franzosen mehr, und Ludwig XVIIl., in Calais lautend, versprach dem ge- demüthigten und des Despotismus und der Kriege müden Frank¬ reich, seine Wunden zu heilen und eS für den blutigen Ruhm der Schlachten mit dem Genuß der Ruhe und der Freiheit zu entschädigen. Inmitten dieser Hoffnungen, die noch durch keine Täuschung, durch keine Tyrannei der Waffen, durch keine politische Reaction ge¬ trübt worden, hatte die französische Akademie zu ihrer jährlichen öf¬ fentlichen Sitzung die Könige und Generale des verbündeten Euro¬ pa eingeladen. Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren sollte das Wort führen, und so seinen Namen mit einer der denkwürdig¬ sten Perioden der Geschichte verknüpfen. Diese Sitzung war so merkwürdig und die Gefühle der dama¬ ligen Generation von denen der jetzigen so verschieden, daß es nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/470>, abgerufen am 22.12.2024.