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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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schwebt, ist Andersen'S eigentliches Feld. Dort sollte er verweilen und
uns holde Wundergeschichten herniederrufen.

Den schönen Märchen folgte wieder ein Roman: "Kur en
Spillemand -- Nur ein Geiger" betitelt. Auch hier steht des Ver¬
fassers Persönlichkeit in der Mitte, er selbst ist der Held, seine Er¬
lebnisse und Schicksale werden geschildert. Man muß aber von aller
Eitelkeit Abschied genommen haben oder man muß blind vor Eitel¬
keit sein, wenn man sein innerliches Leben auf solche Weise zur Schau
stellen kann. Dieser Geiger, dieser Christian ist ein Mensch ohne
Wissen, ohne Thatkraft, ein wahrer Waschlappen von einem Charak¬
ter, der trotzdem ein berühmter Mann werden will. Das gelingt
ihm nicht, weil er gar keine Anlage dazu hat) er wird nun fromm,
liest in der Bibel und stirbt endlich. Die eigentliche Heldin des Bu¬
ches ist Naval, und ihre Gestalt biegt sich allein mit warmen Athem¬
zügen aus dem Roman hervor. Alle übrigen Gesichter sind von Wachs,
ihre Augen von Glas, und man wird so rastlos auf wüst-romantischen
Zuständen hin und her geworfen, daß es den Eindruck macht, als
ließe man sich schaukeln.

Im Sommer 1837 besuchte Andersen das benachbarte Schwe¬
den. Sein nächstes Erzeugnis war das "Bilderbuch ohne Bilder",
worin der Mond den. Dichter kleine Geschichten erzählt. Eine recht
lieblich poetische Idee. Aber die Ausführung ist noch nicht unbe¬
fangen, nicht objectiv genug. Der Mond kann nur sehen, er darf
niemals reflectiren, das ist seiner ganzen Natur zuwider, und wenn
er es doch thut, so lacht man ihn aus, weil er über Dinge redet,
von denen er gar Nichts versteht.

Andersen ging 1840 abermals nach Rom, dann nach Griechen¬
land und Konstantinopel, und auf dieser Reise gewann er sich wie¬
der ein zweibändiges Werk: "En Digters Bazar" betitelt. Es sind
flüchtig hingeworfene Reiseskizzen eines flüchtig Reisenden, doch manche
schöne Phantasicblume mischt sich in den Kranz der einzelnen Bilder
und Träume. Er hat das Werk in zehn Bücher abgetheilt und je¬
des Buch einem anderen Freunde dedicirt. Alle diese Letzteren aber
sind berühmte Leute, gerade als ob unberühmte nicht zu Freunden
taugten, und da klingen denn stolze, hochgefeierte Namen, Oehlen-
schlägcr, Prokesch-Osten, Thalberg u. s. w.

Ohne bitter zu sein, darf man wohl sagen, das Motiv solchen


Gicnzbvtcn 18i-i. I. 49

schwebt, ist Andersen'S eigentliches Feld. Dort sollte er verweilen und
uns holde Wundergeschichten herniederrufen.

Den schönen Märchen folgte wieder ein Roman: „Kur en
Spillemand — Nur ein Geiger" betitelt. Auch hier steht des Ver¬
fassers Persönlichkeit in der Mitte, er selbst ist der Held, seine Er¬
lebnisse und Schicksale werden geschildert. Man muß aber von aller
Eitelkeit Abschied genommen haben oder man muß blind vor Eitel¬
keit sein, wenn man sein innerliches Leben auf solche Weise zur Schau
stellen kann. Dieser Geiger, dieser Christian ist ein Mensch ohne
Wissen, ohne Thatkraft, ein wahrer Waschlappen von einem Charak¬
ter, der trotzdem ein berühmter Mann werden will. Das gelingt
ihm nicht, weil er gar keine Anlage dazu hat) er wird nun fromm,
liest in der Bibel und stirbt endlich. Die eigentliche Heldin des Bu¬
ches ist Naval, und ihre Gestalt biegt sich allein mit warmen Athem¬
zügen aus dem Roman hervor. Alle übrigen Gesichter sind von Wachs,
ihre Augen von Glas, und man wird so rastlos auf wüst-romantischen
Zuständen hin und her geworfen, daß es den Eindruck macht, als
ließe man sich schaukeln.

