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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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verweisen, mit einem Blicke, der beiläufig bedeutete: ach Du Stadt¬
mensch, Du verstehst mich nicht, bei Euch handelt es sich wohl nur
um Beine und Lungen oder Magen, wenn Ihr von Leiden sprecht,
wie's um's Herz steht, das kümmert Euch wohl wenig -- und sagte:
Ach Gott erbarm's! hinab ging es ja noch leicht, da fühlte ich ja
noch mein geliebtes Kind auf den Schultern, da wiegte ich es noch
auf den Achseln, wie hätte ich die geliebte Bürde schwer finden kön¬
nen, ich, der ich den schwersten Gemsbock meilenweit im Tragriem
fortbringe! aber hinauf, als das Kind schon in der Erde ruhte, hin¬
auf, da ging's schwer. Es schien mir, als frugen die kleinen Vöge¬
lein, die lustig zwitscherten, um die kleine Gespielin, als blühten die
Alpenrosen und Moosblumen mir zum Hohne! und, als ich vollends
von weitem meine Hausthür offen sah, aus welcher sonst das frische,
kleine Mäderl mir bei meiner Heimkehr entgegensprang, da, lieber Herr,
da wankten meine Kniee und ich meinte schier, das Herz müsse brechen.
Ich kann Sie versichern, lieber Herr, das war mein schwerster Gang!

Marie hatte das Ende des Gespräches gehört, denn sie wischte
sich mit ihrer Schürze die Augen aus und brachte stillschweigend den
dampfenden Suppentopf. Ich aber wußte nun, daß der starke Jakob
auch ein fühlendes Herz in der breiten, kräftigen Männerbrust trage.

Ich setzte mich mit dein britischen Gefährten zu Tische. Auch mir
fehlte jetzt das freundliche, herzige Kind ganz besonders. Als wir nack
Tische abzogen, drückte ich dem Jakob die Rechte, mein freigebiger
Engländer schenkte de? Marie ein Paar Dukaten. Als sie die blan¬
ken, vielleicht nie gesehenen Goldstücke ihrem Gatten zeigte, meinte er:
wenn unser Reserl noch lebte, könnten wir ihm recht hübsche Klei¬
derchen anschaffen und gute Strümpfe, statt -sie so schmutzig und bar¬
fuß umherlaufen lassen zu müssen. Nun, jetzt kleidet sie der liebe Herr-
gott selbst! -- Marie nahm wieder die Schürze vor'S Gesicht; sie kann
sie aber doch nicht immer davor gehalten haben, denn als ich das
nächste Jahr wiederkehrte, schrie mir aus der damals leeren Wiege
ein kleiner Schreier entgegen, dessen Taufpathe ich wurde, Gott hat uns
einen Engel genommen und wieder einen andern geschickt, lispelte Ma-
rie aus den, Bette heraus. Ich aber stieg mit Jakob zur Taufe den Weg
nach W . . - hinab, und als wir heraufstiegen, schien uns der Gang
recht leicht und bequem.


verweisen, mit einem Blicke, der beiläufig bedeutete: ach Du Stadt¬
mensch, Du verstehst mich nicht, bei Euch handelt es sich wohl nur
um Beine und Lungen oder Magen, wenn Ihr von Leiden sprecht,
wie's um's Herz steht, das kümmert Euch wohl wenig — und sagte:
Ach Gott erbarm's! hinab ging es ja noch leicht, da fühlte ich ja
noch mein geliebtes Kind auf den Schultern, da wiegte ich es noch
auf den Achseln, wie hätte ich die geliebte Bürde schwer finden kön¬
nen, ich, der ich den schwersten Gemsbock meilenweit im Tragriem
fortbringe! aber hinauf, als das Kind schon in der Erde ruhte, hin¬
auf, da ging's schwer. Es schien mir, als frugen die kleinen Vöge¬
lein, die lustig zwitscherten, um die kleine Gespielin, als blühten die
Alpenrosen und Moosblumen mir zum Hohne! und, als ich vollends
von weitem meine Hausthür offen sah, aus welcher sonst das frische,
kleine Mäderl mir bei meiner Heimkehr entgegensprang, da, lieber Herr,
da wankten meine Kniee und ich meinte schier, das Herz müsse brechen.
Ich kann Sie versichern, lieber Herr, das war mein schwerster Gang!

