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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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als in den letzten Ereignissen traten Charakterbilder in Fülle hervor,
welche Jahrzehente oder Jahrhunderte geregelter Staatsverhältnisse
nicht erzeugt hätten.

Sonderbar aber ist es, daß, während sich bei allen Parteien ein
Palafor, Nomana, Riego, Mina, El Pastor, Zumala Carrcguy,
Cabrera, Espartero, Merino, Tristany, Espana, Larjo del Capons,
Don Diego Leon, und so viele andere auf mancherlei Art einen Grav
der Berühmtheit erlangt haben, dieselben durchaus nur immer unter den
Schaaren der Guerillas oder in den Feldlagern der Heere, sei eS un¬
ter den Fahnen der Independenz, der Carlisten oder Christinos, ge¬
sucht werden müssen, während auf der Rednerbühne und dem Schlacht¬
felde der parlamentarischen Taktik die Nation durchgängig durch
Individualitäten repräsentirt wurde, welche (mit Ausnahme eines als
politischer Quacksalber und zweiter Dulcamara unerreichbaren und
in seiner Art unübertrefflichen Gauklers, -- Mendizabal --) sich nie
über die Mittelmäßigkeit herausheben und kaum ihren Worten im
übrigen Europa genügsame Aufmerksamkeit verschaffen konnten, um
den Thaten, welche damit in Verbindung standen und allgemeines
Interesse erlangten, zum Commentar oder Erklärung zu dienen.

Vielleicht liegt eben darin der Beweis, daß die spanische Natio¬
nalität in den Kammern keineswegs wirklich dargestellt, daß diese nur
eine fingirte Repräsentation seien, denen sowohl das Mandat als die
Kraft und Würde zu dessen Vollziehung abgebe, und daß das eigentliche
Volk, oder dessen Kern wenigstens, sich selbst, sei es in christinischcn
Feldlagern, oder bei den carlistischen Schaaren, feine Vertreter suche;
nach seinem richtigen Instinkt längst die Ueberzeugung hegend, daß
es sich nur hier und nicht bei der Puppenkomödie in Madrid in
seinen Wünschen, Besorgnissen, Bedürfnissen und Leidenschaften reprä-^
sentirt finde.

Der sogenannte livi's ^t"t, nämlich die Aristokratie der Bil¬
dung und des Besitzes, hat im Gegensatz mit dem Adel der Ge¬
burt, oder jenem der materiellen Kraft, welche beide letztere
Eigenschaften den Feudaladel und den Proletarier bezeichnen, in
der letzten Zeitgeschichte eine große, ja tyrannische Superiorität er¬
worben. Dies geschah um so leichter, als beide rivalisirende Elemente
durchaus strcitunfähig waren. Der Geburtsadel, materiell und
oft geistig entnervt und ruinirt, suchte sich durch Concessionen zu red-


als in den letzten Ereignissen traten Charakterbilder in Fülle hervor,
welche Jahrzehente oder Jahrhunderte geregelter Staatsverhältnisse
nicht erzeugt hätten.

Sonderbar aber ist es, daß, während sich bei allen Parteien ein
Palafor, Nomana, Riego, Mina, El Pastor, Zumala Carrcguy,
Cabrera, Espartero, Merino, Tristany, Espana, Larjo del Capons,
Don Diego Leon, und so viele andere auf mancherlei Art einen Grav
der Berühmtheit erlangt haben, dieselben durchaus nur immer unter den
Schaaren der Guerillas oder in den Feldlagern der Heere, sei eS un¬
ter den Fahnen der Independenz, der Carlisten oder Christinos, ge¬
sucht werden müssen, während auf der Rednerbühne und dem Schlacht¬
felde der parlamentarischen Taktik die Nation durchgängig durch
Individualitäten repräsentirt wurde, welche (mit Ausnahme eines als
politischer Quacksalber und zweiter Dulcamara unerreichbaren und
in seiner Art unübertrefflichen Gauklers, — Mendizabal —) sich nie
über die Mittelmäßigkeit herausheben und kaum ihren Worten im
übrigen Europa genügsame Aufmerksamkeit verschaffen konnten, um
den Thaten, welche damit in Verbindung standen und allgemeines
Interesse erlangten, zum Commentar oder Erklärung zu dienen.

