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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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storiker erwähnen seiner mir so obenhin und unsere höhere Kritik hat
sich fast gar nicht mit ihm beschäftigt. Nun zürnt er den Deutschen
und glaubt sich zurückgesetzt. "Sie wollen mir keinen Ehrenplatz an,
Tische anweisen" ist sein gewöhnliches Wort darüber. Freilich nimmt
Dänemark regeren Antheil ans einen poetischen Leistungen; hier ist er
der Mittelpunkt alles dichterischen Seins und der einfachste Bürger
besitzt seine Schriften.

Eine so ungestüme Anerkennung ist jedoch in Deutschland, bei der Fülle
von überwiegenden Litcraturschätzen, billigerweise nicht zu verlangen,
Dänemarks Poesie ist noch im Frühling und man jauchzt der ersten Lerche
entgegen, doch die Nachtigallen kommen und dann kühlt sich jener
Enthusiasmus ab. Nach dreißig oder vierzig Jahren wird man auch
dort gewiß andere Büsten vor Oehlenschläger's stellen. Mich be¬
schleicht beim Niederschreiben dieser Worte eine gewisse Wehmuth,
aber ich sage das, weder um Oehlenschläger's Talent, noch um die
Pietät der Dänen zu beleidigen. Ich sage es, weil ich es sagen
muß, und keine leere Prophezeihung ist es, sondern innerste Ueberzeug¬
ung. Dänemarks Poesie wird nicht stehen bleiben, da sie bereits
angefangen hat, mit muthigen Schritten fürbaß zu gehen.

Uebrigens haben wir doch manches Merk von Oehlenschläger
nur sehr unzureichend durch Uebersetzungen oder gar nicht kennen ge¬
lernt. Zu dem Bedeutendsten gehört sein episches Gedicht: "Nordens
Guter -- die Götter Nordens", welches uns Lcgis in trefflicher
Sprache wiedergab. Dasselbe kam beim Erscheinen in eine Zeit hin¬
ein, wo die Academie der Wissenschaften zu Kopenhagen eben die
Frage angeregt hatte: "Sind die nordischen Gottheiten ein Stoff für
moderne Poesie, oder nicht?" Oehlenschläger antwortete bejahend durch
sein Epos, das er zugleich als Argument beibrachte. Hierdurch scheint
mir aber der ästhetische Zweifel noch keineswegs erledigt zu sein,
denn die Gestalten der skandinavischen Mythe nehmen sich, wie sie so
wohllautend auf den Stelzen südlichen Versbaues einherschreiten,
recht entfremdet und verweichlicht aus. -- Wofür wir in Deutschland
dem Dichter noch ganz besonders dankbar sein müssen, das ist die
Uebertragung der Holbergischen Lustspiele. Darin liegt ein wahrer
Schatz von Humor, von sicherer Charakterzeichnung und dramatischer
Lebendigkeit. Das glüht und sprüht, das webt und athmet heute noch so
munter, das trifft und geißelt noch so scharf, wie vor 140 Jahren.


storiker erwähnen seiner mir so obenhin und unsere höhere Kritik hat
sich fast gar nicht mit ihm beschäftigt. Nun zürnt er den Deutschen
und glaubt sich zurückgesetzt. „Sie wollen mir keinen Ehrenplatz an,
Tische anweisen" ist sein gewöhnliches Wort darüber. Freilich nimmt
Dänemark regeren Antheil ans einen poetischen Leistungen; hier ist er
der Mittelpunkt alles dichterischen Seins und der einfachste Bürger
besitzt seine Schriften.

Eine so ungestüme Anerkennung ist jedoch in Deutschland, bei der Fülle
von überwiegenden Litcraturschätzen, billigerweise nicht zu verlangen,
Dänemarks Poesie ist noch im Frühling und man jauchzt der ersten Lerche
entgegen, doch die Nachtigallen kommen und dann kühlt sich jener
Enthusiasmus ab. Nach dreißig oder vierzig Jahren wird man auch
dort gewiß andere Büsten vor Oehlenschläger's stellen. Mich be¬
schleicht beim Niederschreiben dieser Worte eine gewisse Wehmuth,
aber ich sage das, weder um Oehlenschläger's Talent, noch um die
Pietät der Dänen zu beleidigen. Ich sage es, weil ich es sagen
muß, und keine leere Prophezeihung ist es, sondern innerste Ueberzeug¬
ung. Dänemarks Poesie wird nicht stehen bleiben, da sie bereits
angefangen hat, mit muthigen Schritten fürbaß zu gehen.

Uebrigens haben wir doch manches Merk von Oehlenschläger
nur sehr unzureichend durch Uebersetzungen oder gar nicht kennen ge¬
lernt. Zu dem Bedeutendsten gehört sein episches Gedicht: „Nordens
Guter — die Götter Nordens", welches uns Lcgis in trefflicher
Sprache wiedergab. Dasselbe kam beim Erscheinen in eine Zeit hin¬
ein, wo die Academie der Wissenschaften zu Kopenhagen eben die
Frage angeregt hatte: „Sind die nordischen Gottheiten ein Stoff für
moderne Poesie, oder nicht?" Oehlenschläger antwortete bejahend durch
sein Epos, das er zugleich als Argument beibrachte. Hierdurch scheint
mir aber der ästhetische Zweifel noch keineswegs erledigt zu sein,
denn die Gestalten der skandinavischen Mythe nehmen sich, wie sie so
wohllautend auf den Stelzen südlichen Versbaues einherschreiten,
recht entfremdet und verweichlicht aus. — Wofür wir in Deutschland
dem Dichter noch ganz besonders dankbar sein müssen, das ist die
Uebertragung der Holbergischen Lustspiele. Darin liegt ein wahrer
Schatz von Humor, von sicherer Charakterzeichnung und dramatischer
Lebendigkeit. Das glüht und sprüht, das webt und athmet heute noch so
munter, das trifft und geißelt noch so scharf, wie vor 140 Jahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/333>, abgerufen am 26.06.2024.