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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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welche gegen den Reichthum und den Mittelstand, gegen den
Lehr stand und Nechtsgcl ehrten, auch theilweise gegen die
Weltgeistlichen gerichtet waren. Ein Grund davon ist der ange-
bome Stolz des spanischen Volkes, welches auf jeden Vorrang eifer¬
süchtig ist. Man möchte beinahe seine Anhänglichkeit an das Mönch-
thum darin bezeichnet finden, daß es in den, aus seiner Mitte her¬
vorgegangenen, die eigenthümliche Physiognomie des Volkscharakters
tragenden Mönchen (^".^les), seine Repräsentanten in der Intelli¬
genz, seine Ausleger in Religion und Wissenschaften lieber sucht, als
in den ihm entfremdeten, fein gebildeteren Weltgeistlichen oder Rechts-
gelehrten (i^el-ni-lui"). Degen und Feder sind Waffen, welche das
Volk am liebsten in der Hand seiner Verwandten und Genossen ehrt
und schätzt, und welche ihm oft Mißtrauen einflößen, ist es nicht in
der Gewohnheit, die Hände, welche sie führen, vertraulich zu schüt¬
teln. -- (Auch in Nordamerika hat sich dieses Mißtrauen gegen eine
den höheren oder reicheren Ständen ausschließlich zukommende grö¬
ßere Ausbildung der Intelligenz durch Erziehung und Schulunter¬
richt, noch neuerlich ausgesprochen.)

Wie gesagt also ermangelte die neuere constitutionelle Tendenz
in Spanien einer Haupteigenschaft, nämlich des volksthümlichen Cha¬
rakters, indem sie nach dem Beispiele von England und Frankreich,
lediglich die gebildeten und bemittelten Classen als Repräsentanten
des VolksthumeS erwählte, dagegen Elemente ausschloß, welche dort
noch in ihrer vollen ungestörten Kraft leben, während jene, welche
es an ihre Stelle zu setzen versuchte, theils gar nicht vorhanden, theils
erst in ihrer Entwickelung begriffen waren. So z. B. würde das
Landvolk in Spanien nie sich in die Suprematie gefügt haben, welche
sich in den neueren konstitutionellen Formen die großen Städte an¬
eignen, der Unbemittelte nie jene ausgesprochene des Reichen, der
Ungebildete die des Gebildeten anerkannt haben. Ferner ist ein
Hauptzug der neueren konstitutionellen Formen, die Centralisation,
durchaus im Gegensatz mit der in Spanien vorherrschenden Tendenz
zur Jsolirung und Municipalitäts-Verfassung. Provinz, Gemeinde,
Familie, Individuum, -- Alles strebt sich unabhängig und vereinzelt
darzustellen und in seiner selbständigen Individualität zu erhalten.
Dies hat auch auf die Natur der Administration und des Krieges
selbst in diesem Lande einen wesentlichen Einfluß, denn eS ist un-


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welche gegen den Reichthum und den Mittelstand, gegen den
Lehr stand und Nechtsgcl ehrten, auch theilweise gegen die
Weltgeistlichen gerichtet waren. Ein Grund davon ist der ange-
bome Stolz des spanischen Volkes, welches auf jeden Vorrang eifer¬
süchtig ist. Man möchte beinahe seine Anhänglichkeit an das Mönch-
thum darin bezeichnet finden, daß es in den, aus seiner Mitte her¬
vorgegangenen, die eigenthümliche Physiognomie des Volkscharakters
tragenden Mönchen (^».^les), seine Repräsentanten in der Intelli¬
genz, seine Ausleger in Religion und Wissenschaften lieber sucht, als
in den ihm entfremdeten, fein gebildeteren Weltgeistlichen oder Rechts-
gelehrten (i^el-ni-lui«). Degen und Feder sind Waffen, welche das
Volk am liebsten in der Hand seiner Verwandten und Genossen ehrt
und schätzt, und welche ihm oft Mißtrauen einflößen, ist es nicht in
der Gewohnheit, die Hände, welche sie führen, vertraulich zu schüt¬
teln. — (Auch in Nordamerika hat sich dieses Mißtrauen gegen eine
den höheren oder reicheren Ständen ausschließlich zukommende grö¬
ßere Ausbildung der Intelligenz durch Erziehung und Schulunter¬
richt, noch neuerlich ausgesprochen.)

