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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Aber man weiß doch, woran man mit ihr ist; sie sagt's gerade heraus,
ohne Hinterhalt. Und Wien kann von seinem Leichtsinn, wie von seinem
Trübsinn, von seinen sittlichen -Zuständen wie von seinen politischen,
mit jener Maria rufen:


"Ich habe es nicht
"Verheimlicht Und verborgen, falschen Schein
"Hab' ich verschmäht, mit königlichem Freimuth.
,,Das Aergste weiß die Welt von mir, und ich
"Kann sagen, ich bin besser, als mein Ruf."

Berlin aber ist der volle Gegensatz von Wien, wie Elisabeth
von Maria. Berlin ist sein Ruf das Höchste. Die Geschichte weiß
zu erzählen, wie es um die Jungfräulichkeit der Elisabeth stand; aber
äußerlich wußte sie den Namen zu behaupten; ein Verstandesweib, schlau,
standhaft, bewundernswerth, aber unliebenswürdig, heuchlerisch, pro¬
testantische Strenge erkünstelnd und innerlich voll wilder Lust. Was
Berlin, was Preußen zu einer großen Stadt, zu einem großen Staate
macht, das ist die öffentliche Meinung, dieselbe, die einst die Elisa¬
beth groß gemacht. Einst konnte Friedrich II. wie jene Königin
sagen:


"Umgeben rings von Feinden, hält mich nur
"Die Volksgunst auf dem angcfochtncn Thron.
"Mich zu vernichten streben alle Mächte
"Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert
"Der ron'sehe Papst den Bannfluch auf mein Haupt.
"Mit falschem Bruderkuß verräth mich Frankreich.
"So steh' ich kämpfend gegen eine Welt.
,,-- -- -- Mit hohen Tugenden
"Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken.

Diese "hohen Tugenden" will das deutsche Volk an Berlin und
an Preußen immer sehen, wenn es nicht fragen soll, warum es sich
überhebe über die Anderen. Mißtrauisch legt es daher stets daS Ohr
auf den Boden, ob nicht noch eine andere Stelle jenes Monologs
von Berlin hertönt, wo Elisabeth ruft:


"O Sklaverei des Volksdienstö! schmähliche
"Knechtschaft -- Wie bin ich's müde, diesem Götzen
"Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!
"Wann soll ich frei auf diesem Throne stehen'?
"Die Meinung muß ich ehren, um das Lob
"Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ich'S
"Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.

Aber man weiß doch, woran man mit ihr ist; sie sagt's gerade heraus,
ohne Hinterhalt. Und Wien kann von seinem Leichtsinn, wie von seinem
Trübsinn, von seinen sittlichen -Zuständen wie von seinen politischen,
mit jener Maria rufen:


„Ich habe es nicht
„Verheimlicht Und verborgen, falschen Schein
„Hab' ich verschmäht, mit königlichem Freimuth.
,,Das Aergste weiß die Welt von mir, und ich
„Kann sagen, ich bin besser, als mein Ruf."

Berlin aber ist der volle Gegensatz von Wien, wie Elisabeth
von Maria. Berlin ist sein Ruf das Höchste. Die Geschichte weiß
zu erzählen, wie es um die Jungfräulichkeit der Elisabeth stand; aber
äußerlich wußte sie den Namen zu behaupten; ein Verstandesweib, schlau,
standhaft, bewundernswerth, aber unliebenswürdig, heuchlerisch, pro¬
testantische Strenge erkünstelnd und innerlich voll wilder Lust. Was
Berlin, was Preußen zu einer großen Stadt, zu einem großen Staate
macht, das ist die öffentliche Meinung, dieselbe, die einst die Elisa¬
beth groß gemacht. Einst konnte Friedrich II. wie jene Königin
sagen:


„Umgeben rings von Feinden, hält mich nur
„Die Volksgunst auf dem angcfochtncn Thron.
„Mich zu vernichten streben alle Mächte
„Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert
„Der ron'sehe Papst den Bannfluch auf mein Haupt.
„Mit falschem Bruderkuß verräth mich Frankreich.
„So steh' ich kämpfend gegen eine Welt.
,,— — — Mit hohen Tugenden
„Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken.

Diese „hohen Tugenden" will das deutsche Volk an Berlin und
an Preußen immer sehen, wenn es nicht fragen soll, warum es sich
überhebe über die Anderen. Mißtrauisch legt es daher stets daS Ohr
auf den Boden, ob nicht noch eine andere Stelle jenes Monologs
von Berlin hertönt, wo Elisabeth ruft:


„O Sklaverei des Volksdienstö! schmähliche
„Knechtschaft — Wie bin ich's müde, diesem Götzen
„Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!
„Wann soll ich frei auf diesem Throne stehen'?
„Die Meinung muß ich ehren, um das Lob
„Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ich'S
„Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.

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[0460] Aber man weiß doch, woran man mit ihr ist; sie sagt's gerade heraus, ohne Hinterhalt. Und Wien kann von seinem Leichtsinn, wie von seinem Trübsinn, von seinen sittlichen -Zuständen wie von seinen politischen, mit jener Maria rufen: „Ich habe es nicht „Verheimlicht Und verborgen, falschen Schein „Hab' ich verschmäht, mit königlichem Freimuth. ,,Das Aergste weiß die Welt von mir, und ich „Kann sagen, ich bin besser, als mein Ruf." Berlin aber ist der volle Gegensatz von Wien, wie Elisabeth von Maria. Berlin ist sein Ruf das Höchste. Die Geschichte weiß zu erzählen, wie es um die Jungfräulichkeit der Elisabeth stand; aber äußerlich wußte sie den Namen zu behaupten; ein Verstandesweib, schlau, standhaft, bewundernswerth, aber unliebenswürdig, heuchlerisch, pro¬ testantische Strenge erkünstelnd und innerlich voll wilder Lust. Was Berlin, was Preußen zu einer großen Stadt, zu einem großen Staate macht, das ist die öffentliche Meinung, dieselbe, die einst die Elisa¬ beth groß gemacht. Einst konnte Friedrich II. wie jene Königin sagen: „Umgeben rings von Feinden, hält mich nur „Die Volksgunst auf dem angcfochtncn Thron. „Mich zu vernichten streben alle Mächte „Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert „Der ron'sehe Papst den Bannfluch auf mein Haupt. „Mit falschem Bruderkuß verräth mich Frankreich. „So steh' ich kämpfend gegen eine Welt. ,,— — — Mit hohen Tugenden „Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken. Diese „hohen Tugenden" will das deutsche Volk an Berlin und an Preußen immer sehen, wenn es nicht fragen soll, warum es sich überhebe über die Anderen. Mißtrauisch legt es daher stets daS Ohr auf den Boden, ob nicht noch eine andere Stelle jenes Monologs von Berlin hertönt, wo Elisabeth ruft: „O Sklaverei des Volksdienstö! schmähliche „Knechtschaft — Wie bin ich's müde, diesem Götzen „Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet! „Wann soll ich frei auf diesem Throne stehen'? „Die Meinung muß ich ehren, um das Lob „Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ich'S „Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/460>, abgerufen am 23.12.2024.