Im Sommer 1837 besuchte Andersen das benachbarte Schwe¬
den. Sein nächstes Erzeugnis war das „Bilderbuch ohne Bilder",
worin der Mond den. Dichter kleine Geschichten erzählt. Eine recht
lieblich poetische Idee. Aber die Ausführung ist noch nicht unbe¬
fangen, nicht objectiv genug. Der Mond kann nur sehen, er darf
niemals reflectiren, das ist seiner ganzen Natur zuwider, und wenn
er es doch thut, so lacht man ihn aus, weil er über Dinge redet,
von denen er gar Nichts versteht.

Andersen ging 1840 abermals nach Rom, dann nach Griechen¬
land und Konstantinopel, und auf dieser Reise gewann er sich wie¬
der ein zweibändiges Werk: „En Digters Bazar" betitelt. Es sind
flüchtig hingeworfene Reiseskizzen eines flüchtig Reisenden, doch manche
schöne Phantasicblume mischt sich in den Kranz der einzelnen Bilder
und Träume. Er hat das Werk in zehn Bücher abgetheilt und je¬
des Buch einem anderen Freunde dedicirt. Alle diese Letzteren aber
sind berühmte Leute, gerade als ob unberühmte nicht zu Freunden
taugten, und da klingen denn stolze, hochgefeierte Namen, Oehlen-
schlägcr, Prokesch-Osten, Thalberg u. s. w.

Ohne bitter zu sein, darf man wohl sagen, das Motiv solchen


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[0377] schwebt, ist Andersen'S eigentliches Feld. Dort sollte er verweilen und uns holde Wundergeschichten herniederrufen. Den schönen Märchen folgte wieder ein Roman: „Kur en Spillemand — Nur ein Geiger" betitelt. Auch hier steht des Ver¬ fassers Persönlichkeit in der Mitte, er selbst ist der Held, seine Er¬ lebnisse und Schicksale werden geschildert. Man muß aber von aller Eitelkeit Abschied genommen haben oder man muß blind vor Eitel¬ keit sein, wenn man sein innerliches Leben auf solche Weise zur Schau stellen kann. Dieser Geiger, dieser Christian ist ein Mensch ohne Wissen, ohne Thatkraft, ein wahrer Waschlappen von einem Charak¬ ter, der trotzdem ein berühmter Mann werden will. Das gelingt ihm nicht, weil er gar keine Anlage dazu hat) er wird nun fromm, liest in der Bibel und stirbt endlich. Die eigentliche Heldin des Bu¬ ches ist Naval, und ihre Gestalt biegt sich allein mit warmen Athem¬ zügen aus dem Roman hervor. Alle übrigen Gesichter sind von Wachs, ihre Augen von Glas, und man wird so rastlos auf wüst-romantischen Zuständen hin und her geworfen, daß es den Eindruck macht, als ließe man sich schaukeln. Im Sommer 1837 besuchte Andersen das benachbarte Schwe¬ den. Sein nächstes Erzeugnis war das „Bilderbuch ohne Bilder", worin der Mond den. Dichter kleine Geschichten erzählt. Eine recht lieblich poetische Idee. Aber die Ausführung ist noch nicht unbe¬ fangen, nicht objectiv genug. Der Mond kann nur sehen, er darf niemals reflectiren, das ist seiner ganzen Natur zuwider, und wenn er es doch thut, so lacht man ihn aus, weil er über Dinge redet, von denen er gar Nichts versteht. Andersen ging 1840 abermals nach Rom, dann nach Griechen¬ land und Konstantinopel, und auf dieser Reise gewann er sich wie¬ der ein zweibändiges Werk: „En Digters Bazar" betitelt. Es sind flüchtig hingeworfene Reiseskizzen eines flüchtig Reisenden, doch manche schöne Phantasicblume mischt sich in den Kranz der einzelnen Bilder und Träume. Er hat das Werk in zehn Bücher abgetheilt und je¬ des Buch einem anderen Freunde dedicirt. Alle diese Letzteren aber sind berühmte Leute, gerade als ob unberühmte nicht zu Freunden taugten, und da klingen denn stolze, hochgefeierte Namen, Oehlen- schlägcr, Prokesch-Osten, Thalberg u. s. w. Ohne bitter zu sein, darf man wohl sagen, das Motiv solchen Gicnzbvtcn 18i-i. I. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/377>, abgerufen am 26.06.2024.