Wie gesagt also ermangelte die neuere constitutionelle Tendenz
in Spanien einer Haupteigenschaft, nämlich des volksthümlichen Cha¬
rakters, indem sie nach dem Beispiele von England und Frankreich,
lediglich die gebildeten und bemittelten Classen als Repräsentanten
des VolksthumeS erwählte, dagegen Elemente ausschloß, welche dort
noch in ihrer vollen ungestörten Kraft leben, während jene, welche
es an ihre Stelle zu setzen versuchte, theils gar nicht vorhanden, theils
erst in ihrer Entwickelung begriffen waren. So z. B. würde das
Landvolk in Spanien nie sich in die Suprematie gefügt haben, welche
sich in den neueren konstitutionellen Formen die großen Städte an¬
eignen, der Unbemittelte nie jene ausgesprochene des Reichen, der
Ungebildete die des Gebildeten anerkannt haben. Ferner ist ein
Hauptzug der neueren konstitutionellen Formen, die Centralisation,
durchaus im Gegensatz mit der in Spanien vorherrschenden Tendenz
zur Jsolirung und Municipalitäts-Verfassung. Provinz, Gemeinde,
Familie, Individuum, — Alles strebt sich unabhängig und vereinzelt
darzustellen und in seiner selbständigen Individualität zu erhalten.
Dies hat auch auf die Natur der Administration und des Krieges
selbst in diesem Lande einen wesentlichen Einfluß, denn eS ist un-


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[0306] welche gegen den Reichthum und den Mittelstand, gegen den Lehr stand und Nechtsgcl ehrten, auch theilweise gegen die Weltgeistlichen gerichtet waren. Ein Grund davon ist der ange- bome Stolz des spanischen Volkes, welches auf jeden Vorrang eifer¬ süchtig ist. Man möchte beinahe seine Anhänglichkeit an das Mönch- thum darin bezeichnet finden, daß es in den, aus seiner Mitte her¬ vorgegangenen, die eigenthümliche Physiognomie des Volkscharakters tragenden Mönchen (^».^les), seine Repräsentanten in der Intelli¬ genz, seine Ausleger in Religion und Wissenschaften lieber sucht, als in den ihm entfremdeten, fein gebildeteren Weltgeistlichen oder Rechts- gelehrten (i^el-ni-lui«). Degen und Feder sind Waffen, welche das Volk am liebsten in der Hand seiner Verwandten und Genossen ehrt und schätzt, und welche ihm oft Mißtrauen einflößen, ist es nicht in der Gewohnheit, die Hände, welche sie führen, vertraulich zu schüt¬ teln. — (Auch in Nordamerika hat sich dieses Mißtrauen gegen eine den höheren oder reicheren Ständen ausschließlich zukommende grö¬ ßere Ausbildung der Intelligenz durch Erziehung und Schulunter¬ richt, noch neuerlich ausgesprochen.) Wie gesagt also ermangelte die neuere constitutionelle Tendenz in Spanien einer Haupteigenschaft, nämlich des volksthümlichen Cha¬ rakters, indem sie nach dem Beispiele von England und Frankreich, lediglich die gebildeten und bemittelten Classen als Repräsentanten des VolksthumeS erwählte, dagegen Elemente ausschloß, welche dort noch in ihrer vollen ungestörten Kraft leben, während jene, welche es an ihre Stelle zu setzen versuchte, theils gar nicht vorhanden, theils erst in ihrer Entwickelung begriffen waren. So z. B. würde das Landvolk in Spanien nie sich in die Suprematie gefügt haben, welche sich in den neueren konstitutionellen Formen die großen Städte an¬ eignen, der Unbemittelte nie jene ausgesprochene des Reichen, der Ungebildete die des Gebildeten anerkannt haben. Ferner ist ein Hauptzug der neueren konstitutionellen Formen, die Centralisation, durchaus im Gegensatz mit der in Spanien vorherrschenden Tendenz zur Jsolirung und Municipalitäts-Verfassung. Provinz, Gemeinde, Familie, Individuum, — Alles strebt sich unabhängig und vereinzelt darzustellen und in seiner selbständigen Individualität zu erhalten. Dies hat auch auf die Natur der Administration und des Krieges selbst in diesem Lande einen wesentlichen Einfluß, denn eS ist un- 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/306>, abgerufen am 26.06.2024.