Marie hatte das Ende des Gespräches gehört, denn sie wischte
sich mit ihrer Schürze die Augen aus und brachte stillschweigend den
dampfenden Suppentopf. Ich aber wußte nun, daß der starke Jakob
auch ein fühlendes Herz in der breiten, kräftigen Männerbrust trage.

Ich setzte mich mit dein britischen Gefährten zu Tische. Auch mir
fehlte jetzt das freundliche, herzige Kind ganz besonders. Als wir nack
Tische abzogen, drückte ich dem Jakob die Rechte, mein freigebiger
Engländer schenkte de? Marie ein Paar Dukaten. Als sie die blan¬
ken, vielleicht nie gesehenen Goldstücke ihrem Gatten zeigte, meinte er:
wenn unser Reserl noch lebte, könnten wir ihm recht hübsche Klei¬
derchen anschaffen und gute Strümpfe, statt -sie so schmutzig und bar¬
fuß umherlaufen lassen zu müssen. Nun, jetzt kleidet sie der liebe Herr-
gott selbst! — Marie nahm wieder die Schürze vor'S Gesicht; sie kann
sie aber doch nicht immer davor gehalten haben, denn als ich das
nächste Jahr wiederkehrte, schrie mir aus der damals leeren Wiege
ein kleiner Schreier entgegen, dessen Taufpathe ich wurde, Gott hat uns
einen Engel genommen und wieder einen andern geschickt, lispelte Ma-
rie aus den, Bette heraus. Ich aber stieg mit Jakob zur Taufe den Weg
nach W . . - hinab, und als wir heraufstiegen, schien uns der Gang
recht leicht und bequem.


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[0354] verweisen, mit einem Blicke, der beiläufig bedeutete: ach Du Stadt¬ mensch, Du verstehst mich nicht, bei Euch handelt es sich wohl nur um Beine und Lungen oder Magen, wenn Ihr von Leiden sprecht, wie's um's Herz steht, das kümmert Euch wohl wenig — und sagte: Ach Gott erbarm's! hinab ging es ja noch leicht, da fühlte ich ja noch mein geliebtes Kind auf den Schultern, da wiegte ich es noch auf den Achseln, wie hätte ich die geliebte Bürde schwer finden kön¬ nen, ich, der ich den schwersten Gemsbock meilenweit im Tragriem fortbringe! aber hinauf, als das Kind schon in der Erde ruhte, hin¬ auf, da ging's schwer. Es schien mir, als frugen die kleinen Vöge¬ lein, die lustig zwitscherten, um die kleine Gespielin, als blühten die Alpenrosen und Moosblumen mir zum Hohne! und, als ich vollends von weitem meine Hausthür offen sah, aus welcher sonst das frische, kleine Mäderl mir bei meiner Heimkehr entgegensprang, da, lieber Herr, da wankten meine Kniee und ich meinte schier, das Herz müsse brechen. Ich kann Sie versichern, lieber Herr, das war mein schwerster Gang! Marie hatte das Ende des Gespräches gehört, denn sie wischte sich mit ihrer Schürze die Augen aus und brachte stillschweigend den dampfenden Suppentopf. Ich aber wußte nun, daß der starke Jakob auch ein fühlendes Herz in der breiten, kräftigen Männerbrust trage. Ich setzte mich mit dein britischen Gefährten zu Tische. Auch mir fehlte jetzt das freundliche, herzige Kind ganz besonders. Als wir nack Tische abzogen, drückte ich dem Jakob die Rechte, mein freigebiger Engländer schenkte de? Marie ein Paar Dukaten. Als sie die blan¬ ken, vielleicht nie gesehenen Goldstücke ihrem Gatten zeigte, meinte er: wenn unser Reserl noch lebte, könnten wir ihm recht hübsche Klei¬ derchen anschaffen und gute Strümpfe, statt -sie so schmutzig und bar¬ fuß umherlaufen lassen zu müssen. Nun, jetzt kleidet sie der liebe Herr- gott selbst! — Marie nahm wieder die Schürze vor'S Gesicht; sie kann sie aber doch nicht immer davor gehalten haben, denn als ich das nächste Jahr wiederkehrte, schrie mir aus der damals leeren Wiege ein kleiner Schreier entgegen, dessen Taufpathe ich wurde, Gott hat uns einen Engel genommen und wieder einen andern geschickt, lispelte Ma- rie aus den, Bette heraus. Ich aber stieg mit Jakob zur Taufe den Weg nach W . . - hinab, und als wir heraufstiegen, schien uns der Gang recht leicht und bequem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/354>, abgerufen am 26.06.2024.