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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ten, bot nur in der Minorität die Spitze, war größtentheils dem ei¬
gentlichen Volksleben entfremdet, und wurde, wo er widerstand, ge¬
schlachtet, nachdem er verhöhnt und mit den Ruthen deö Spottes
gepeitscht worden war. -- Das Volk, dessen Leidenschaft man anregte,
dessen materiellen Bedürfnissen man schmeichelte, und dem, während man
es mit der Hoffnung, sein Elend zu verbessern, köderte, man die Augen
verband, bot willig seine starken Arme, um daS Staatsgebäude um-
zureisien, hoffend, in den Trümmern Speise gegen den Hunger, Schutz
gegen den Frost zu finden. Es war aber nicht wenig erstaunt, als
die Machthaber aus dem niedergebrannten Palast, aus den Ruinen
der Kirche, aus dem Schutt des Schlosses sich saubere große Fabri¬
ken, gemächliche Wohnungen für zahllose Staatsbeamte und Bazars
für die Waarenlager der Kaufherren erbauten, und der Proletarier sah
sich wie vor und eh' ausgesperrt. Wie vor und es' nagte er am
Hungertuche, während hinter Krvstallfcnstern die Lampen glänzten und
der Champagner sprang, nur daß jetzt Kaufmann, Advocat lind Bü^
reaukrat dahinter saßen, wo früher Bischof oder Graf getafelt hatten.
Der einzige Unterschied bestand darin, daß der feiste gutmüthige Bi¬
schof und der leichtsinnige ritterliche Graf zuweilen die Brosamen vom
Tischs des Reichen in die Hütte des Armen fallen ließen, während
die neueren Erwählten des Plutus zu erfahrene Jünger utilisirender
Sparsamkeit und philisterartiger Wirtschaftlichkeit waren, um nicht
auch die Ueberreste, den Abfall des Ueberflusses mit kluger Sorgsam-
keit zu benützen zu wissen.

Als das Volk nun unter den Trümmern der Zeit seine Altäre
suchte, um wenigstens bei denselben Trost un? Hoffnungen für ein
besseres Jenseits zu schöpfen, waren auch diese umgestürzt, aus den
Steinen allerhand nützliche staatswirthschaftliche Gebäude aufgeführt
worden, und es blieb Nichts als die trostlose Oede einer materiellen
Staatsvegetation! Es steht nun dahin, ob und wie lange der jetzige
,imm"ut, das heißt der Nichtgenießende, sich diesen Zustand
der Dinge wird und mag gefallen lassen, ob man ihn ent¬
weder mit parlamentarischen Declamationen oder mit Kartätschen be¬
schwichtigen, oder ob La Mennais das Schlagwort ausgesprochen
hat, womit der dritte Act der neuen großen Staatenkomödie beginnt.
Der erste wurde in die Scene gesetzt, als Ludwig XIV. auf die
silberverbrämte Brust schlug und sagte: "Q'Kt.-et, e'.,>Li >"ni!" -- Der


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ten, bot nur in der Minorität die Spitze, war größtentheils dem ei¬
gentlichen Volksleben entfremdet, und wurde, wo er widerstand, ge¬
schlachtet, nachdem er verhöhnt und mit den Ruthen deö Spottes
gepeitscht worden war. — Das Volk, dessen Leidenschaft man anregte,
dessen materiellen Bedürfnissen man schmeichelte, und dem, während man
es mit der Hoffnung, sein Elend zu verbessern, köderte, man die Augen
verband, bot willig seine starken Arme, um daS Staatsgebäude um-
zureisien, hoffend, in den Trümmern Speise gegen den Hunger, Schutz
gegen den Frost zu finden. Es war aber nicht wenig erstaunt, als
die Machthaber aus dem niedergebrannten Palast, aus den Ruinen
der Kirche, aus dem Schutt des Schlosses sich saubere große Fabri¬
ken, gemächliche Wohnungen für zahllose Staatsbeamte und Bazars
für die Waarenlager der Kaufherren erbauten, und der Proletarier sah
sich wie vor und eh' ausgesperrt. Wie vor und es' nagte er am
Hungertuche, während hinter Krvstallfcnstern die Lampen glänzten und
der Champagner sprang, nur daß jetzt Kaufmann, Advocat lind Bü^
reaukrat dahinter saßen, wo früher Bischof oder Graf getafelt hatten.
Der einzige Unterschied bestand darin, daß der feiste gutmüthige Bi¬
schof und der leichtsinnige ritterliche Graf zuweilen die Brosamen vom
Tischs des Reichen in die Hütte des Armen fallen ließen, während
die neueren Erwählten des Plutus zu erfahrene Jünger utilisirender
Sparsamkeit und philisterartiger Wirtschaftlichkeit waren, um nicht
auch die Ueberreste, den Abfall des Ueberflusses mit kluger Sorgsam-
keit zu benützen zu wissen.

