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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Verfahrens sei Eitelkeit, lind eitel ist Andersen über die Maßen. Das
Lob gehört ihm zur Lebenslust, jeder Tadel verletzt ihn schneidend.
Auf dieser Sandbank strandete seine Fortbildung, und auch sein Ta¬
lent wird darauf zu Grunde gehen, wenn er sich nicht ändert. Er
kennt all die Toilettenkünste der Literatur, macht sich den theatrali¬
schen Apparat gehörig zu Nutz und weiß sogar mit seiner romanti¬
schen Lebensgeschichte zu kokettiren. Einst wurde ein neues Buch von
ihm gedruckt, und eine schwedische Zeitung brachte die Notiz: "das¬
selbe habe die Kopenhagener entzückt, denn es übertreffe fast noch
seine früheren Werke an Interesse." Aber unglücklicherweise hatte es
in der Druckerei eine nicht erwartete Verzögerung gegeben, und das
interessante Buch war noch gar nicht erschienen.

Andersen's vielfache Reisen in'ö Ausland haben gleichfalls dazu
beigetragen, seinen Ruf verbreiten zu helfen, und diese Reisen brach¬
ten ihm noch einen anderen Gewinn. Sein poetischer Springquell
ist nicht reich und stark genug, um dauernd aus demselben schöpfen
zu können; es müssen sich von außen Bilder und Erzeugnisse abspie¬
geln auf seiner Fluth -- Andersen'S Phantasie bedarf eines Anhalte¬
punktes. Seine hauptsächliche Gabe besteht darin, gegebene Zustände,
und wenn sie auch sonst ziemlich kahl wären, mit poetischem Auge
anzuschauen. Dann umweben die Elfen sie mit dem Farbenglanz ih¬
rer Perlmutterschwingen und es taucht ein Gemälde, blühend und
anmuthsvoll, aus dem Chaos hervor. Was man im prosaischen
Leben Uebertreibung und Lüge nennen würde, das gereicht seinen
dichterischen Gestaltungen zum Ruhm.

In diesen Schranken muß Andersen sich aber auch halten; eilt
er darüber fort, so geht'S ihm wie Noah'S Naben: er findet nirgends
Rast auf der großen Wasseröde. Seit Jahren verkünden die däni¬
schen Journale, er arbeite an einer gigantischen Welttragödie: "Ahas-
verus", welche uns in fünf Dramen den ganzen Raum der christli¬
chen Zeitrechnung und darin die totale Fortbildung des Menschen¬
geschlechts vor Augen führen solle. Aber das ist eine Aufgabe, welche
weit hinausfliegt über die gegebene Norm künstlerischen Maßes, und
nur ein Goethe'scher Riesengeist würde vielleicht sie zu bewältigen im
Stande sein. Andersen's hübsches Talent müßte sich aber die Jka-
rusflügel daran versengen, und wenn er sie nicht aufgibt, stürzt er
gewiß in's Wasser hinab.


Verfahrens sei Eitelkeit, lind eitel ist Andersen über die Maßen. Das
Lob gehört ihm zur Lebenslust, jeder Tadel verletzt ihn schneidend.
Auf dieser Sandbank strandete seine Fortbildung, und auch sein Ta¬
lent wird darauf zu Grunde gehen, wenn er sich nicht ändert. Er
kennt all die Toilettenkünste der Literatur, macht sich den theatrali¬
schen Apparat gehörig zu Nutz und weiß sogar mit seiner romanti¬
schen Lebensgeschichte zu kokettiren. Einst wurde ein neues Buch von
ihm gedruckt, und eine schwedische Zeitung brachte die Notiz: „das¬
selbe habe die Kopenhagener entzückt, denn es übertreffe fast noch
seine früheren Werke an Interesse." Aber unglücklicherweise hatte es
in der Druckerei eine nicht erwartete Verzögerung gegeben, und das
interessante Buch war noch gar nicht erschienen.

