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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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einander gehalten, neben einander gestellt, treten die Physiognomien
beider Städte viel schärfer und prägnanter hervor.

Wie sie da neben einander liegen, die zwei schönsten Schwestern
in dem großen Bette Deutschland, und statt mit warmen Armen ein¬
ander zu umschlingen, sich den Rücken kehren. Die minder schöne,
aber geistvollere jüngere Schwester, voll von scharfem Ehrgeiz und Stolz,
träumt von Zukunft, Herrschaft und Ueberhebung über die ältere,
deren Glanzzeit ihr bereits als im Abnehmen, als verlebt erscheint.
Diese, nicht minder eitel, obwohl gutmüthiger, schwelgt gedankenlos
in den Erinnerungen der vergangenen Nacht und in der Hoffnung
auf noch kommende Nächte. Der Hochmuth ihrer Schwester verletzt
sie etwas; träumerisch streicht sie sich die weichen Locken von der
Stirn zurück, aus den langen Wimpern fällt ihr Blick auf ihren
blühenden Leib, der üppig und zum Genusse ladend unter der wa"
men Decke sich bewegt, und mit einem behaglichen Lächeln sagt sie
sich: Nein, noch bin ich nicht alt, noch liegt die Welt und die kom¬
menden Tage genußreich vor mir.

Wien und Berlin, Maria Stuart und Elisabeth. Wien, die
Stadt der Habsburger, der alte Sitz der deutschen Kaiser, wie gleicht
es jener Maria


"Die mit so stolzen Hoffnungen begann,
"Die auf den ältesten Thron der Christenheit
,,Berufen wurde

Schön, sinnlich, voll offener Lust und voll stiller Sünden; wie jene
Stuart im katholischen Glauben erzogen und fest an ihm haltend, wie
sie, selten über sich nachdenkend,


"ein Kind
"Des Leichtsinns, der gedankenlosen Freude.
"Und in der Feste ewiger Trunkenheit
"Vernahm sie nie der Wahrheit ernste Stimme."

Im scharfen Gewahrsam gehalten, in jeder Freiheit beschränkt, fehlt
es Wien, wie einst der schottischen Maria, doch nicht an Anbetern,
die, angezogen von seinem Neiz, von nah und fern ihm zuströmen.
Dieser Ritter Paulet, der "Hüter der Maria" gibt sich viele unnö¬
thige Mühe.


"Bom Schlummer jagt die Furcht mich auf, ich gehe
"Nachts um, wie ein gequälter Geist, erprobe
"Des Schlosses Riegel und der Wächter Treu." --

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einander gehalten, neben einander gestellt, treten die Physiognomien
beider Städte viel schärfer und prägnanter hervor.

Wie sie da neben einander liegen, die zwei schönsten Schwestern
in dem großen Bette Deutschland, und statt mit warmen Armen ein¬
ander zu umschlingen, sich den Rücken kehren. Die minder schöne,
aber geistvollere jüngere Schwester, voll von scharfem Ehrgeiz und Stolz,
träumt von Zukunft, Herrschaft und Ueberhebung über die ältere,
deren Glanzzeit ihr bereits als im Abnehmen, als verlebt erscheint.
Diese, nicht minder eitel, obwohl gutmüthiger, schwelgt gedankenlos
in den Erinnerungen der vergangenen Nacht und in der Hoffnung
auf noch kommende Nächte. Der Hochmuth ihrer Schwester verletzt
sie etwas; träumerisch streicht sie sich die weichen Locken von der
Stirn zurück, aus den langen Wimpern fällt ihr Blick auf ihren
blühenden Leib, der üppig und zum Genusse ladend unter der wa»
men Decke sich bewegt, und mit einem behaglichen Lächeln sagt sie
sich: Nein, noch bin ich nicht alt, noch liegt die Welt und die kom¬
menden Tage genußreich vor mir.

Wien und Berlin, Maria Stuart und Elisabeth. Wien, die
Stadt der Habsburger, der alte Sitz der deutschen Kaiser, wie gleicht
es jener Maria


„Die mit so stolzen Hoffnungen begann,
„Die auf den ältesten Thron der Christenheit
,,Berufen wurde

Schön, sinnlich, voll offener Lust und voll stiller Sünden; wie jene
Stuart im katholischen Glauben erzogen und fest an ihm haltend, wie
sie, selten über sich nachdenkend,


„ein Kind
„Des Leichtsinns, der gedankenlosen Freude.
„Und in der Feste ewiger Trunkenheit
„Vernahm sie nie der Wahrheit ernste Stimme."

Im scharfen Gewahrsam gehalten, in jeder Freiheit beschränkt, fehlt
es Wien, wie einst der schottischen Maria, doch nicht an Anbetern,
die, angezogen von seinem Neiz, von nah und fern ihm zuströmen.
Dieser Ritter Paulet, der „Hüter der Maria" gibt sich viele unnö¬
thige Mühe.


„Bom Schlummer jagt die Furcht mich auf, ich gehe
„Nachts um, wie ein gequälter Geist, erprobe
„Des Schlosses Riegel und der Wächter Treu." —

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[0459] einander gehalten, neben einander gestellt, treten die Physiognomien beider Städte viel schärfer und prägnanter hervor. Wie sie da neben einander liegen, die zwei schönsten Schwestern in dem großen Bette Deutschland, und statt mit warmen Armen ein¬ ander zu umschlingen, sich den Rücken kehren. Die minder schöne, aber geistvollere jüngere Schwester, voll von scharfem Ehrgeiz und Stolz, träumt von Zukunft, Herrschaft und Ueberhebung über die ältere, deren Glanzzeit ihr bereits als im Abnehmen, als verlebt erscheint. Diese, nicht minder eitel, obwohl gutmüthiger, schwelgt gedankenlos in den Erinnerungen der vergangenen Nacht und in der Hoffnung auf noch kommende Nächte. Der Hochmuth ihrer Schwester verletzt sie etwas; träumerisch streicht sie sich die weichen Locken von der Stirn zurück, aus den langen Wimpern fällt ihr Blick auf ihren blühenden Leib, der üppig und zum Genusse ladend unter der wa» men Decke sich bewegt, und mit einem behaglichen Lächeln sagt sie sich: Nein, noch bin ich nicht alt, noch liegt die Welt und die kom¬ menden Tage genußreich vor mir. Wien und Berlin, Maria Stuart und Elisabeth. Wien, die Stadt der Habsburger, der alte Sitz der deutschen Kaiser, wie gleicht es jener Maria „Die mit so stolzen Hoffnungen begann, „Die auf den ältesten Thron der Christenheit ,,Berufen wurde Schön, sinnlich, voll offener Lust und voll stiller Sünden; wie jene Stuart im katholischen Glauben erzogen und fest an ihm haltend, wie sie, selten über sich nachdenkend, „ein Kind „Des Leichtsinns, der gedankenlosen Freude. „Und in der Feste ewiger Trunkenheit „Vernahm sie nie der Wahrheit ernste Stimme." Im scharfen Gewahrsam gehalten, in jeder Freiheit beschränkt, fehlt es Wien, wie einst der schottischen Maria, doch nicht an Anbetern, die, angezogen von seinem Neiz, von nah und fern ihm zuströmen. Dieser Ritter Paulet, der „Hüter der Maria" gibt sich viele unnö¬ thige Mühe. „Bom Schlummer jagt die Furcht mich auf, ich gehe „Nachts um, wie ein gequälter Geist, erprobe „Des Schlosses Riegel und der Wächter Treu." — 59-»-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/459>, abgerufen am 29.06.2024.