über die unbefleckte Empfängnis), über die Göttlichkeit und Wunder Christi sich lustig macht? Wie hoch schlagt Ihr die Philosophie an, welche den Glauben an eine geoffenbarte Religion entschieden der-- wirst, allein ihre Feder gleichwohl an die Orthodoxie des Staates vermiethet? Mit seinen Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters hat Dingelstedt vor ganz Deutschland dem Privilegium und Vorur¬ theil in jeder Gestalt seinen Fehdehandschuh hingeworfen, sich aber gleich darauf beeilt, ihn selbst wieder wegzunehmen. An einem sol¬ chen Wiederruf, geschehe er ausdrücklich oder stillschweigend, im Leicht¬ sinn oder aus Gemeinheit, pflegt die Reputation zu sterben.
Hätte Dingelstedt brausende Freiheitslieder gesungen, schwär¬ mende Ideen hoch wie wandernde Schwalben über dem Getreide deS Tages in unsern Straßen hinziehen lassen, so konnte man die An¬ nahme seiner jetzigen Stellung weniger anstößig finden. Dingelstedt hatte dann eben der in jedem gesunden Jünglingshcrzen ausgährcn- den Begeisterung Sprache gegeben, poetische Symbole gefunden; nach¬ dem der Jugendraufch verflogen, war das Leben zu seinen nüchternen Ansprüchen befugt, und der gerettete Niederschlag von Idealen über¬ stieg dann schwerlich das Maß, welches man auch dem Staats- oder Hofdiener zu gestatten pflegt. Kurz, Dingelstedt's Rückzug hätte nicht mehr Aufsehen gemacht, als der so Vieler, die mit allgemeinen Phrasen erst sehr laut waren, dann mit nahender Gefahr immer leiser und leiser wurden, bis sie in irgend einem Collegiengebäude oder Pfarr¬ hause den Augen des Publicums entschwanden. Allein Dingelstedt's Fall war ein andrer. Mit klugem Verstände und feiner Bildung, mit Witz und plastischem Talent ausgestattet, stellte er sich, als er in der politischen Poesie auftrat, nicht als ein gaukelnder Schmetterling dar, welcher sich aus dem lyrischen Gärtchen in die politische Wild- niß verloren hat, sondern als ein bewußtes, also für sich, seine Schöpfungen und deren Consequenzen verantwortliches Talent. Er schwärmte nicht für die Freiheit, sondern er kannte sie theoretisch, seine Liebe zur Freiheit verkündigte sich nicht als blos pathologisches, sondern als Denkresultat.
Beantworte sich nun Jeder selbst die Frage: Wenn ein Mann von classischer Bildung^, erzogen in freien Verhältnissen, entwickelt durch das öffentliche Leben seit 1830, seinen geistreichen Spott treibt mit falschem Nimbus und Vormtheil und sich nun plötzlich dazu
über die unbefleckte Empfängnis), über die Göttlichkeit und Wunder Christi sich lustig macht? Wie hoch schlagt Ihr die Philosophie an, welche den Glauben an eine geoffenbarte Religion entschieden der-- wirst, allein ihre Feder gleichwohl an die Orthodoxie des Staates vermiethet? Mit seinen Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters hat Dingelstedt vor ganz Deutschland dem Privilegium und Vorur¬ theil in jeder Gestalt seinen Fehdehandschuh hingeworfen, sich aber gleich darauf beeilt, ihn selbst wieder wegzunehmen. An einem sol¬ chen Wiederruf, geschehe er ausdrücklich oder stillschweigend, im Leicht¬ sinn oder aus Gemeinheit, pflegt die Reputation zu sterben.