Als das Volk nun unter den Trümmern der Zeit seine Altäre
suchte, um wenigstens bei denselben Trost un? Hoffnungen für ein
besseres Jenseits zu schöpfen, waren auch diese umgestürzt, aus den
Steinen allerhand nützliche staatswirthschaftliche Gebäude aufgeführt
worden, und es blieb Nichts als die trostlose Oede einer materiellen
Staatsvegetation! Es steht nun dahin, ob und wie lange der jetzige
,imm»ut, das heißt der Nichtgenießende, sich diesen Zustand
der Dinge wird und mag gefallen lassen, ob man ihn ent¬
weder mit parlamentarischen Declamationen oder mit Kartätschen be¬
schwichtigen, oder ob La Mennais das Schlagwort ausgesprochen
hat, womit der dritte Act der neuen großen Staatenkomödie beginnt.
Der erste wurde in die Scene gesetzt, als Ludwig XIV. auf die
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[0304] ten, bot nur in der Minorität die Spitze, war größtentheils dem ei¬ gentlichen Volksleben entfremdet, und wurde, wo er widerstand, ge¬ schlachtet, nachdem er verhöhnt und mit den Ruthen deö Spottes gepeitscht worden war. — Das Volk, dessen Leidenschaft man anregte, dessen materiellen Bedürfnissen man schmeichelte, und dem, während man es mit der Hoffnung, sein Elend zu verbessern, köderte, man die Augen verband, bot willig seine starken Arme, um daS Staatsgebäude um- zureisien, hoffend, in den Trümmern Speise gegen den Hunger, Schutz gegen den Frost zu finden. Es war aber nicht wenig erstaunt, als die Machthaber aus dem niedergebrannten Palast, aus den Ruinen der Kirche, aus dem Schutt des Schlosses sich saubere große Fabri¬ ken, gemächliche Wohnungen für zahllose Staatsbeamte und Bazars für die Waarenlager der Kaufherren erbauten, und der Proletarier sah sich wie vor und eh' ausgesperrt. Wie vor und es' nagte er am Hungertuche, während hinter Krvstallfcnstern die Lampen glänzten und der Champagner sprang, nur daß jetzt Kaufmann, Advocat lind Bü^ reaukrat dahinter saßen, wo früher Bischof oder Graf getafelt hatten. Der einzige Unterschied bestand darin, daß der feiste gutmüthige Bi¬ schof und der leichtsinnige ritterliche Graf zuweilen die Brosamen vom Tischs des Reichen in die Hütte des Armen fallen ließen, während die neueren Erwählten des Plutus zu erfahrene Jünger utilisirender Sparsamkeit und philisterartiger Wirtschaftlichkeit waren, um nicht auch die Ueberreste, den Abfall des Ueberflusses mit kluger Sorgsam- keit zu benützen zu wissen. Als das Volk nun unter den Trümmern der Zeit seine Altäre suchte, um wenigstens bei denselben Trost un? Hoffnungen für ein besseres Jenseits zu schöpfen, waren auch diese umgestürzt, aus den Steinen allerhand nützliche staatswirthschaftliche Gebäude aufgeführt worden, und es blieb Nichts als die trostlose Oede einer materiellen Staatsvegetation! Es steht nun dahin, ob und wie lange der jetzige ,imm»ut, das heißt der Nichtgenießende, sich diesen Zustand der Dinge wird und mag gefallen lassen, ob man ihn ent¬ weder mit parlamentarischen Declamationen oder mit Kartätschen be¬ schwichtigen, oder ob La Mennais das Schlagwort ausgesprochen hat, womit der dritte Act der neuen großen Staatenkomödie beginnt. Der erste wurde in die Scene gesetzt, als Ludwig XIV. auf die silberverbrämte Brust schlug und sagte: „Q'Kt.-et, e'.,>Li >»ni!" — Der Ar-n;l>man Jm5. I. 4t)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/304>, abgerufen am 26.06.2024.