Andersen's vielfache Reisen in'ö Ausland haben gleichfalls dazu
beigetragen, seinen Ruf verbreiten zu helfen, und diese Reisen brach¬
ten ihm noch einen anderen Gewinn. Sein poetischer Springquell
ist nicht reich und stark genug, um dauernd aus demselben schöpfen
zu können; es müssen sich von außen Bilder und Erzeugnisse abspie¬
geln auf seiner Fluth — Andersen'S Phantasie bedarf eines Anhalte¬
punktes. Seine hauptsächliche Gabe besteht darin, gegebene Zustände,
und wenn sie auch sonst ziemlich kahl wären, mit poetischem Auge
anzuschauen. Dann umweben die Elfen sie mit dem Farbenglanz ih¬
rer Perlmutterschwingen und es taucht ein Gemälde, blühend und
anmuthsvoll, aus dem Chaos hervor. Was man im prosaischen
Leben Uebertreibung und Lüge nennen würde, das gereicht seinen
dichterischen Gestaltungen zum Ruhm.

In diesen Schranken muß Andersen sich aber auch halten; eilt
er darüber fort, so geht'S ihm wie Noah'S Naben: er findet nirgends
Rast auf der großen Wasseröde. Seit Jahren verkünden die däni¬
schen Journale, er arbeite an einer gigantischen Welttragödie: „Ahas-
verus", welche uns in fünf Dramen den ganzen Raum der christli¬
chen Zeitrechnung und darin die totale Fortbildung des Menschen¬
geschlechts vor Augen führen solle. Aber das ist eine Aufgabe, welche
weit hinausfliegt über die gegebene Norm künstlerischen Maßes, und
nur ein Goethe'scher Riesengeist würde vielleicht sie zu bewältigen im
Stande sein. Andersen's hübsches Talent müßte sich aber die Jka-
rusflügel daran versengen, und wenn er sie nicht aufgibt, stürzt er
gewiß in's Wasser hinab.


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[0378] Verfahrens sei Eitelkeit, lind eitel ist Andersen über die Maßen. Das Lob gehört ihm zur Lebenslust, jeder Tadel verletzt ihn schneidend. Auf dieser Sandbank strandete seine Fortbildung, und auch sein Ta¬ lent wird darauf zu Grunde gehen, wenn er sich nicht ändert. Er kennt all die Toilettenkünste der Literatur, macht sich den theatrali¬ schen Apparat gehörig zu Nutz und weiß sogar mit seiner romanti¬ schen Lebensgeschichte zu kokettiren. Einst wurde ein neues Buch von ihm gedruckt, und eine schwedische Zeitung brachte die Notiz: „das¬ selbe habe die Kopenhagener entzückt, denn es übertreffe fast noch seine früheren Werke an Interesse." Aber unglücklicherweise hatte es in der Druckerei eine nicht erwartete Verzögerung gegeben, und das interessante Buch war noch gar nicht erschienen. Andersen's vielfache Reisen in'ö Ausland haben gleichfalls dazu beigetragen, seinen Ruf verbreiten zu helfen, und diese Reisen brach¬ ten ihm noch einen anderen Gewinn. Sein poetischer Springquell ist nicht reich und stark genug, um dauernd aus demselben schöpfen zu können; es müssen sich von außen Bilder und Erzeugnisse abspie¬ geln auf seiner Fluth — Andersen'S Phantasie bedarf eines Anhalte¬ punktes. Seine hauptsächliche Gabe besteht darin, gegebene Zustände, und wenn sie auch sonst ziemlich kahl wären, mit poetischem Auge anzuschauen. Dann umweben die Elfen sie mit dem Farbenglanz ih¬ rer Perlmutterschwingen und es taucht ein Gemälde, blühend und anmuthsvoll, aus dem Chaos hervor. Was man im prosaischen Leben Uebertreibung und Lüge nennen würde, das gereicht seinen dichterischen Gestaltungen zum Ruhm. In diesen Schranken muß Andersen sich aber auch halten; eilt er darüber fort, so geht'S ihm wie Noah'S Naben: er findet nirgends Rast auf der großen Wasseröde. Seit Jahren verkünden die däni¬ schen Journale, er arbeite an einer gigantischen Welttragödie: „Ahas- verus", welche uns in fünf Dramen den ganzen Raum der christli¬ chen Zeitrechnung und darin die totale Fortbildung des Menschen¬ geschlechts vor Augen führen solle. Aber das ist eine Aufgabe, welche weit hinausfliegt über die gegebene Norm künstlerischen Maßes, und nur ein Goethe'scher Riesengeist würde vielleicht sie zu bewältigen im Stande sein. Andersen's hübsches Talent müßte sich aber die Jka- rusflügel daran versengen, und wenn er sie nicht aufgibt, stürzt er gewiß in's Wasser hinab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/378>, abgerufen am 26.06.2024.