Vielleicht liegt eben darin der Beweis, daß die spanische Natio¬
nalität in den Kammern keineswegs wirklich dargestellt, daß diese nur
eine fingirte Repräsentation seien, denen sowohl das Mandat als die
Kraft und Würde zu dessen Vollziehung abgebe, und daß das eigentliche
Volk, oder dessen Kern wenigstens, sich selbst, sei es in christinischcn
Feldlagern, oder bei den carlistischen Schaaren, feine Vertreter suche;
nach seinem richtigen Instinkt längst die Ueberzeugung hegend, daß
es sich nur hier und nicht bei der Puppenkomödie in Madrid in
seinen Wünschen, Besorgnissen, Bedürfnissen und Leidenschaften reprä-^
sentirt finde.

Der sogenannte livi's ^t»t, nämlich die Aristokratie der Bil¬
dung und des Besitzes, hat im Gegensatz mit dem Adel der Ge¬
burt, oder jenem der materiellen Kraft, welche beide letztere
Eigenschaften den Feudaladel und den Proletarier bezeichnen, in
der letzten Zeitgeschichte eine große, ja tyrannische Superiorität er¬
worben. Dies geschah um so leichter, als beide rivalisirende Elemente
durchaus strcitunfähig waren. Der Geburtsadel, materiell und
oft geistig entnervt und ruinirt, suchte sich durch Concessionen zu red-


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[0303] als in den letzten Ereignissen traten Charakterbilder in Fülle hervor, welche Jahrzehente oder Jahrhunderte geregelter Staatsverhältnisse nicht erzeugt hätten. Sonderbar aber ist es, daß, während sich bei allen Parteien ein Palafor, Nomana, Riego, Mina, El Pastor, Zumala Carrcguy, Cabrera, Espartero, Merino, Tristany, Espana, Larjo del Capons, Don Diego Leon, und so viele andere auf mancherlei Art einen Grav der Berühmtheit erlangt haben, dieselben durchaus nur immer unter den Schaaren der Guerillas oder in den Feldlagern der Heere, sei eS un¬ ter den Fahnen der Independenz, der Carlisten oder Christinos, ge¬ sucht werden müssen, während auf der Rednerbühne und dem Schlacht¬ felde der parlamentarischen Taktik die Nation durchgängig durch Individualitäten repräsentirt wurde, welche (mit Ausnahme eines als politischer Quacksalber und zweiter Dulcamara unerreichbaren und in seiner Art unübertrefflichen Gauklers, — Mendizabal —) sich nie über die Mittelmäßigkeit herausheben und kaum ihren Worten im übrigen Europa genügsame Aufmerksamkeit verschaffen konnten, um den Thaten, welche damit in Verbindung standen und allgemeines Interesse erlangten, zum Commentar oder Erklärung zu dienen. Vielleicht liegt eben darin der Beweis, daß die spanische Natio¬ nalität in den Kammern keineswegs wirklich dargestellt, daß diese nur eine fingirte Repräsentation seien, denen sowohl das Mandat als die Kraft und Würde zu dessen Vollziehung abgebe, und daß das eigentliche Volk, oder dessen Kern wenigstens, sich selbst, sei es in christinischcn Feldlagern, oder bei den carlistischen Schaaren, feine Vertreter suche; nach seinem richtigen Instinkt längst die Ueberzeugung hegend, daß es sich nur hier und nicht bei der Puppenkomödie in Madrid in seinen Wünschen, Besorgnissen, Bedürfnissen und Leidenschaften reprä-^ sentirt finde. Der sogenannte livi's ^t»t, nämlich die Aristokratie der Bil¬ dung und des Besitzes, hat im Gegensatz mit dem Adel der Ge¬ burt, oder jenem der materiellen Kraft, welche beide letztere Eigenschaften den Feudaladel und den Proletarier bezeichnen, in der letzten Zeitgeschichte eine große, ja tyrannische Superiorität er¬ worben. Dies geschah um so leichter, als beide rivalisirende Elemente durchaus strcitunfähig waren. Der Geburtsadel, materiell und oft geistig entnervt und ruinirt, suchte sich durch Concessionen zu red-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/303>, abgerufen am 26.06.2024.