Hätte Dingelstedt brausende Freiheitslieder gesungen, schwär¬ mende Ideen hoch wie wandernde Schwalben über dem Getreide deS Tages in unsern Straßen hinziehen lassen, so konnte man die An¬ nahme seiner jetzigen Stellung weniger anstößig finden. Dingelstedt hatte dann eben der in jedem gesunden Jünglingshcrzen ausgährcn- den Begeisterung Sprache gegeben, poetische Symbole gefunden; nach¬ dem der Jugendraufch verflogen, war das Leben zu seinen nüchternen Ansprüchen befugt, und der gerettete Niederschlag von Idealen über¬ stieg dann schwerlich das Maß, welches man auch dem Staats- oder Hofdiener zu gestatten pflegt. Kurz, Dingelstedt's Rückzug hätte nicht mehr Aufsehen gemacht, als der so Vieler, die mit allgemeinen Phrasen erst sehr laut waren, dann mit nahender Gefahr immer leiser und leiser wurden, bis sie in irgend einem Collegiengebäude oder Pfarr¬ hause den Augen des Publicums entschwanden. Allein Dingelstedt's Fall war ein andrer. Mit klugem Verstände und feiner Bildung, mit Witz und plastischem Talent ausgestattet, stellte er sich, als er in der politischen Poesie auftrat, nicht als ein gaukelnder Schmetterling dar, welcher sich aus dem lyrischen Gärtchen in die politische Wild- niß verloren hat, sondern als ein bewußtes, also für sich, seine Schöpfungen und deren Consequenzen verantwortliches Talent. Er schwärmte nicht für die Freiheit, sondern er kannte sie theoretisch, seine Liebe zur Freiheit verkündigte sich nicht als blos pathologisches, sondern als Denkresultat.
Beantworte sich nun Jeder selbst die Frage: Wenn ein Mann von classischer Bildung^, erzogen in freien Verhältnissen, entwickelt durch das öffentliche Leben seit 1830, seinen geistreichen Spott treibt mit falschem Nimbus und Vormtheil und sich nun plötzlich dazu
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wirst, allein ihre Feder gleichwohl an die Orthodoxie des Staates
vermiethet? Mit seinen Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters
hat Dingelstedt vor ganz Deutschland dem Privilegium und Vorur¬
theil in jeder Gestalt seinen Fehdehandschuh hingeworfen, sich aber
gleich darauf beeilt, ihn selbst wieder wegzunehmen. An einem sol¬
chen Wiederruf, geschehe er ausdrücklich oder stillschweigend, im Leicht¬
sinn oder aus Gemeinheit, pflegt die Reputation zu sterben.
Hätte Dingelstedt brausende Freiheitslieder gesungen, schwär¬
mende Ideen hoch wie wandernde Schwalben über dem Getreide deS
Tages in unsern Straßen hinziehen lassen, so konnte man die An¬
nahme seiner jetzigen Stellung weniger anstößig finden. Dingelstedt
hatte dann eben der in jedem gesunden Jünglingshcrzen ausgährcn-
den Begeisterung Sprache gegeben, poetische Symbole gefunden; nach¬
dem der Jugendraufch verflogen, war das Leben zu seinen nüchternen
Ansprüchen befugt, und der gerettete Niederschlag von Idealen über¬
stieg dann schwerlich das Maß, welches man auch dem Staats- oder
Hofdiener zu gestatten pflegt. Kurz, Dingelstedt's Rückzug hätte nicht
mehr Aufsehen gemacht, als der so Vieler, die mit allgemeinen Phrasen
erst sehr laut waren, dann mit nahender Gefahr immer leiser und
leiser wurden, bis sie in irgend einem Collegiengebäude oder Pfarr¬
hause den Augen des Publicums entschwanden. Allein Dingelstedt's
Fall war ein andrer. Mit klugem Verstände und feiner Bildung,
mit Witz und plastischem Talent ausgestattet, stellte er sich, als er in
der politischen Poesie auftrat, nicht als ein gaukelnder Schmetterling
dar, welcher sich aus dem lyrischen Gärtchen in die politische Wild-
niß verloren hat, sondern als ein bewußtes, also für sich, seine
Schöpfungen und deren Consequenzen verantwortliches Talent. Er
schwärmte nicht für die Freiheit, sondern er kannte sie theoretisch,
seine Liebe zur Freiheit verkündigte sich nicht als blos pathologisches,
sondern als Denkresultat.
Beantworte sich nun Jeder selbst die Frage: Wenn ein Mann
von classischer Bildung^, erzogen in freien Verhältnissen, entwickelt
durch das öffentliche Leben seit 1830, seinen geistreichen Spott treibt
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/278>, abgerufen am 22.12.2024.
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